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verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

der Tiroler Oswald von Wolkenstein, der letzte der Minnesänger, von dem die Verse herrühren.

„Mich wundert sehr an einem Mann,
daß er sein Kind nit ziehen kann,
und lat es gan, so gar on alle Ruete.“

Und Hans Sachs ermahnt die Eltern:

„Hiebei merket, ihr ehrbaren Alten,
Daß ihr sollt eure Kinder halten
Unter der Ruten; die mit Schmerzen
Des Kinds Thorheit treibt aus dem Herzen.“

Der Tageslauf in der Familie, nicht bloß in der ländlichen, auch in der städtischen, begann damals recht früh. Um 6 Uhr morgens mußten die Kinder des markgräflich brandenburgischen Leibmedicus Thurneiser von Thurn aufstehen, sich Mund, Hände und Augen mit frischem Wasser waschen, sich säuberlich anziehen, beten und dann zur Arbeit gehen. Um 8 Uhr erhielten sie eine Suppe, um 10 Uhr das Mittagsmahl, um 3 Uhr das Abendbrot und um 5 Uhr das Nachtmahl. Jedes von den Kindern bekam dazu sein Geschirrlein mit Wein; wenn sie mehr dürstete, sollten sie Wasser trinken.

Gebet vor der Mahlzeit.

Frühzeitige Gewöhnung an die Arbeit war in allen tüchtigen Familien Erziehungsgrundsatz, getreu den Versen Fischarts:

„Welchen man an zur Arbeit hält,
Demselben Arbeit für Kurzweil g’fällt.
Welchen man zieht zum Müssiggang,
Dem thut ein jedes Schweißlein bang.
Darumb zur Arbeit angezogen
Und ernstlich gleich den Hals gebogen,
So g’wohnt man alsdann gleich von Jugend
Des mühsamen rauhen Wegs zur Tugend.“

Es mußten also die Kinder nach Maßgabe ihrer jugendlichen Fähigkeiten den älteren an die Hand gehen und mitarbeiten in Haus und Feld. Hans von Schweinichen, obwohl von adliger Geburt, bekam nach der Schule die Gänse zu hüten, und als der grausame kleine Bursch diesen zur Strafe fürs Davonlaufen die Schnäbel mit Hölzchen aufsperrte, wurde er zwar dieses Amtes enthoben, dafür aber mit dem Eiersuchen in Stall und Scheuer beauftragt. Der schon genannte junge Kölner Hermann Weinsberg hatte nach der Schule seinen Eltern beim Weinverzapfen zu helfen, und es gab oft so viel zu thun, daß man dem armen Kerl sein Essen in den Keller schicken mußte. Auch mit Garnhaspeln wurde er beschäftigt. Die Schwester des Bartholomäus Sustrow, der um 1550 Bürgermeister von Stralsund war, mußte mit fünf Jahren schon spinnen. Einst saß sie bei der ihr noch recht schweren Arbeit, als sie von einem Reichstag sprechen hörte, den der Kaiser ausgeschrieben, dort würden die Gesetze beschlossen, sagte man ihr. Da seufzte das Mägdlein an seinem Rocken und meinte: „Ach du lieber Gott, wenn sie doch auch ernstlich verordnen möchten, daß so kleine Mädchen nicht spinnen dürften!“

Bis zum siebenten Jahre gehörten die Kinder in der Regel der Pflege und Zucht der Mutter an. Von ihr lernten sie das Sprechen der Mutter Sprache. Mit dem siebenten Jahre waren die schönsten Tage des Kindes vorüber, es begann die Zeit der Schule, d. h. nur da, wo man überhaupt die Kinder unterrichtete, denn auf dem Lande durften die Kinder im Mittelalter meist wild und ohne Schule aufgewachsen sein. Frühreife Kinder ließ man wohl auch schon in jüngeren Jahren zu lernen anfangen. Der Elsässer Ambrosius Müller erzählt im Jahre 1649. „Als mir Gott die Gnade verliehen, die Muttersprach ein wenig zu reden, hab ich in der Schoß meines lieben Vaters das Namenbüchlein im dritten Jahre meines Alters anfangen zu lernen und bei ihme meinem lieben Vater von Tag zu Tag darinnen geübt, daß ich im fünften Jahre meines Lebens lesen können.“

