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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Beifall umrauscht. Beinahe so, hatte sie sich vorgestellt, müsse ihr zu Mute sein, wenn Aenne in der bis auf den letzten Platz besetzten Schloßkirche im Atlaskleid und Schleier vor dem Altar stehe. Und heute, ach, da war Mama Mays augenblickliche Begeisterung schon bedeutend herabgestimmt; es war alles so ganz anders gekommen, und nur eine ganz leise Hoffnung blieb noch immer – vielleicht fand sich doch einer, der, leichtsinnig genug, eine Sängerin zur Frau nahm!

Sehr schwach war diese Hoffnung allerdings, denn wenn einer ihrer Söhne mit einer Künstlerin käme – o, sie würde ihn jagen, sie würde ihm den Standpunkt klarmachen! Lieber gleich hängen! Ein Glück würde es ja doch nie. Ach, es ist eine elende Welt! Und die alte Frau sah, während sie in ihrer Kaffeetasse rührte, zu einer üppigen hübschen Dame hinüber, die neben Aenne saß, sehr elegant in marineblauen Foulard mit weißen Tüpfelchen gekleidet, und die so beglückt lächelte, als sei Aennes herrliches Talent ihr, eigenes Verdienst.

„So kommt doch alles einmal an die Sonne,“ sagte Frau May noch zwischen Scherz und Ernst. „Ich hatte bis vorgestern keine Ahnung davon, daß Sie, Fräulein Hochleitner, mit Aenne hinter unserem Rücken verkehrt haben, und ich dachte, ich sähe nicht recht, als Sie beide nach dem Konzert auf einmal sich in den Armen lagen. Was wird man nur noch alles erfahren!“ klagte sie seufzend.

Und Fräulein Hochleitner lachte die ganze Tonleiter hinauf und herab. „Ach, meine beste Frau Rat, es hat mir ja kan’ Ruh’ ’lassen, bis i das Kinderl auf dem Podium g’sehn hab’. Der Direktor von unserm Theater hat g’flucht und g’wettert schon nit mehr schön, aber i hab’ halt auf dem Urlaub b’standen. – Gelt, Annerl, ’s is halt ein altes Versprechen? Ach, und meine beste Frau Rat,“ fuhr sie fort, als die alte Dame nicht aufhörte, sauer dreinzuschauen, „und jetzt, wann i nur dürft’, i erzählet Ihnen gern noch ’was, damit Sie an anders G’sicht kriegeten, zum Beispiel wie i amal so heiser ’word’n bin, so ganz plötzli, daß i kan’ anzigen-Ton rausbracht hab’.’ Dös war a Remasuri, heilige Muttergottes – grad’ am Hochzeitstag vom Kerkow is’ g’wesen.“

Aenne nickte ihr zu und lächelte wieder.

„Und wo’s jetzt so gut ’gangen is, kann i’s ja eing’steh’n, daß i’s war, die Ihr Töchterl g’hetzt und g’stoß’n hat auf die Kunstcarrier’! No, i denk’, da hab’ i da ’was ordentlich’s z’stand ’bracht!“

„Ich sollt’s meinen,“ gab Tante Emilie stolz zu, „denken Sie nur, über acht Tage singen wir in Leipzig im Gewandhaus.“

Fräulein Hochleitner lachte, daß ihre prächtigen Zahnreihen blitzten. „Singen wir im Gewandhaus! I könnt mi totlachen – gelt, das Tanterl meint, wenn sie net dabei is, geht’s nimmer – g’rad’ wie mein Mutterl!“

„Ohne Tante könnte sie freilich nicht reisen,“ brummte Frau Rat, „das Umhervagabondieren gefällt mir überhaupt am wenigsten dabei. Eigentlich kann’s dir doch auch nicht behagen,“ wandte sie sich an ihre Tochter, „bist gar nicht so auferzogen, hast doch wahrhaftig kein Zigeunerblut in dir.“

Aenne stand plötzlich auf und breitete die Arme aus, als wollte sie davonfliegen, aber sie sagte nichts, sie sah nur mit langem Blick über den völlig leeren Schloßplatz, auf den endlos öde der Hegen niederprasselte.

„Ja, zu sehen ist hier freilich nichts,“ seufzte die Rätin, „aber wenn man sein Hauswesen hat und seine Familie, dann ist’s doch schön, überall schön, und wer das mißachtet – na, ich sag’ nur, ich hoffe, sie kriegt noch ihre Strafe.“

Aenne sah betroffen die Mutter an.

„Sie meint die Toni Kerkow,“ erklärte Tante Emilie.

„Ah so!“ sagte Fräulein Hochleitner, „dös soll man wiss’n! Na, meine Meinung is, wenn sich zwei schon nimmer vertrag’n, dann is’s besser, das Weltmeer wimmert zwischen ihnen – frei nach Schiller –“

„Es kommt von der Unzufriedenheit,“ redete Frau Rat weiter, „keiner will mehr die Schranken anerkennen, die ihm gezogen worden sind, und das ist der Geist der heutigen Jugend. Ihr zwei seid auch nicht besser, Sie nicht und meine Aenne nicht – das ist meine Meinung!“

„Na, dös laß i m’r g’fallen,“ lachte Fräulein Hochleitner. „Was fallt Ihnen denn ein, Frau Rat, daß mit so scharfe Fidschipfeil’ auf uns schießen? Wenn i Ihnen auf die verehrten Zecherln ’tret’n sein sollt’, thut’s mir leid, mich können S’ bald los werden; das Annerl aber hat Ihnen doch kein Steinderl in den Weg g’worfen, sollt’ i denken – im Gegenteil–“

„Nehmen Sie’s nicht für ungut, “ murmelte Frau Rat, „Sie haben recht.“ Dann setzte sie die Tassen ineinander und ging hinaus.

