Seite:Die Gartenlaube (1897) 200.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Geschmackslaunen. Er läßt das saftige Kohlblatt, das ihm seine Herrin, vorhält, unbeachtet und beginnt an der Rose, die in ihrem Mieder steckt, herumzuknabbern. Der leckere Patron lebt im Ueberfluß und ist aus Uebersättigung zu einem Feinschmecker geworden. Es ergeht ihm just wie so vielen Menschen, die im Ueberfluß leben und, da sie keinen rechten Hunger spüren, sich das Naschen angewöhnen. Sie trinken und essen dann alles mögliche, Perlen in Essig aufgelöst und Veilchen und Rosen in Zucker. Glücklicher sind jedoch diejenigen, denen das Schicksal, freilich ohne sie in Notdurft zu versetzen, einen derben Strich durch die Feinschmeckerei macht; denn eine echte gesunde Lebensfreude blüht dem Menschen bei Brot und dem Hasen bei Kohl. Diese Weisheit scheint der Langohr auf unserm Bilde schon durch seinen Naturinstinkt herauszuwittern, denn während er noch an der Rose knabbert, schielt er schon mit dem einen Auge nach dem saftigen Kohlblatt hinüber. Es liegt also eine Moral auch in dieser dem Leben abgelauschten Tiergeschichte, die auf unserem Bild so ansprechend dargestellt ist. *      

Ernst Keils Geburtshaus in Langensalza. (Mit Abbildung.) In dem ansehnlichen thüringer Städtchen Langensalza wurde am 6. Dezember 1816 Ernst Keil, der Begründer der „Gartenlaube“, als Sohn eines Gerichtsbeamten geboren. Wenn er auch seine Heimat frühzeitig verließ, um in Mühlhausen das Gymnasium zu besuchen und in Weimar den Buchhandel zu erlernen, hat er doch seiner Vaterstadt allezeit eine treue Anhänglichkeit bewahrt. Um das Andenken ihres hervorragenden Sohnes zu ehren, hat neuerdings die Stadt Langensalza an dem Hause, in dem Ernst Keils Wiege gestanden hatte, eine Gedächtnistafel anbringen lassen. Ihre Inschrift lautet:

Geburtshaus
des Redacteurs der Gartenlaube
Ernst Keil
* am 6. December 1816
† am 23. März 1878.

Ernst Keils Geburtshaus in Langensalza.
Nach einer Photographie von C. Bregazzi in Langensalza.

Unsere Abbildung stellt das Geburtshaus dar, wie es sich heute an der Marktstraße Langensalzas dem Auge des Beschauers darbietet. Der Laden im Erdgeschoß war ursprünglich nicht vorhanden, sonst hat das Haus noch genau dasselbe Aussehen wie zur Jugendzeit Ernst Keils.

Tramin. (Zu dem Bilde S. 197.) Den „Rheingau Tirols“ hat man mit Recht das herrliche Berggelände genannt, das im Süden von Bozen den steilen Felswänden des Mendelgebirgs in malerischer Reizesfülle vorgelagert ist und, von Burgen und Schlössern, Dörfern und ländlichen Herrensitzen übersät, seine Rebgelände, Maisfelder und Obstbaumhaine hinunter zur rauschenden Etsch sendet. Denn wie im Rheingau von allen Rheinweinen die köstlichsten gedeihen, so reifen auf den sonnigen Porphyrhängen jenes gesegneten Erdstrichs die edelsten Weine Tirols. Neben dem „Kalterer Seewein“, dessen liebliche Geburtsstätte den Lesern der „Gartenlaube“ ein Bild im vorigen Jahrgang, Seite 693, vorführte, ist es in erster Linie das Rebenblut des „Traminers“, dessen Duft und Feuer mit jedem neuen Herbst den alten Ruf der Gegend wahrt. Tramin liegt von den uralten Ortschaften des „Ueberetsch“ dem Fluß und der ihm entlang nach Trient führenden Eisenbahn am nächsten, zu Füßen des Mittelbergs, den der Monte Roën mächtig überragt, und eine Wegstunde unterhalb des von einem seiner Ausläufer verdeckten Kalterer Sees. Beim Dorfe Neumarkt ist die Haltestelle der Bahn für den noch eine Stunde seitwärts gelegenen Ort. Von alters her war das stattliche Dorf ein Hauptstapelplatz für den Weinhandel der Gegend. Und darauf beruht es wohl auch, daß gerade nach ihm eine Rebe benannt ist, die seit langem in vielen Gegenden Deutschlands und Oesterreichs heimisch ist und ihren Mutterboden gewiß in der Umgebung von Tramin gehabt hat, ohne doch mit dem Weine verwandt zu sein, der heutzutage in den Weinbergen von Tramin geerntet wird. In anderer Höhenlage, unweit davon, ist diese „Traminer Rebe“ zu Hause.

