Seite:Die Gartenlaube (1897) 212.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

aufgetrieben und besitzt dicht unter dem ersten Blattpaare zwei Längsfalten, die sich oft über die halbe Länge der Anschwellung ausdehnen. Die Ränder dieser Schlitze sind wulstig aufgeworfen und verlaufen gleichmäßig, nur an einer oder zwei Stellen bemerkt man in den Wulsten eine Unterbrechung, und an diesen Punkten befindet sich regelmäßig eine kreisförmige Oeffnung von etwa 1 mm Durchmesser, welche zahlreichen Ameisen als Ein- und Ausgangspforte dient. Sehr auffällig und gewiß ein treffender Beweis dafür, daß die Pflanze sich an das Bedürfnis der sie schützenden Tierchen angepaßt hat, ist der Umstand, daß sie die beschriebenen Stengelanschwellungen nur unterhalb der Blütenstände ausbildet; gerade die Blüten sind den Angriffen honigraubender Insekten am meisten ausgesetzt und bedürfen eines ausgiebigen Schutzes, den sich die Pflanze natürlich durch derartige Einrichtungen am besten sichert. Auch andere Duroia-Arten verhalten sich ähnlich wie unsere D. hirsuta. Vollkommen ähnliche Verhältnisse finden wir ferner auch in der Alten Welt, der malayische Archipel birgt eine Art aus dem Geschlechte der Muskatbäume, die Myristica myrmeciphila, deren blühende Aeste Hohlräume aufweisen, die einer Schutztruppe von Ameise als Heimstätten dienen.

Zum Teil noch kompliziertere Bildungen sind die Ameisenwohnstätten, welche sich auf den Blattflächen zahlreicher amerikanischer Arten der in den Tropen beider Hemisphären verbreitete Familie der Melastomaceen fast regelmäßig vorfinden. Tococa lancifolia (Fig. 6), ein Vertreter dieser Pflanzengruppe, der die vom Amazonenstrom durchflossenen Länder nebst zahlreichen Verwandten bewohnt, läßt die Einrichtung dieser eigentümlichen Organe mit am besten erkennen. Das schlanke lanzettförmige Blatt wird von drei stärkeren Nerven durchlaufen, wie es fast bei allen Melastomaceen Regel ist. Auf der Oberseite sieht man vom Blattgrunde aus auf eine 3 bis 4 cm lange Strecke ein gewölbtes Blasenpaar hervortreten, das auf der Unterseite flach ist. Hier liegen die beiden gesonderten Eingangsöffnungen von 4 bis 5 mm Länge, und zwar stets dort, wo die beiden Seitennerven von dem Hauptnerven abgehen, also in den Nervenachseln. Alle diese Blasen oder Schläuche werden von Ameisen bewohnt; es ist aber auch bei diesen Pflanzen sehr bemerkenswert, daß sich diese Ameisenherbergen stets nur in der Nähe der Blütenstände ausbilden. Fanden wir die Zugangspforten zu den Wohnungen der Tierchen bei der soeben besprochenen Art auf der Unterseite der Blätter, so zeigt eine nahe Verwandte der uns schon bekannten Duroia hirsuta, nämlich D. saccifera, welche ebenfalls am Amazonas wächst, dieselben auf der Blattoberseite. Am Grunde der großen quirlig gestellten Blätter sitzen zu beiden Seiten des Stieles und mit ihm eng verwachsen zwei beutelförmige Behälter, welche gesonderte Eingänge haben (Fig. 3). Auch diese werden von Ameisen bewohnt. Bei einer derartigen Lage der Zugänge würden die Gäste der Pflanze jedoch durch den vom Blatte herablaufenden Regen nicht unerheblich belästigt, ja, sie würden durch das Wasser bald aus ihren Wohnungen vertrieben werden, wenn nicht die Natur eine Vorkehrung gegen diesen Uebelstand getroffen hätte. Wir bemerken an Fig. 3 deutlich, daß sich über dem Eingange ein Dach gebildet hat, dasselbe ist dadurch zuwege gebracht, daß das Blatt eine Falte geformt hat, auf deren Grunde die Pforte sich befindet. Die vordere Kante dieses schützenden Schirmes ruht auf dem Blasenkörper, und so wirkt es auf doppelte Weise. einmal hält es die fallenden Tropfen ab, anderseits fließt das Regenwasser über die Blase ab.

Zum Schluß möge noch auf eine sonderbare Bildung hingewiesen werden, die zwei in Mittelamerika und auf den Antillen wachsende Akazien aufweisen. Acacia spadicigera, welche wir dem Leser in Fig. 5 veranschaulichen, besitzt am Grunde der doppeltgefiederten Blätter je ein Paar in Stacheln umgewandelte Rebenblätter, die aber so unverhältnismäßig groß und angeschwollen sind, daß sie an das Hörnerpaar eines Büffels erinnern. Daß das hohle Innere derselben, in welches eine kleine runde, an der Spitze des Stachels gelegene Oeffnung führt, von äußerst bissigen Ameisen bewohnt wird, war bereits im vorigen Jahrhundert bekannt, und Jacquin erzählt uns in seinem Buche über die amerikanische Pflanzenwelt (1763), daß die Tierchen bei der geringsten Beunruhigung aus ihren Wohnsitzen herauseilen, förmlich wie ein Regen auf den Störenfried herabfallen und ihn aufs empfindlichste peinigen.

