Seite:Die Gartenlaube (1897) 208.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Ertappt.

Skizze aus Tirol von Karl Wolf-Meran.
(Mit dem nebenstehendem Bilde.)

Die zwei Reichenhofer Buben, die hatten die Lustigkeit gepachtet.

So sagten die Leute weitum und sie hatten nicht gerade unrecht. Ein kernfrischer Bub’ und ein lebfrisches Diendl, denen ist’s die höchste Lustigkeit, wenn es tanzerisch hergeht. Und das verstanden die zwei Reichenhofer anzurichten.

Beim „Hirschen“ drunten, die große Stube, das war schon ein förmlicher Tanzsaal. Kamen dann am Sonntagnachmittag die zwei Burschen daher, so setzten sie sich ruhig hinter den großen Tisch in der Ecke und mit freundlichem Gruß stellte ihnen die Kellnerin zwei Maßkrüge Bier vor. Erst schob nun der eine und dann der andere mit freundlichem Nicken den Krug der Kellnerin hin; die that Bescheid und wischte sich mit dem Rücken der Hand den Mund.

Die übrigen Burschen aber und auch die Diendlen begannen alsbald die Stühle und Bänke hinauszutragen, was oft nicht ohne Zank mit jenen Gästen abging, die gerne weiter behaglich und ruhig hinter dem Tische gesessen wären. Die Kellnerin füllte sich einen großen Trichter mit Wasser, verhielt mit dem Zeigefinger die halbe Oeffnung unten am Auslauf und besprengte den staubigen Stubenboden.

Nach all diesen Vorbereitungen langte der ältere Reichenhofer eine kleine siebensaitige Zither hervor und stellte sie handgerecht vor sich auf den Tisch. Der jüngere aber wickelte aus seinem Taschentuche hinter dem Leibgurt einen „Maulhobel“, wie sie bei uns die Mundharmonika nennen, und der Zitherspieler stimmte mit einigen wenigen Griffen sein Instrument.

Dann begannen die beiden zusammen zu spielen, erst leise und zart, wie zwei Vögelein, welche ihre Kameraden und Kameradinnen anlocken wollen. Schöne alte Liederweisen, künstlich verschlungene und verzwickte Ländler, wie Jodler aus weiter Ferne, ließ da die Mundharmonika erklingen, und lustig begleitete die Zither. Hei, wie begannen da die Augen der Burschen zu leuchten, den Diendlen klopfte das Herz bis zum Halse hinauf, man konnte es am Zittern der Sträußchen bemerken, welche sie hinter das Mieder gesteckt hatten.

Die Reichenhofer waren nie zu bewegen, sofort mit der Tanzmusik zu beginnen. „Sell taugt nit,“ sagte immer der ältere der zwei Brüder. „D’ Musi is wie a Feuer. Stell’ a Haferl kräftige Supp’ auf ’n Dreifuß übers Feuer und lang glei eini mit’n Löff’l. Kuan Rachn und kuan Gschmachn! Wenn’s aber aufkocht hat ’s Süpperl, Mandl, zelm ist ’s guat! D’ Musi muß an Menschen erst beim Herz packen, ’s Bluat muß rebellerisch werden, nachher taugt sie erst zum Tanz.“

„Mei Diendl is herzi,
Ihr Aeugerl so blau,
Mi machts fölli narrisch
Dös tiafschichti Gschau.“

So spielten die zwei Bauernmusikanten leise und nun fiel die Zither in das allbekannte Lied ein.

„Diendl kumm’ her zu miar,
Laß di hals’n
Es klingt so heut fast gar schiar
A Musi zum walz’n!“

Da jauchzte der Schilfer Toni hell auf. Seinen Hut drehte er keck herum, daß die Feder vorne stand, als ging’s zum Kampfe. Mit zierlichen Walzerschritten schleifte er durch die Stube, schnalzte und klatschte mit den Händen nach der Melodie der Tanzweise. Schmeichelnd und werbend tänzelte er vor dem Stuhle, auf welchem des Försters Lenerl saß und lächelnd dem Treiben des schmucken Burschen zusah. Endlich stand auch das Diendl auf, die Tanzlust leuchtete ihr schon längst aus den Augen. Schelmisch stützte sie die rechte Hand auf die volle Hüfte und walzte hinein mitten in die Stube. Toni folgte. So oft er seine Tänzerin fassen wollte, wußte sie ihm zu entschlüpfen. Da machte er immer neue Kunststücke. Förmliche Weisen und Melodien schnalzte und klatschte er mit seinen Händen auf Schenkel und Waden. Mit kraftvollem Sprung schoß er in die Höhe, so daß er mit seinen flachen Händen selbst auf die Schuhsohlen schlagen konnte, und ein heller Jauchzer begleitete jedesmal dieses Kunststück.

