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verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

ihrem Charakter als Volks- und Familienblatt entsprach. Er begegnete sich mit ihr in dem Drange, die nach Gestaltung ringenden nationalen Ideale im Volke frisch zu erhalten und die Erinnerung an deren Herolde und Pioniere zu pflegen. Wie herrlich ist z. B. in diesen Blättern sein Lied zu Ehren Ernst Moritz Arndts, seiner früheren Meister und nachherigen Freunde Hoffmann von Fallersleben und Ferdinand Freiligrath erklungen! Es entstand ganz von selber ein Zusammenwirken, das dem Verstorbenen mit Recht die Bezeichnung des „Dichters der Gartenlaube“ eintrug. Wie hat er es verstanden, in Zeiten schwerer Heimsuchung, welche die ganze Nation empfand, den Ruf nach gemeinsamer Hilfe in poetische Worte zu kleiden, die von Herz zu Herzen drangen und dann auch wirklich, dank der weiten Verbreitung der „Gartenlaube“, ein nationales Hilfswerk ins Leben riefen! Als 1866 der deutsche Bruderkrieg entbrannt war und das Elend der Verwundeten zum Himmel schrie, da erschien sein Gedicht „Zu Hilfe!“ An alle deutschen Herzen, mit dem die „Gartenlaube“ ihre große Sammlung für die Pflege der Verwundeten aller deutschen Heere einleitete …

„Zum Himmel hallt ein Jammerschrei
Von Herzen die in Schlachten brechen –
Nun schweigt die Stimme der Partei,
Nun hat das Herz ein Recht, zu sprechen! …“

Emil Rittershaus.
Nach einer Kreidezeichnung von Ludwig Knaus.
Photographie im Verlage von Emil Flasche in Barmen.

Auch während diese Heere dann geeint in Frankreich von Sieg zu Sieg, aber auch von Schlachtfeld zu Schlachtfeld schritten, eröffnete die „Gartenlaube“ eine Sammlung „für die Verwundeten und die Frauen und Kinder unserer unbemittelten Wehrleute, und wiederum war es Rittershaus, der sich mit seiner herzenswarmen Lyrik in den Dienst dieses Liebeswerks stellte.

Welche Früchte ein solches Zusammenwirken im Dienste der Menschenliebe zeitigte, dafür aus neuerer Zeit noch ein Beispiel! Im Herbst 1888 ließ Rittershaus das Gedicht „Eine Bitte für arme Kinder“ in diesen Spalten erscheinen. Mit ergreifender Schlichtheit war darin das Schicksal jener armen Schulkinder geschildert, deren Eltern ihr mühselig Tagewerk schon bei Tagesgrauen hinaustreibt, ohne daß sie ihren Kleinen mehr als trocken Brot zum Frühstück zurücklassen können. Es zeigte die schlechtgekleideten barfüßigen Kinder beim Schulweg über Schnee und Eis. Frosterstarrt und ungesättigt nahen sie der Schule, wo dann die Zucht von ihnen verlangt, daß sie den andern gleich ihre Schuldigkeit thun.

„Ach, warum irrt das matte trübe Aug’
So oft umher, was zittert in der Hand
Der Griffel? – – – – – – –
– – – Habt ihr Hunger je gekannt?
Seid ihr durchfroren nach der langen Nacht
Einmal auf Stroh am Morgen aufgewacht,
Habt mit dem ersten Blick nur Not geschaut,
Habt dann als Imbiß trocknes Brot gekaut? –
Fürwahr, wenn ihr es einmal nur gesehen
Ihr könnt nicht herzlos mehr beiseite stehen …
Und kann man auch nicht helfen allen, allen,
Die auf der Armut Dornenwegen wallen,
Den hagern Mündlein, die da hungernd beben –
Das Frühbrot laßt uns jenen Kleinen geben! …“

Bald nach der Veröffentlichung erhielt die Redaktion zahlreiche Zuschriften mit Geldspenden, darunter viele, die um Organisation des angeregten Liebeswerks baten. Der Dichter selbst machte darauf praktische Vorschläge. Und am Schlusse des Jahres konnte den Lesern mitgeteilt werden, daß diese Vorschläge zur Frühstücksverteilung an arme Schulkinder in verschiedenen Städten verwirklicht worden seien. In Stuttgart hatte ein wohlthätiger Bürger allein 100 000 Mark für diesen Zweck gestiftet.