Die beidseitigen Vorteile, welche sich aus den Wechselbeziehungen zwischen Gewächsen und Ameisen ergeben, lassen sich also dahin zusammenfassen daß die Pflanze ihre Gäste eine gegen alle Unbilden des Wetters vortrefflich geschützte Wohnstätte gewährt, ihnen aber auch in honigartigen Absonderungen gewisser Drüsen oder in sehr nährstoffreichen Ausschwitzungen ausgiebige Nahrung darbietet. Die Ameisen ihrerseits erweisen ihren Wirten als Gegenleistung, wie wir wiederholt gesehen haben, wirksamen Schutz gegen die Angriffe von Feinden aller Art, und ihre Waffen sind so stark, daß selbst nicht einmal der Mensch ihnen standzuhalten vermag.


Der Aktiengarten.

Von Isolde Kurz.

Wir gingen die dunkle Riva degli Schiavoni in Venedig entlang und sahen dem Vollmond zu, der wie eine Riesenmelone über den Kuppeln und Türmen von San Giorgio Maggiore heraufschwebte. Die Flut war im Steigen und klatschte leise gegen das mächtige am Quai verankerte Frachtschiff, auf dessen höchster Mastspitze ein Stern wie ein Schiffslicht funkelte. Schattenhaft huschte die schwarzen Gondeln vorüber, flüssiges Silber von den Rudern spritzend, der Canal grande flammte mit seinen tausend Lichtern wie in Festbeleuchtung vor uns und vom Markusplatz wehten vereinzelte Klänge der Militärmusik herüber.

Ich war fast betroffen, als ich in der feierlichen Stille plötzlich meine eigene Stimme sagen hörte.

„Wunderbar solch eine venetianische Nacht!“

„Venetianische Nacht“, wiederholte mein Begleiter vor sich hin, und es war seinen Worten anzuhören, daß sie aus einer weiten Ferne, aus einer tiefen Versunkenheit heraustönten. – „Venetianische Nacht,“ sagte er noch einmal, jede Silbe betonend, als ob er einen Wohlgeschmack auf der Zunge hätte, und dann, wie durch seine eigene Stimme geweckt, setzte er hinzu:

„Sie glauben nicht, wie wunderbar und heimlich eigen diese Worte für mich klingen, sie rufen mir die seligste Stunde meines Lebens zurück, eine venetianische Nacht in meinem armen deutschen Heimatstädtchen, vor deren unbeschreiblichem Glanz auch diese gegenwärtige Schönheit verbleicht. – Wie das möglich ist? – Ich hatte damals fünfjährige Augen und eine fünfjährige Einbildungskraft.

Ich lebte zwischen meinem vierten und meinem sechsten Jahr bei den Großeltern in einem kleinen Städtchen, das alt ist ohne altertümlich zu sein und einem Erwachsenen keinerlei Reize bietet; für mich aber war es der Paradiesgarten, die nie wieder zu findende selige Insel. Die Gestalten, die ich dort sah, leben noch heut’ in meinem Gedächtnis als die ewigen Urtypen der Menschheit und alle Dinge glänzten damals von innen heraus, wie ich nie wieder ein Ding auf Erden werde glänzen sehen. O die unaussprechliche, die entzückend blanke Neuheit aller Dinge! Die Erinnerung daran begleitet uns als ein stummes Trauern und Bedauern, daß diese Herrlichkeit vergehen mußte, ohne daß man dazu kam, sie recht zu begreifen, denn während die Seele noch denkt, das Wunderbare müsse erst kommen, da ist es auch schon vorüber und der bessere Teil des Lebens liegt hinter uns.

Unser Garten lag an einem Flüßchen, welches die Lauter hieß, aber seinem Namen wenig Ehre machte, denn es floß meist so trübe, daß man trotz der Seichtigkeit den Grund nicht sehen konnte. Dennoch verbildlicht mir der Name Lauter noch heute den Fluß der Flüsse, und das Schiffchen, das mir einst der Großvater aus alten Cigarrenschachteln zusammennagelte, um es an einem Bindfaden auf der Lauter schwimmen zu lassen, steht schöner, vollkommener und bedeutender in meiner Erinnerung als die stolzen Lloyddampfer, mit denen ich später den Ocean befuhr, diese erschienen mir oft nur wie niedliches Kinderspielzeug, aber das wahre Schiff, das Urbild und der Inbegriff aller

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 212. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_212.jpg&oldid=- (Version vom 5.7.2023)