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verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

aufgesetzt wie ein Ulanenoffizier die Czapka und schwenkte eine Reitpeitsche in der Hand.

Aenne starrte ihm nach wie entgeistert, die ausgestreckte Hand gegen den Stamm einer Buche gestemmt. Hatte sie denn recht gesehen? Und plötzlich überflutete eine Purpurröte ihr Gesicht, sie raffte den Hut, der ihr entfallen, von der Erde auf und schritt in entgegengesetzter Richtung davon, hastig, als sei in der Nähe des kleinen Pavillons die Luft verpestet. Erst als sie den Schloßplatz betrat, als sie die Fenster ihres Vaterhauses erblickte, wich das Gefühl von Ekel und Beschämung, das sich ihrer bemächtigt hatte. Aber sie sah noch ganz elend aus, nun sie die Eßstube betrat, in der eben die Mutter den Kaffeetisch deckte, über dessen Geräte die Sonnenstrahlen golden spielten, die durch die jungen Blätter der Kastanien blitzten.

Tante Emilie stand am offenen Fenster und fütterte die Hühner; sie hatte das Vergnügen so lange entbehren müssen.

„Da ist sie schon wieder im Park umhergerannt,“ knurrte Frau Rat und schnitt den Napfkuchen an, der für Aenne gebacken war. „Kriege ich einen Kuß – oder nicht?“

„Zwei, Mütterchen! Siehst du, ich hatte so große Sehnsucht nach dem alten Garten.“

„Der ist der alte geblieben,“ sagte die Rätin, „aber sonst ist vieles anders geworden.

„Wie geht’s denn Kerkow?“ fragte sie leise und sah dabei Tante Emilie an, die eben die letzten Brocken dem Hühnervolk zuwarf.

„Kerkow?“ Frau Rat zuckte die Achseln, ordnete noch ein wenig die Tassen und fügte dann hinzu. „Ist ein hochmütiger Simpel geworden nach außen und – –“ „Und?“ fragte Aenne.

„Und daheim ist er Kindermädchen.“

„Hat er mehrere Kinder?“

„Zum Glück nur eins, das Krüppelchen, das sein Elend der eignen Mutter zu verdanken hat.“

Aenne atmete auf. Gottlob, das arme kleine Geschöpf hatte wenigstens einen Vater, der es liebte! Und sie setzte sich schweigend an den alten Familientisch.“

„Armer Heinz!“ klang es in ihrer Seele, „armer Heinz!“


Frau von Kerkow war in sommerlicher Gesellschaftstoilette, der Wagen stand vor der Thür, sie wartete nur noch auf Frau von Gruber. Das große Konzert des Sängerfestes in der benachbarten preußischen Kreisstadt Brendenburg sollte heute abend stattfinden. Natürlich hatte Heinz ihre Aufforderung, sie zu begleiten, einfach abgelehnt, ohne irgend welchen Grund anzugeben, die Familie Arnstein hatte Trauer bekommen – und so war die junge Frau genötigt gewesen, sich nach einer andern Beschützerin umzusehen, denn es schickte sich natürlich nicht, daß sie allein mit Lieutenant Grellert drei Meilen über Land fuhr und mit ihm bei nachtschlafender Zeit zurückkehrte! Es war ja nun einmal so in dieser albernen, verklatschten Welt! Toni von Kerkow hatte also die Tante Gruber mit allen Ueberredungskünsten bestürmt, die sie für diesen ihren brennendsten Wunsch nur erdenken konnte.

Die alte Dame hegte begründete Bedenken ihrer Gesundheit halber, aber sie wichen endlich dem Schmeicheln der jungen Frau. Toni von Kerkow richtete eigenhändig die Toilette des lieben Tantchens her, drängte ihr einen Spitzensonnenschirm auf, den sie im vorigen Sommer getragen, und sagte zu Ende der Besprechung noch, indem sie die letzten Stiche an dem Faconhütchen der Tante machte. „Nun, und sieh’ ’mal, wenn es dir ja zu anstrengend werden sollte, so fährst du früher wieder heim, Grellert und ich werden schon irgend eine Gelegenheit zur Rückfahrt finden, schlimmstenfalls mit einem Mietswagen. Es ist ja nur, daß diese braven Spießbürgerinnen, diese Klatschtanten – die Frau Oberamtmann, die Medizinalrätin und die Superintendentin – mich nicht solo mit Grellert abfahren sehen, sie machten sicher einen großartigen Skandal daraus zurecht das Nachhausekommen sieht ja keine von ihnen.

