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verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Trotzige Herzen.

Roman von W. Heimburg.

(13. Fortsetzung)

Toni lehnte mit verschränkten Armen an einem Zierschränkchen und starrte ihren Mann an; ihr fahles, unbedeutendes Gesicht war jetzt geradezu häßlich. „Nun?“ fragte sie, als die Thür sich hinter dem Diener geschlossen hatte.

„Ich habe seit längerer Zeit schon mit dir über den Umgang mit Lieutenant Grellert reden wollen, es ist mir nur immer peinlich gewesen, davon anzufangen. Da es sich heute aber gerade so günstig trifft, möchte ich dich bitten, mir zu erklären, was du dir bei diesem Verkehr mit Grellert eigentlich denkst, worauf du hinauswillst – sozusagen?

„Ich bedaure,“ antwortete sie, „du sprichst in Rätseln, du mußt dich deutlicher ausdrücken.“

Er schwieg ein Weilchen. „Du bist nahezu unzertrennlich von diesem Herrn“, sprach er dann. „Des Morgens trittst du Waldspaziergänge mit ihm an, zur Visitenstunde trifft man ihn in deinem Salon, den Fünfuhrthee geruht er unter meinem Dache einzunehmen, falls ihr euch nicht in irgend einem Salon deiner Bekannten oder zum Lawn Tennis trefft, und seit einiger Zeit scheint genannter Herr auch an meinem Tisch auf das Abendessen abonniert zu haben. Es mag ja dieser Familienanschluß ganz nett für ihn sein in Anbetracht der Langweiligkeit seines hiesigen Kommandos, aber es stört mich, ich bin nicht immer in der Stimmung, mit einem fremden Menschen zu konversieren und den höflichen Hausherrn zu spielen. Deshalb möchte ich wissen, aus welchen Gründen du besagten Herrn so außergewöhnlich ehrst und beschützest. Sind mir dieselben einleuchtend, so sei versichert, daß ich deinen Wünschen gewiß nicht hinderlich sein werde.“

Ihre Augen hatten sich zusammengezogen, sie blinzelte zu ihm hinüber, als wollte sie sich vergewissern ob das, was er da sagte, ironisch gemeint sei, aber sie sah nur in ein sehr ernstes und trotzdem gleichgültiges Gesicht. „Was meinst du damit? Was soll ich wünschen? Gründe? Ich habe keine Gründe – welch ein alberner Scherz! Zu deinem ganzen Benehmen paßt es wahrlich schlecht, den Eifersüchtigen zu spielen.“

„Den Eifersüchtigen? Nein, das würde nicht das richtige sein! Nur mit der Ehre meines Namens lasse ich nicht spielen, und deshalb möchte ich bitten, ganz ehrlich gegen mich zu sein! Glaube mir, die Misere unseres Zusammenlebens empfinde ich wahrscheinlich ebenso bitter wie du, aber so lange wir dieses Joch tragen wünsche ich, daß auch nicht der leiseste Tadel dich trifft. – Daß du dich hinaussehnst, nehme ich dir nicht übel, und wenn du mir jetzt sagst. Gieb mich frei, ich will den andern heiratem, so – –“

Sie stand plötzlich vor ihm, blaß, bebend, und trotzdem lachte sie mit den farblosen, zuckenden Lippen „So einfach ist das nicht – nein, so einfach ist das nicht, mein Lieber, den Gefallen kann ich dir mit dem besten Willen nicht thun! Lieutenant Grellert würde derjenige, der dich von mir befreit, nicht sein können, weil er eben eine Null ist in jeder Beziehung, weil er mir gar nicht ’mal gefällt! Ich plaudere mit ihm, um nicht zu sterben in der tödlichen Monotonie meines Lebens, er ist gerade der nächste dazu, und das werden ich mir nicht verbieten lassen! Ich verbiete dir ja auch nicht, in deinen Erinnerungen zu schwelgen, dich in neue Hoffnungen zu versenken, oder – glaubst du vielleicht, ich sei so mit Blindheit geschlagen gewesen von jeher, daß ich deine Herzensaffairen nicht kenne?“

Er sah an der eifernden Frau vorüber, als wäre sie gar nicht vorhanden, dann strich er sich über die Stirn als erwachte er aus einem tiefen Schlaf. „Was sollte ich wohl mit meiner Freiheit?“ sagte er leise. „Aber dafür will ich sorgen, daß diejenige, die meine Frau ist, die meinen Namen trägt, in Ehren besteht. Und deshalb – und erst allmählich erstarkte seine Stimme – „deshalb untersage ich dir das unwürdige Getändel mit dem Herrn Lieutenant.“

„Und wenn ich diesen Befehl nicht respektiere? Wenn ich dir sage, daß ich überhaupt gar nichts weiß von einem ,Getändel’? Wenn ich mir verbitte, wie ein Pensionsmädel von dir behandelt zu werden?“

Er schwieg.

