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Eine Straße in Kanea nach dem Brande.

Damals zählte Kreta, das etwa halb mal so groß ist wie das Königreich Württemberg, gegen eine Million Einwohner, heute beträgt die Einwohnerzahl nur etwa eine Viertelmillion. Ehemalige Städte liegen in Trümmern, die fruchtbaren Thäler sind zum Teil verödet. Wahr ist ja das Sprichwort, daß unter der türkischen Herrschaft selbst das Gras nicht wachsen will – wenigstens nicht in den Ländern, wo das Kreuz sich unaufhörlich gegen den Halbmond erhebt. Und Kreta ward von den Türken niemals gänzlich unterjocht. Die Balkanvölker haben ihre „Schwarzen Berge“ in dem kleinen Montenegro, das alle Stürme der Muselmanen tapfer zurückschlug. Kreta ist stolz auf seine „Weißen Berge“, in denen stets eine Schar unbezwungener Kreter ihre Unabhängigkeit zu wahren wußten. In jenen Bergen im Südwesten der Insel, die während der Wintermonate den glänzend weißen Schneemantel tragen, in den wildzerklüfteten Hochthälern der Landschaft Sphakia sann man seit zwei Jahrhunderten auf Rache, träumte den Traum der goldenen Freiheit, nährte den Haß gegen den Türken, der die christliche Bevölkerung in das Joch der Sklaverei gespannt hatte. Mochten noch so viele der kretischen Griechen in den Städten und Dörfern an der Meeresküste sich vor dem Sieger gebeugt und das Kreuz verleugnet haben, die Söhne der Berge blieben dem Glauben ihrer Väter treu und kannten nur eine Losung: den Kampf gegen die fremden Bedrücker. Ein ewiger Krieg mildert nicht die Sitten. Das zeigte sich auch vielfach bei den kretischen Christen, sie wurden hart und grausam, aber ihrer Tapferkeit, ihrer zähen Ausdauer muß man die vollste Anerkennung zollen.

Der Insurgentenführer Pappa Maleko.

Die Aussichten der Kreter auf endliche Abschüttelung des verhaßten Joches erhielten zu Anfang dieses Jahrhunderts neue Nahrung, als der Aufstand in Morea ausbrach und das Volk der Hellenen erfolgreich um seine Freiheit kämpfte. Im Maimonat des Jahres 1821 entfalteten auch die Sphakioten ihr Kriegsbanner und ihrem Beispiel folgte der Rest der christlichen Bevölkerung. Die Mohammedaner wurden in die befestigten Küstenstädte zurückgedrängt, jahrelang tobte der Kampf, aber Europa sah sich nicht bewogen, Kreta mit dem befreiten Mutterlande zu vereinen. Es wurde den Türken überliefert und der Vicekönig von Aegypten übernahm die Beruhigung der Insel. Die Christen wurden besiegt, aber die Bedrückungen, denen sie ausgesetzt waren, ließen den Haß stets von neuem auflodern. Aufstände folgten auf Aufstände, der Vernichtungskampf tobte auf Kreta in den Jahren 1833, 1841, 1858, 1866 bis 1869, 1887 und 1889. Selbstverständlich wurden die Aufständischen stets vom Mutterlande unterstützt.

Die letzte Erhebung der Kreter, die im vorigen Jahre stattfand, steht noch in frischer Erinnerung; sie gab den europäische Großmächten Anlaß zu einem diplomatische Einschreiten; die Türkei wurde genötigt, der vielgeprüften Inselbevölkerung Erleichterung zu gewähren, es sollten Reformen eingeführt werden und man hoffte, daß bei der neuen Gestaltung der Dinge Christen und Mohammedaner friedlich nebeneinander leben würden. Leider wurden diese Reformen nicht rasch genug ins Werk gesetzt und die Unruhen brachen auf Kreta von neuem los, ja, sie gewannen eine Bedeutung wie kaum einer der früheren Aufstände.

Bereits Ende Januar dieses Jahres kam es zu Reibungen zwischen der christlichen und der mohammedanischen Bevölkerung und Anfang Februar wurden die Parteien miteinander handgemein, Kanea, die wichtigste an der Nordküste gelegene Hafenstadt Kretas, die gegen 12 000 Einwohner zählt, wurde zum Schauplatz wütender Straßenkämpfe.

Am 5. Februar stand das christliche Viertel in Flammen, die gefüllten Oelspeicher gaben dem Feuer mächtige Nahrung, während türkische Haufen plündernd und sengend einbrachen und den Schrecken vermehrten. In dieser Not griffen die europäischen Kriegsschiffe, die im Hafen von Kanea ankerten, helfend ein, sie landeten Mannschaften, um das Feuer zu löschen und den Rückzug der Christen aus der bedrohten Stadt zu decken. Zu ähnlichen Zusammenstößen kam es auf anderen Punkten der Insel. Das waren Flugfunken, die einen längst aufgehäuften Zündstoff in Brand steckten.

Prinz Georg von Griechenland.

Alle Erhebungen der Christen auf Kreta haben stets den lebhaftesten Wiederhall in Griechenland gefunden. Auch diesmal arbeitete eine starke Volkspartei dahin, Kreta mit dem Königreiche zu vereinigen, und der Geheimbund „Ethnike Hetairia“ verstand es, die öffentliche Meinung derart aufzuregen, daß die Volksmassen selbst die Vereinigung der Insel mit Griechenland stürmisch verlangten. Diese Patrioten, die auf die Befreiung aller Griechen von der türkischen Herrschaft hinarbeiten, machten dadurch den verzweifelten Versuch, die orientalische Frage aufzurollen, den Krieg mit der Türkei anzuzetteln und somit den Weltfrieden zu bedrohen. Die griechische Regierung konnte ihnen nicht widerstehen. Man hoffte, daß einige Großmächte aus verwandtschaftlichen Rücksichten auf die Familie des Königs von Griechenland der Einverleibung Kretas zustimmen würden.

König Georg ist ein Däne; er wurde am 24. Dezember 1845 als Sohn Christians IX., Königs von Dänemark, geboren und, als er achtzehn Jahre alt war, zum König von Griechenland gewählt. Im Jahre 1863 bestieg er den Thron und im Jahre 1869 heiratete er die russische Großfürstin Olga Konstantinowa, sein ältester Sohn, Kronprinz Konstantin, Herzog

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verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 217. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_217.jpg&oldid=- (Version vom 4.7.2023)