Auch Mathäus Schwarz in Augsburg lernte mit fünf Jahren (1502) das Abc. Sein Sohn Veit Konrad[1] mußte mit 5 Jahren in die lateinische Schule. „Ich that’s aber nicht gern“, sagte er. Da er aber sah, daß ihm keine andere Wahl blieb, fügte er sich gutwillig. Der Lehrer Johs. Busch hatte nicht weniger als 110 Buben in der lateinischen Sprache zu unterrichten. Ergötzlich schildert Schwarz, wie es ihm zu Anfang ergangen. „Ich gab zum Einstand einem jeden eine Brezen, da ward ich vom Präzeptor, seinem Weib und auch den Buben, in Summa von Jedermann mit freundlichen und guten Worten empfangen. Ja da stund mein Sach ein 8 oder 14 Tag wohl! Ich wollt kein Schul versäumen. Da aber die Zeit fürüber war, sprach man mir seltsam zu, also daß ich nit viel Lust mehr in die Schul hätt, stellet mich aber nit dergleichen. Andere dagegen kamen erst nach dem siebenten Jahr zum Lernen, so Hans von Schweinichen, der ins neunte Iahr ging, als er zu einem Dorfschreiber geschickt wurde, bei dem er zwei Jahre lang Schreiben und Lesen lernte.

Ein Schulzwang herrschte nicht, daher es auch unter den höheren Ständen so manchen Erwachsenen gab, dem das Schreiben und Lesen als eine große Kunst erschien. Sogar der Herzog Christoph von Württemberg, dieser sonst so durchaus tüchtige Regent, dem die Bildung des Landes viel verdankt, entschuldigte sich einmal bei Ludwig von Bayern, daß er „mit eigener Hand nit geschrieben … denn ich wahrlich der Federn nit so mächtig“. In den Städten war das Schulwesen immerhin in eine gewisse Ordnung gebracht. In Köln gingen zu Beginn eines Schuljahres, am St. Gregoriitag in den Fasten, also am Tage des Schutzpatrons der Schulen (12. März), die Schüler durch das Kirchspiel von Haus zu Haus und frugen an, ob Kinder vorhanden wären, die man auf die Schule thun wolle. Da nahmen sie auch den uns schon bekannten Hermann Weinsberg mit, als er in sein siebentes Jahr ging. Sehr groß waren die Anforderungen an die mittelalterlichen Schüler nicht. Von Kindern mit sieben Jahren verlangte man außer Lesen und Schreiben das Glaubensbekenntnis und das Paternoster, konnten sie dazu das Ave Maria, so war das „vil wunderguot“.

Die Abc-Bücher waren viel unterhaltender als heutzutage, sie beruhten teilweise schon auf dem Anschauungsunterrichte. In Nürnberg war z. B. eine Fibel im Gebrauch, in welcher beim Buchstaben A ein Kinderkopf mit aufgerissenem Munde dargestellt war; darunter stand. „Hiebei muß man den Kindern sagen, dieses Kindlein reißet das Maul auf, gänet und schreit a a a“. Beim Buchstaben W war das Bild eines Kindes angebracht, das gerade mit der Rute gezüchtigt wurde, dazu die Worte: „Dieses Kindlein hat nichts gelernt, darum wird es geschlagen und schreiet

  1. Vater und Sohn sind den Lesern der „Gartenlaube“ aus dem Aufsatz „Eine Gigerlfamilie des 16. Jahrhunderts“ (1892, Nr. 37) schon bekannt.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 236. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_236.jpg&oldid=- (Version vom 5.7.2023)