„Nun, dann werde ich wohl eingesperrt? Dann darf ich wohl nicht mit am Tische essen? Dann muß ich vielleicht gar hungern? spottete sie und riß und zerrte an den Schleifen des Hütchens, und als sich endlich die Bänder lösten, schleuderte sie das zierliche Ding aus Fliederblüten und Spitzen auf den Tisch und warf sich in einen Sessel, ihren Mann wie ein gereiztes Tier anschauend.

„Dann“, sagte er, „bleiben mir noch andere Mittel und Wege.“

„Gott, wie romantisch! Wohl gar ein Duell?“ rief sie. „Armer Grellert!“ – Aber plötzlich hielt sie inne und ein kaltes, prickelndes Gefühl schlich ihr durch den Körper und sie fühlte, wie die Zunge ihr im Munde schwer ward. Sie dachte daran, wie vor ein paar Wochen die beiden Herren sich im Park im Pistolenschießen übten und wie ihr Mann nach einer Spielkarte schoß, nachdem er gesagt hatte. „Jetzt das Coeur-Aß heraus, und wie thatsächlich das winzige rote Herz aus seiner weißen Umrahmung gerissen wurde. Doch wenn auch – würde er je diese Kunst zu einer männlichen That gebrauchen – Ach, wie sie ihn haßte, wie er ihr zuwider war, der blasse Mensch mit dem stillen Gesicht und den müden, in Leid förmlich versunkenen Augen. Er stand noch immer am Kamin, strich langsam mit der Hand durch den Vollbart, den er jetzt trug und der ihn viel älter erscheinen ließ, und starrte auf dem Teppich umher. – Ein Greis im Anfange der Dreißiger, das Zerrbild eines Mannes ohne Energie, ohne Kraft, sagte sie sich, ihn verächtlich musternd. Früher brauste er wohl noch einmal auf in einem Wutanfall – jetzt? Blasse Renommage, wenn er von anderen Mitteln und Wegen sprach!

Eine lange Pause entstand man hörte das leise Ticken der Uhr auf dem Kamin und das Knistern der seidenen Röcke der jungen Frau. Endlich hielt sie sich nicht länger.

„Nun kannst du auf deinen Lorbeeren ausruhen“ begann sie schneidend, „freue dich, du hast deinen Willen durchgesetzt und mir einmal wieder eine Freude verdorben. An deiner Stelle würde ich jetzt gehen, du schläfst hier sonst ein – du vergißt wohl ganz, daß Heini allein ist –“

„Ich gehe schon,“ erwiderte er gelassen, „Heini ist zwar nicht allein, denn Hedwig sitzt bei ihm, sie kam vorhin und wird auf meine Rückkehr warten. Ich bedauere ferner, daß du um das Konzert gekommen bist, glaube aber, bei näherer Ueberlegung wirst du einsehen, daß ich recht habe. Du bist nun gewarnt.“

„Natürlich,“ bemerkte sie beißend, „recht – wie immer! Und gewarnt bin ich auch –“

Er hörte es nicht mehr, er war schon hinausgegangen. Hedwig Kerkow saß geduldig am Fahrstuhl des Kindes unter den Kastanien, durch deren Laub die Goldstrahlen der Sonne spielten.

„Du siehst so schrecklich blaß aus“, sagte sie, als er ihr wieder gegenüber saß und, die Hand auf den Blondkopf des Kindes gelegt, zerstreut in die Ferne hinausblickte.

„I, das ist deine Einbildung, Hede, übrigens ist’s ja möglich – Tante Gruber ist krank, und das irritiert mich ein wenig; ich bin so leicht jetzt erschreckt, wie eine nervöse alte Jungfer.“ Er lächelte trübe dabei.

Hede sah ihn traurig an „Du hättest mitfahren sollen. Heinz,“ meinte sie, „ich hätte dir den Heini schon gehütet indessen.“

Er wechselte plötzlich die Farbe. „Unsinn!“ sagte er kurz und scharf.

„Du hast recht, Heinz, du bist nervös,“ erklärte die Schwester aufstehend, „und wenn das so weiter geht –“

„Laß es deine Sorge nicht sein!“ lautete die ebenso kurze eigensinnige Antwort.

„Ist denn Toni hinübergefahren?“ fragte Hede, die unartige Antwort überhörend.

„Nein!“

„Ist sie bei Tante Gruber?“

„Ich weiß es nicht,“ antwortete er ungeduldig.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 222. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_222.jpg&oldid=- (Version vom 4.7.2023)