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BLÄTTER UND BLÜTEN.

Ostermorgen. (Zu dem Bilde S. 225.) Paarweise können sie nicht über die schmale Stiege gehen, die von dem Thore des Friedhofes in die mauerumfriedete Bergstraße des steirischen Dorfes führt. Deshalb geht er voran, stolz und frohgestimmt. In den Augen der jungen Frau ist ein feuchter Glanz, der an die hervordringenden Blütenbolzen der Kastanien gemahnt, die sich schon nach den ersten warmen Strahlen zum lustigen Frühlingswerk gemeldet haben, und in seinem Herzen läuten frohe Osterglocken, das sieht und fühlt man, wenn man das glückstrahlende Antlitz mit den hellen blauen Augen und dem keck aufgezwirbelten Schnurrbart betrachtet. In der Kirche sind sie gewesen und haben dem auferstandenen Heiland gedankt, daß er ihnen ein so schönes bausbackiges Osterhäslein in die Wiege gelegt. Es war zwar kein Häslein, sondern ein Hänslein. Das war aber ihr schönes leuchtendes Osterglück. Und als sie an dem Grabe der Mutter der jungen Bäuerin standen, da erzählten sie ihr von ihrem Ostersegen, und zum erstenmal fielen die Tauperlen der Freude aus den Augen der glücklichen Mutter in den Epheu. Die da unten schwieg zwar dazu, aber sie ließ die Vöglein in den Zweigen einen jubelnden Hymnus anstimmen, der so gut zu den Stimmen im Herzen der Tochter taugte, die sich an dem heiligen Orte nur nicht so hervorzujauchzen trauten. –

Lang war der Schnee liegen geblieben in dem kleinen Gebirgsdorfe, bis der Frühling, der in den großen Thalniederungen seine Ankunft längst mit Blütenglocken eingeläutet hatte, den ungebärdigen Föhn von den Bergen heruntersandte, um Toilette zu machen für seinen prunkliebenden Herrn. Dann kam er selbst auf leisen Sohlen, hauchte ein zartes Grün über die Wintersaaten, nestelte schwellende Bolzen an die mächtigen Baumkronen, zarte Blattknospen an die Sträucher und verspottete den fliehenden Winter, indem er Kirsch- und Maulbeerbäume mit einem blendend weißen Hermelin verbrämte. Da drinnen in der Mulde, wo das mit dem welsch-gotischen Glockenturm gezierte Kirchlein steht, hat sich, geschützt vom rauhen Nord, der Lenz viel früher eingenistet. An der Mauer des Pfarrgartens blüht, an Staketen gezogen, ein Aprikosenbäumchen. Hier bummelt die Sonne den ganzen lieben Vormittag herum und wärmt die „Steinplätzer“ – ehemalige Selterskrüge – unter deren dunklen Glocken des Pfarrers Spargel trefflich gedeihen. Die klein’ Annamirl, welche der Ahnl das Gebetbuch nachträgt, schaut auf der Stiege staunend zu, wie die Sepherl ein Osterei nach dem andern aus dem Grase holt. Geschwindigkeit ist keine Zauberei, denkt sich diese und weiß mit geschickten Taschenspielerkunststückchen die Ostereier, welche ihr die Mutter am Morgen gegeben, immer wieder im Grase zu finden. Die kleinen Nachbarskinder geben sich alle Mühe – sie finden nicht ein einziges. Das vierjährige Everl geht mit ihrer älteren Schwester, der Vroni, zum Ahnl (Großvater) in der Klausen. Dem bringt sie den Buschen mit Primeln und Veilchen, den sie im Pfarrgarten gepflückt, und der Ahnl erzählt ihr dafür die Gschicht’ vom Achkatzl und von der Hausotter mit dem goldenen Krönchen, die nur lauter „Supperl“ und keine „Brockerl“ hat essen wollen. – Der Herr Lehrer, ein hoher Siebziger, geht still und sinnend, doch heiteren Gemütes heim. Er hat dem Auferstandenen gedankt, daß er ihn noch einmal die Frühlingssonne schauen ließ, während so viele seiner Schüler – einst ungebärdige Jungen – unter den kleinen Rasenhügeln gar manierlich und schweigsam auf die letzten Osterglocken harren. Und wie er dann durch die Dorfstraße schreitet, da wird ihm so jugendlich froh ums Herz, denn der warme Sonnenstrahl hat sie alle hervorgelockt „aus niedriger Häuser dumpfen Gemächern, aus dem Druck von Giebeln und Dächern.“