Wie auch die übrigen Ortschaften des Ueberetsch hat das liebliche Tramin, das nahe an 2000 Einwohner zählt, einen fast städtischen Charakter. Die Weinbauern, welche hier wohnen, erfreuen sich wahrer Herrensitze. Selbst den starken hellschimmernden Mauern, die an der Straße vor und hinter dem Dorf die fruchtbaren Rebgärten eingrenzen, merkt man den Reichtum an, welchen seit Jahrhunderten der Ort aus der Ernte seiner Reben zieht. Die Häuser am Marktplatz sind kleine Paläste mit schönen schmiedeeisernen Balkonen und hohen Thorgewölben. Ihre Bauart ist schon ganz italienisch; der schlanke gotische Glockenturm mit seinen romanischen Schallöffnungen, die Fensterkonstruktion der Häuser mit den vorgewölbten Eisengittern, die steinernen Portale vor den Gärten, aus denen sich über Lorbeer- und Olivenbüschen Cypressen und Pinien erheben – all dies versetzt uns nach Italien. Und italienisch ist auch das Klima, dessen Gunst der Traminer sein berühmtes Feuer zu danken hat. Die Bewohner von Tramin jedoch sind Deutsche; deutsch klingt das Geplauder der waschenden Mägde vor den großen steinernen Brunnen und die kräftige Rede der Fuhrknechte und Küfer, die vor dem und jenem Haus an den rinderbespannten Lastwagen um die Verladung mächtiger Weinfässer besorgt sind. Heinrich Noë, der jüngst verstorbene vortreffliche Kenner der Schönheiten Tirols wie seiner Weine, faßt diesen Eindruck in die Worte zusammen: „Aus unserer Staatengeschichte haben wir, uneingedenk unserer Ahnen, die Empfindung in uns aufgenommen, daß wir ein nordisches oder wenigstens transalpines Volk seien. Wir fühlen uns fremd in der Nähe von Oelbäumen. – Hier aber wird die Muttersprache noch immer im Schatten des Feigengeästs, des Lorbeers, des Oelbaums, der Myrte und der Pinie gesprochen.“ Freilich ist die italienische Sprachgrenze nicht weit. Schon die nächste Station der Südtiroler Eisenbahn, Salurn, ist das letzte der deutschredenden Dörfer. Und auch die prächtige Alpenstraße, die sich hoch oben hinter dem Monte Roën vom Ueberetsch zum Mendelpaß emporwindet, führt in Thäler mit bereits welscher Bevölkerung. Im Etschthal selbst ist aber die Sprachgrenze wenigstens keine Weingrenze! Und auch jenseit der ersteren wachsen Reben, die von einem so patriotisch fühlenden Kenner wie Heinrich Noë, selbst neben dem „Traminer“, höchsten Preises wert gefunden wurden. P.     