„Was hat denn die Mutter nur?“ fragte Aenne die Tante.

„Ach, die alte Geschichte,“ antwortete diese. „Vorhin ist die kleine Agnes von Oberförsters dagewesen, heulend und schreiend. Fräulein von Kerkow ist natürlich stehenden Fußes zum Bruder hinaufgeeilt, und die Kinder drüben sitzen wie die Vögel im Nest, denen die Alte weggefangen ist. Der Papa habe seine Büchse genommen und sei trotz des bösen Wetters in den Wald gegangen, gleich nachdem das Fräulein fort war, und der Junge klage über Halsschmerzen – der Herr Rat soll kommen!“

„Lieber Gott,“ sagte Aenne, „das ist ja alles sehr traurig, aber dafür kann ich doch nicht!“

„Freilich können S’ dafür,“’ bemerkte Fräulein Hochleitner ärgerlich. „Wenn S’ den Wittiber damals g’nommen hätt’n, alsdann wär’ ihm jetzt die Seinige net davon g’laufen. Jessas, kann denn die Frau Rat dös noch net vergess’n? Sieht s’ denn immer noch net ein, daß dös Kind zu ’was Höherem b’stimmt ist?“

„Seien sie nur gut, Liebste,“ beschwichtigte Aenne die Erzürnte. „Die Trennung von mir liegt meiner alten Mutter schon wieder im Sinn und macht sie unwirsch. Ich werd’ einmal mit ihr reden!“ Sie ging die alte Frau suchen und fand sie endlich weinend am Fenster sitzen.

„Mama,“ bat das Mädchen „sei doch gut, laß doch die alten Geschichten; ich möchte so gern noch ein paar friedliche Stunden im Hause verleben! Sieh ’mal, ich kann gar nicht so froh herdenken von draußen, wenn ich dich hier so hab’ weinen sehen.“

„Ja, ja,“ sagte die Mutter, „es hilft ja auch nichts – hast recht. Aber ich –“ und wieder schüttelte sie der Schmerz, „ich verwind’ ’s nicht, ich kann mich nicht hineinfinden in die neumodischen Ansichten, mir ist’s, als müßte sich ’s Herz umdrehen, wenn dich tausend Augen so angaffen. Du bist mir zu gut dazu, und ich schäme mich für dich und bin froh, daß ich’s nicht mit anzusehen brauche, das Bänkelsängerleben.“

„Du bist ungerecht,“ sagte Aenne verletzt.

„Nein, nein’ – ich habe dich nur lieb, ich möchte dich vor allen Enttäuschungen behüten und bewahren, und ich sag’, daß es ein Unglück ist, daß du damals den Günther nicht nahmst, für dich und für ihn! Da sitzen nun die Würmer allein, und er läuft aus Verzweiflung im Wald umher.“

„Sei ’mal vernünftig, Mutter,“ bat Aenne, vor ihr niederknieend. „Ich gebe dir das Versprechen, wenn ich einmal einen Mann lieb haben werde, dann nehme ich ihn – aber nur dann. Und den Günther hatte ich nicht lieb, verstehst du?“

„Doch! Doch! Hast’s nur selbst nicht gewußt. Und die Schlange im Paradiese ist die Hochleitner gewesen, die hat dir dummes Zeug eingeblasen – wahrhaftig, ich könnte ihr dafür etwas anthun!“

„Du armes, kleines, rabiates Mutterl,“ sagte Aenne und streichelte sie. „Ach du! Ich möchte dich so gern beruhigen, aber wie soll ich’s denn beginnen? Ich vermag’s nicht, mir ist das Herz selbst so schwer. Komm, sei gut; wir können auf dieser Welt nicht alle desselben Glückes teilhaftig werden, und wir wollen recht dankbar sein, daß ich solch ein großes, ungewöhnliches habe. Siehst du, ich freue mich so, daß Papa nun wieder ein Glas Wein wird trinken können, seinen geliebten griechischen Wein, den er bisher immer von der Frau Herzogin zu Weihnachten bekam, wie heißt er doch gleich? Richtig – Mavrodaphne! Daß du ferner nicht mehr so zu rechnen brauchst mit der Wirtschaftskasse, daß ich den Brüdern ein wenig helfen kann, das alles wäre mir unmöglich, wenn ich als Frau Günther da nebenan säße, Mutter – nicht wahr?“

„Ja, an andere denkst du!“

„Das ist auch ein Glück.“

„Aber nicht deines!“ rief die alte Frau, von neuem aufschluchzend, und preßte den Kopf des Mädchens in ihren Schoß. „Nicht deines! Und du wirst immer Sehnsucht haben und – und –“ ihre Stimme erstickte in Thränen.

Ach, Aenne verstand die Mutter so gut! „Macht mir’s doch nicht so schwer!“ murmelte sie und drückte sich fester an die Weinende.


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