Und da ist so alles wieder auferstanden, was er verstorben gegeglaubt – da sind sie alle wieder, die flachshaarigen Buben und Mädel, über die er seit fünfzig Jahren das Scepter geschwungen, und da sind die alten Kinderspiele noch, die auch sein Großvater schon gespielt, das „Kugelscheiben“, das „Eierpicken“, das „Anmäuerln“, und er kommt sich vor, als hätte er siebzig Jahre geträumt und als riefen ihn die Kameraden zu den wohlbekannten Spielen – denn das ist ja dieselbe Sonne, die Mauern und Straßen so festlich durchleuchtet, das sind dieselben Berge, die sich zart begrünen, und Lerche, Meise, Fink sind noch die alten Musikanten – nein, nein, es giebt keinen Tod, murmelt er vor sich hin. Dann setzt er sich auf den Platze vor dem Wirtshaus hinter ein Glas Wein und seine alten Augen glänzen immer jugendlicher und all die Zeit und all das Ungemach der langen Jahre verdämmert in freundlicher Ausschau hinter dem verklärenden Sonnenglast des Ostermorgens. V. Chiavacci.     

Des Kaisers Dank. (Zu dem Bilde S. 232 und 233.) Es war am Sedantage des Jahres 1873. Die junge Kaiserstadt Berlin hatte ein Festgewand angelegt und von hellem Jubel hallten ihre Straßen wieder. Diesmal sollte ja der denkwürdige Tag durch einen weihevollen Akt verherrlicht werden. In Gegenwart des Kaisers sollte von der stolzen Siegessäule, die „das dankbare Vaterland“ dem siegreichen Heere errichtet hatte, die letzte Hülle fallen.

Schon am frühen Morgen bot der weite Königsplatz einen prachtvollen, buntbewegten Anblick. Die kaiserliche Standarte wehte von einem zeltartigen Pavillon, der für die Kaiserin und den Hof bestimmt war, Estraden für geladene Gäste und Tribünen für das Publikum erhoben sich weiter seitwärts, rings um das am Unterbau verhüllte Denkmal wehte Fahne an Fahne, und auf den stolzen Festplatz rückten mit klingendem Spiel, zu Fuß und zu Roß, verschiedene Abordnungen des siegreichen Heeres, dem dieser Festtag galt.

Um 10½ Uhr verkündete lauter Kanonendonner das Nahen des Kaisers.

Wilhelm I. kam auf einem prächtigen Rappen geritten, hinter ihm ein glänzendes Gefolge, darunter Kronprinz Friedrich Wilhelm, Moltke, Prinz Friedrich Karl u. a. Als der Kaiser vor dem Denkmal erschien, ritt ihm Fürst Bismarck in der Kürassieruniform entgegen, um den Herrscher zu begrüßen. Da reichte ihm der Kaiser die Rechte und sprach dem Fürsten unter warmem Händedruck herzliche Worte des Dankes aus. Wilhelm I. bekundete damit, daß nicht kriegerische Siege allein Deutschlands Einheit geschmiedet haben, daß die Wiederaufrichtung des deutschen Kaiserthrones in hohem Maße und in erster Linie der weisen Staatskunst zu danken war, durch die der große Kanzler Deutschlands Nord und Süd zu einigen verstanden hatte!

Diesen denkwürdigen Augenblick, in dem Fürst Bismarcks unsterbliche Verdienste um das deutsche Vaterland in so offenkundiger Weise von seinem kaiserlichen Herrn anerkannt wurden, stellt unser heutiges Bild dar. *      