Polizeiliche Begleitung der Eisenbahnzüge. Auf den ersten deutschen Eisenbahnen war die Begleitung durch Eisenbahnpolizisten allgemein üblich. So auf der Leipzig-Dresdner Bahn, der Berlin-Leipziger Bahn u. a. Der § 5 der Dienstinstruktion für die Polizisten der Bahn Berlin-Leipzig lautete wie folgt: „Der polizeiliche Begleitbeamte hat sich eine Stunde vor der Abfahrt des zu begleitenden Wagenzuges auf dem Bahnhofe einzufinden, um die zur Mitreise eintreffenden Personen zu beobachten und diejenigen nach ihrer Reiselegitimation zu fragen, bei denen er solches zu bezweifeln irgend eine genügende Veranlassung zu haben glaubt.“ Das waren die Zeiten des allgemeinen Paßzwanges in Deutschland.

In dem konservativen Spanien ist diese bei uns längst abgeschaffte Einrichtung noch in vollem Schwange. Kein Zug wird dort abgelassen, der nicht von zwei bewaffneten Gendarmen (guardia civil) begleitet wäre. Ihnen ist die Ueberwachung des Zuges und die Aufrechterhaltung der Ordnung in den Stationen aufgetragen, und ihr Dienst ist regelrecht durch Ablösung geordnet. Der Anblick dieser durchweg hochgewachsenen, prächtigen und äußerst sorgfältig uniformierten Männer erweckt in dem Fremden, wie ein neuerer Reisender schreibt, besonderes Vertrauen. – Der eigentliche Zweck dieser Einrichtung mag den Spaniern wohl die Bekämpfung des früher dort eingerissenen Räuberunwesens gewesen sein.


Inhalt: Trotzige Herzen. Roman von W. Heimburg (11. Fortsetzung). S. 181. – Oelmühle im Borghettothale bei Bordighera. Bild. S. 181. – Ein Festtag in Inner-Indien. Von Dr. K. Boeck. S. 183. Mit Abbildungen S. 184 und 185, 188, 189, 190 und 191. – Die Vogelwarte Helgoland. Von Dr. Kurt Lampert. S. 191. Mit dem Bildnis von Heinrich Gätke S. 192. – Caligula und Tito. Novelle von H. Rosenthal-Bonin (Schluß). S. 192. – Ein Feinschmecker, Bild. S. 193. – Die Industrie der Lebenslust. Skizze aus der modernen Technik. Von W. Berdrow. S. 195. – Tramin. Bild. S. 197. – Blätter und Blüten: Vermißten-Liste der „Gartenlaube“. S. 198 – Oelmühle im Borghettothale bei Bordighera. Von Woldemar Kaden. S. 199. (Zu dem Bilde. S. 181.) – Ein Feinschmecker. S. 199. (Zu dem Bilde S. 193.) – Ernst Keils Geburtshaus in Langensalza. Mit Abbildung. S. 200. – Tramin. S. 200. (Zu dem Bilde S. 197.) Polizeiliche Begleitung der Eisenbahnzüge. S. 200.


Nicht zu übersehen! Mit der nächsten Nummer schließt das erste Quartal dieses Jahrgangs der „Gartenlaube“; wir ersuchen die geehrten Abonnenten, ihre Bestellung auf das zweite Quartal schleunigst aufgeben zu wollen.

Die Postabonnenten machen wir noch besonders darauf aufmerksam, daß der Abonnementspreis von 1 Mark 75 Pf. bei Bestellungen, welche nach Beginn des Vierteljahrs bei der Post aufgegeben werden, sich um 10 Pfennig erhöht.

Einzeln gewünschte Nummern der „Gartenlaube“ liefert auf Verlangen gegen Einsendung von 30 Pfennig in Briefmarken direkt franko die Verlagshandlung:

Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. 



Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner in Stuttgart. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig.
Druck von Julius Klinkhardt in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 200. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_200.jpg&oldid=- (Version vom 4.7.2023)