Diese Beispiele bilden nur einen kleinen Teil dessen, was Rittershaus in solcher Weise als „Dichter der Gartenlaube“ geleistet hat, und noch größer ist die Zahl der Gedichte, in denen er, wie nach den Siegen in Frankreich, bei der Anregung und dann der Einweihung des Niederwald-Denkmals, einer hohen festlichen Stimmung der ganzen Nation wahrhaft volkstümliche herzentsprossene poetische Gestaltung gab. Auch für die Deutschen in Amerika wurde er wiederholt zum lyrischen Verherrlicher ihres gemeinsamen Empfindens. Schon in den sechziger Jahren mit seinen Festgedichten für das große Sängerfest in Chicago und zum „Humboldtsfest“ in der alten und neuen Welt, später, als deutsch-amerikanische Gesangvereine ihn um ein Bundeslied gebeten hatten. Die „Gartenlaube“ setzte damals einen Preis aus für die beste Komposition des von ihr veröffentlichten Liedes.

Der hingebenden Vaterlands- und Menschenliebe, die unser Dichter so oft und so erfolgreich bethätigt hat, entsprach aber auch die Innigkeit seines Empfindens in seinen ganz persönlichen Herzensangelegenheiten. Der Schwerpunkt seines Poetendaseins wie seines bürgerlichen Lebens blieb immer in der Familie. Schon in frühem Lebensalter hatte er gesungen:

„Nicht steh’ ich um den Segen ew’gen Glückes,
Nicht steh’ ich um ein flüchtig Erdengut.
Gieb, ew’ger, nur in Stürmen des Geschickes
Dem leiste Kraft und meinem Herzen Mut!
Den Pfad des Rechtes laß mich ruhig schreiten,
Ob still die Lust, ob wild die Stürme wehn,
Und Eines gieb mir, Gott, zu allen Zeiten.
0, die ich liebe, laß mich glücklich sehn!“

Dem Andenken seiner zärtlich geliebten Großmutter, seiner Eltern hat er Gedichte voll rührender Dankbarkeit geweiht, und seiner Gattin Ruhm erklang von allen Saiten seiner Leier. Wie unsere Leserinnen nicht nur erst aus dem oben erwähnten Gedicht an die Verstorbene wissen, lebte Rittershaus in sehr glücklicher Ehe. Als er Hedwig Lucas, die Tochter eines Fabrikanten in Elberfeld, heiratete, war er erst 22 Jahre alt – er gehört zu denen, an welchen sich das Sprichwort „Jung gefreit, hat niemand gereut“ – in schönster Weise erfüllt hat. Unter den Dichtern, welche das Glück solcher Ehe, die zarten Regungen des Vaterherzens, die gemütlichen Freuden des intimen Familienlebens aus tiefstem Dankgefühl verherrlicht haben, steht Rittershaus ebenbürtig neben Freiligrath. Das von ihm besungene „Doppelkleeblatt“, drei Knaben und drei Mädchen, war dieser Ehe Segen, und gar mancher hübsche Zug aus der Kinderstube ist uns mit dem vollen Reiz seiner Besonderheit in Gedichten wie „Die Sonntagspuppe“ aufbewahrt. „Kummerwolken“ blieben freilich auch diesem Glück nicht erspart, aber dieses bestand die Probe. Das schöne Gedicht „Am letzten Lenztage“, in dem er sein liebliches Anwesen im waldbekränzten Mirke bei Elberfeld schildert, das er infolge geschäftlicher Krisen einbüßte, schließt er mit dem Bewußtsein, daß die Seinen, sein Weib und seine Kinder, „die Welt in seinem Herzen“, doch sein bester Reichtum sind. Gerade die Zeiten der Sorge ließen ihn erst recht empfinden, welchen Schatz er in seinem treuen Weibe besaß.

„Und ist dir hart die Lebensweise –
Der Schmerz wird stumm, der dich bewegt,
Wenn eine weiche Hand sich leise
Auf deiner Stirne Furchen legt.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 227. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_227.jpg&oldid=- (Version vom 28.11.2016)