Volkstümliche Hochschulkurse. Die Wissenschaft, welche sich in früheren Zeiten lange in eifersüchtiger Weise gegen weitere Volkskreise abschloß, hat schon seit Jahrzehnten begonnen, sich mehr und mehr zu popularisieren, wie ja auch die „Gartenlaube“ eine große Anzahl ihrer besten belehrenden Artikel berühmten Forschern und Gelehrten verdankt. Als ein bedeutsames und hocherfreuliches Zeichen eines weiteren Fortschritts in dieser Richtung sind in neuester Zeit die an verschiedenen Universitäten auftauchenden „Volkstümlichen Hochschulkurse“ zu begrüßen. Zu diesem Zwecke hat sich neuerdings, wie es im Aufruf heißt, „Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschung denjenigen Kreisen zugänglich zu machen, welchen der Besuch der Universitäten und sonstigen Hochschulen versagt ist. Jedwede politische, religiöse oder sociale Parteistellung liegt dem Verein vollständig fern. Sein Zweck ist lediglich die Förderung der Erkenntnis. Insbesondere setzt er sich zum Ziel, auch solche Kenntnisse zu fördern, welche im Interesse der Volks Wohlfahrt als nützlich erscheinen. Die Veranstaltung solcher Vortragskurse soll sich keineswegs auf die Universitätsstädte beschränken. In München und in Leipzig, wo die ersten Kurse bereits eröffnet worden sind, erwies sich der Andrang der Hörer ungemein groß, mit Freuden konnte festgestellt werden, daß sehr viele Handwerker und Arbeiter von dieser neuen Gelegenheit zur Fortbildung den regsten Gebrauch machten, recht lebhaft ist auch die Beteiligung der akademischen Lehrer an diesem Werk der Volksbildung. Es ist aber dringend zu wünschen, daß auch die Zahl der „fördernden Mitglieder“, die durch größere oder geringere Beiträge das Fortbestehen der Kurse sichern helfen, entsprechend groß werde! Deutschland ist ja das Land, in dem es um die Volksbildung am besten bestellt ist, wir sollten darum alles daran setzen, diese Stellung auch in Zukunft unserem Volke zu wahren.*      

Die Wasserkräfte des Riesengebirges, welche ihre Energie bis jetzt nur im Schadenstiften zu bethätigen pflegen, endlich zu bändigen und den Anwohnern nutzbar zu machen, ist der Zweck von Bestrebungen, zu denen sich neuerdings eine Anzahl volkswirtschaftlicher und Finanzkräfte zusammengethan hat. Die Ueberschwemmungen am Fuße des Riesengebirges, welche hier bei der Höhe, Steilheit und dem Schneereichtum der Abhänge schlimmer als bei andren Gebirgen aufzutreten pflegen, betreffen allein im Bobergebiete 10 000 bis 11 000 Hektare und richten oft ungeheuren Schaden an, der sich auf keine andere Weise mit Sicherheit vermeiden läßt als durch die Anlage sogenannter Thalsperren, in denen die plötzlich steigenden Wassermengen sich ohne Schaden sammeln können. Der angesehenste Hydrotechniker Deutschlands, dem u. a. die Thalsperren des Wuppergebiets ihre Entstehung verdanken, Geh. Rat Prof. Intze, bereiste auf Veranlassung Berliner Interessentenkreise die Flußläufe des Riesengebirges und sprach sich mit Bestimmtheit für die Ausführbarkeit und Nützlichkeit von Thalsperren in denselben aus. Da die in solchen künstlichen Becken aufgestauten Wassermengen nicht nur zur Wasserversorgung benachbarter und selbst entfernterer Städte, sondern auch zur Umsetzung in nutzbare Kraft mittels Turbinen verwertbar sind, so kann aus einem heutigen Mißstand, wie ihn z. B. die 88er furchtbare Ueberschwemmung im Queisgebiet zeigte, leicht eine nutzbringende Anlage für lange Zeiten hinaus geschaffen werden, wenn nur die einmaligen, nicht geringen Baukosten solcher Thalsperren aufzubringen sind. Da der Staat an solchen hydrotechnischen Werken bereits im Elsaß, an der Ruhr und Wupper sich beteiligt hat, so wird auf seine Mitwirkung auch in Schlesien zu rechnen sein, zumal die Verhältnisse hier in technischer Hinsicht besonders günstig liegen.

Diese zuerst in engeren Kreisen verbreiteten Projekte haben schnell die Zustimmung der weitesten Interessentenschichten gefunden. Man denkt lebhaft daran, im ganzen Iser- und Riesengebirge eine derartige Aufschließung der natürlichen Kraftquellen des Landes zu befördern. Elektrische Kraft und Lichtanlagen sollen im Anschluß an große Turbinen-Werke entstehen, auch ein Netz von Kleinbahnen, mit dem die angrenzenden Landesteile zur Hebung der Landwirtschaft zu überziehen sind, würde eine Kraft am billigsten durch hydraulisch erzeugte elektrische Ströme erhalten. Die Gräflich Schaffgotsch’sche Kameralverwaltung zu Hermsdorf soll bereits mit der Ausarbeitung einschlägiger Projekte beschäftigt sein, und die Firma Siemens u. Halske in Berlin hat schon einen Teil der Wasserkraft des Bober bei Christianstadt im Interesse der Gemeinde Grünberg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 239. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_239.jpg&oldid=- (Version vom 5.7.2023)