Frau von Gruber hatte ob dieser etwas zweifelhaften Auseinandersetzung eine spitze Nase bekommen und sich scharf geräuspert, aber die junge Frau war lächelnd und mit einer Kußhand aus dem Zimmer geeilt, und die pensionierte Hofdame hatte ihre Sittenpredigt nicht mehr zu den Ohren der leichtlebigen Nichte bringen können. –

Es war ein heißer Frühsommernachmittag, gegen fünf Uhr. Toni von Kerkow hatte am Fenster gestanden und alle die herrschaftlichen Wagen gezählt, die bereits die Chaussee hinabfuhren. Oberamtsmann und Superintendent im Break zusammen, und die pensionierten Offiziersfamilien im langen Omnibus des Hotels: Mays in einem Landauer. Natürlich fuhr heute die ganze Familie May, da die Tochter die große Solopartie zu singen hatte. – Wo nur Tante blieb, oder vielmehr Tantens Jungfer, die melden sollte, daß die alte Dame bereit sei? Von dem Jungen und ihrem Manne hatte Toni bereits nach Tische Abschied genommen. Heinz saß nun in seiner Eigenschaft als Bonne wieder irgendwo im Park mit dem Kind. – Nun, wenn es ihm Spaß machte!

Sie seufzte tief und runzelte die Stirn – es war zum Verzweifeln, an diesen Mann gekettet zu sein!

Endlich pochte es, die Jungfer der alten Hofdame trat ein. „Gnädige Frau lassen bitten, Frau von Kerkow möchten nicht böse sein, aber es sei ihr unmöglich, mitzufahren. Gnädige Frau haben eben einen Ohnmachtsanfall gehabt, wahrscheinlich infolge der Hitze.“

Toni sah plötzlich ganz blaß aus. „Friedrich soll den Herrn Schloßhauptmann suchen,“ befahl sie dann, „und sagen Sie meiner Tante, daß ich sehr bedauere, und ich lasse gute Besserung wünschen. Pflegen Sie Ihre Dame gut, ich kann leider nicht mehr persönlich nachsehen. Es hat doch wohl nichts auf sich?“

„Nur der alte Gesichtsschmerz, aber stärker, gnädige Frau,“ antwortete das alte Mädchen, mit dem spitzen, ewig griesgrämigen Gesicht.

„Sagen Sie Friedrich nur, er solle sich beeilen; der Herr wird in der Nähe des kleinen Pavillons sitzen mit Heini.“

Heinz trat nach wenigen Minuten wirklich ein. Toni stand in der Mitte des Zimmers neben einem zierlichen Tischchen, auf dem sich eine Glasschale mit weißen Rosen befand. Das Dämmerlicht, das durch die halb geschlossenen Jalousien fiel, hatte eine grünlich kalte Färbung, und Heinz, der soeben aus dem strahlenden goldigen Sommersonnenschein kam, war wie geblendet, und das erregte Gesicht seiner in blaßlila Foulard gekleideten Frau entging ihm dadurch.

„Wünschst du noch etwas?“ fragte er in seiner müden Art.

„Ja,“ sagte sie. „Du mußt mich begleiten nach Brendenburg, ich bitte dich, beeile deine Toilette, sonst versäumen wir den Anfang des Konzertes.

„Ich muß dich begleiten? Warum denn?“ „Weil ich nicht allein fahren kann mit Lieutenant Grellert.“ „Hattest du denn beabsichtigt, ihn in deinem Wagen mitzunehmen? Davon wußte ich nichts!“

„Das hast du natürlich wieder vergessen!“ „Du warst ja dabei vor ein paar Tagen, als ich ihn aufforderte dazu. Na, kurz und gut, Tante ist krank geworden, und aus diesem Grunde bitte ich dich, daß du mitkommst, das ist doch schrecklich einfach!“ „Ich fahre nicht mit,“ sagte er ruhig. „Wenn es durchaus sein muß, daß du dabei bist, so laß Hedwig bitten, dich zu begleiten; am richtigsten finde ich aber, du bleibst zu Hause. Heini gefällt mir heute nicht, er fiebert entschieden, und da auch Tante krank ist, wie du sagst, so – –“

„So werde ich allein mit Grellert fahren“ unterbrach sie Heinz, nahm ihren Sonnenschirm vom Tische sowie ein paar Marschall Niel-Rosen und trat vor einen in der Ecke angebrachten riesigen Spiegel, als prüfte sie noch einmal ihre Toilette. Heinz sah, wie die seidene Schleife, mit der ihr Capothütchen zur Seite des Kinnes geknüpft war, bebte, wie ihre Finger zitterten als sie die Rosen in den Gürtel zu stecken bemüht war. „Das wirst du nicht!“ sagte er ruhig.

Sie fuhr herum wie von einer Schlange gebissen „Ich würde nicht – nicht thun dürfen, was ich will? Du erlaubst dir, mir zu verbieten – –“

„Ja, ich verbiete dir, in Begleitung des Lieutenants Grellert nach Brendenburg zu fahren.“

Sie lachte kurz auf und ihre Augen funkelten ihn an.

„Solange du noch meine Frau bist, verbiete ich es dir, ich habe nicht Lust, die lächerliche Rolle eines hintergangenen Ehemanns zu spielen.“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 206. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_206.jpg&oldid=- (Version vom 28.11.2016)