Endlich wurde auch die Tänzerin nachgiebig. Lächelnd reichte sie ihrem Partner beide Hände und in kunstvollen Verschlingungen tanzten die beiden weiter. Ein guter Schuhplattler weiß es aber so einzurichten, daß die letzte Verschlingung mit seiner Tänzerin eine so innige wird, daß er völlig Aug’ in Aug’ mit ihr zu stehen kommt. Ein herzhafter Kuß ist zumeist der Schluß. So geschah es auch hier. Dem Lenerl war der Ausgang nicht unerwünscht, denn sie war dem Schilfer Toni von Herzen zugethan.

Auch der Förster hatte nichts dagegen einzuwenden, der Toni war einer der reichsten Bauernsöhne im Thal und der alte Schilferbauer hatte sich erst im vergangenen Jahre ein recht nettes Ausgedinghäuserl erbaut am Rande des schönen Buchenwaldes.

Schmunzelnd strich er sich, an der Thüre des Herrenstüberl lehnend, mit der Pfeifenspitze den Schnurrbart links und rechts auseinander, als sich das Paar näherte: „Bist schon ein fixer Plattler, Toni,“ lobte er, „und an Eifer hast gehabt, i hab’ frei gmeint, beiß’n willst sie, die Leni, zum Schluß.“

„Aber geht’s,“ Vater, wehrte tief errötend das Mädchen ab. „Jetzt, Toni, kumm einer,“ lud der Förster den Tänzer seiner Tochter ein, „kumm einer und ruh’ di aus bei einer frischen Maß!“

Das war nun für den Bauernburschen eine besondere Ehre, in das Herrenstüberl gerufen zu werden. Sowie er sich gegen die Thüre wendete, erblickte er, beim Ofen sitzend, den sogenannten „Kragler“, einen übelberüchtigten Menschen. Den Namen hatte er, weil es allgemein bekannt war, daß er dem Wild mit Schlingen nachstellte. Trotz solcher mit aller Bestimmtheit auftauchenden Gerüchte war es aber dem Forstpersonale nie gelungen, den alten Spitzbuben auf frischer That zu erwischen.

Einmal war er ertappt worden, als er eine frische Rehdecke zum Verkauf anbot. Flugs waren die Jäger zur Hand und stolz führten sie den Kragler durch das Dorf in die Stadt, um ihn den Gerichten zu überliefern. Mit schlauem Schmunzeln erklärte er dort, die Decke habe er auf des Försters Dachboden gestohlen. Als sich die Richtigkeit dieser Angabe herausstellte, wurde er zu drei Wochen verurteilt, welche Strafe er mit der Bemerkung annahm: „Schau, schau, wia dös taugt! Der Natzer Luis, a Dokter, wia ös kein habt in der Stadt, hat g’meint, mein gichtig’s Knie a drei Wöchlen rasten sollt’s halt können! Und jetzt hab i sie, die drei Wöchlen.“

Der Kragler, schon ein älterer Mann mit einer Glatze, zumeist in verschlissenen Kleidern herumgehend, zwinkerte dem Toni mit einem Auge zu und deutete mit seiner Pfeifenspitze über seinen Rücken. Der Toni bemerkte es recht gut, verzog aber keine Miene. Auch der Förster hatte seinen alten Feind bemerkt und fluchte in den Bart über den Halunken. –

Gar manches Tänzlein wurde noch gemacht und des Försters Lenerl war überglücklich, denn der Toni hatte nur für sie Aug’ und Ohr und sie wurde darob nicht wenig beneidet. – – – – – – – – – – – – – – –

Der Förster und der Forstwart schritten durch den Wald. „Jetzt laß mi mit Ruh’!“ ruft der Alte. „Kuan Wort will i mehr hören, hast mi verstanden? Ist schon döcht aus der Weis’, was a eifersüchtiger Mensch nit alles für Geister und G’spenster sieht.“

„Mein’twegen“, brummt der Forstwart, „i hab’ do recht. Der Kragler und der Schilfer Toni sein zwei feine. Aber i kumm’ ihnen no auf die Schlich’, sell schwör’ i! Bin nit umsonst Nacht für Nacht draußt g’leg’n im Forst, wie a fauler Baumstrunk hinten am Fels’n. Nit umsonst hab’ i den Schilfer Toni und den Kragler nit lei oanmal ausg’macht. In der Schwarzschlucht, nachher drobnet bei die Salzlecken und oanmal drunt bei die fünf Birk’n, nit unweit von dem Kragler seiner Hütt’n. Forstmeister, i warn di!“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 208. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_208.jpg&oldid=- (Version vom 15.1.2018)