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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

in Mühsal und Strapazen errungen werden, und die Huld der grünen Göttin beschert sie immer nur dem eifrigsten Jäger. Beginnend mit den letzten Tagen des Februar, muß er an jedem Morgen und Abend seinen Auszug halten, muß der Kälte und aller Unbill des Wetters trotzen, muß sich vom Regen baden und von den Graupen auf der Nase trommeln lassen, um mit unverwüstlicher Geduld den Augenblick zu erharren, in dem die „Erste“ endlich heranzieht mit ihrem Falzgesang, der, so unmusikalisch er sich anhört, für Jägerohren so süß und verlockend tönt.

Doch sie erscheint nicht unvermutet, diese Erste! Unser Langschnabel ist ein Wild von Geblüt und meldet sich durch geschwätzige Lakaien an, gleich einem vornehmen Herrn. Wenn die ersten Märztage milden Himmel brachten und aus dem Gestrüpp der schüchtern knospenden Hecken der Duft eines verfrühten Veilchens quillt, dann verkündet das Getriller der heimgekehrten Feldlerche über den kahlen Fluren, das Gurren der Hohltaube im Wald, der Schrei des Kiebitz und das heimliche Geplauder des Stars: „Sie kommt! Sie, kommt!“ Und erklingt nun gar im Birkendickicht der schmelzende Schlag der Drossel, so ist das dem Jäger sichere Botschaft, daß die erste Schnepfe nicht lange mehr auf sich warten läßt.

Warmer Südwind wehte bei leichtem Regen die letzte Nacht hindurch. Zu solchen Nächten kommen sie gerne! Und jetzt ein Morgen, frisch und ackerduftig, ein Tag, wie ihn der Frühling schöner dem Jäger nicht schenken kann! In brennender Ungeduld will sich der Abend kaum erleben lassen. Alles ist schon parat, der spiegelblanke Lancaster, die Patronentasche, sogar „Mylord“, der schwarze Setter, ist schon an die Leine gelegt, damit er nicht etwa ausreißt und recht zur Unzeit eine Feldpirsche auf eigene Faust unternimmt.

Vier Uhr erst! Wie träge doch der Zeiger schleicht! Fünf Uhr … endlich! Zwei Stunden noch bis zum Einbruch der Dämmerung – aber es duldet den Jäger nicht länger mehr unter Dach! Begleitet von Mylord, welcher unruhig und in Vorahnung eines großen Ereignisses neben seinem Herrn einhertrippelt, steuert er mit eilfertigen Schritten einem gemischten Jungholz zu, das sich, von Schluchten und Wassergräben durchrissen, mit mannshohem Buschwerk über einen sanft geneigten Hügel emporzieht. Der Stand wird eingenommen, der sich seit Jahren beim Schnepfenstrich als der günstigste bewährte; dann brennt sich der Jäger sein Pfeiflein an, und von der schlimmsten Ungeduld erlöst, läßt er sich zur Ruhe auf einen halbvermoderten Baumstock nieder, um die Dämmerung heranzuwarten.

Noch ist der Himmel blau und Tageshelle liegt über dem tiefen Grün der jungen Fichten und über dem wirren Netzwerk der kahlen Buchen- und Birkenzweige. Wie dunkle, blaugrüne Bänder ziehen sich die Nadelwälder ferner Hügelketten am Horizont entlang, leicht verschleiert von dem zarten Nebel, der aus unsichtbaren Wiesengründen aufdampft. Rings um den Jäger her ist der Jungwald einsam und still. Nur eine Ringeltaube kichert im nahen Hochwald, und in Zwischenräumen lockt und flötet eine Drossel, der die Einsamkeit nicht gefallen will.

Tiefer mit jeder Minute sinkt die Sonne den fernen Hügeln zu, und ihr Glanz verändert sich. Ein breiter Glutstreif überfließt den westlichen Horizont, draußen in der Ebene leuchten ein Bachlauf und der Spiegel eines Weihers gleich feuerflüssigem Erz, goldiger Schimmer gießt sich in alle Lüfte aus und umflimmert jeden kahlen Zweig und Wipfel; die silberweißen Rinden der Birken strahlen wie in metallischem Glanz, und auf der Höhe des Hügels glimmen die Stämme der Föhren, als wäre ihr Holz in rote Glut verwandelt. So glüht und leuchtet dieses Wunder des schönen Abends eine Weile – dann schwindet es langsam, und an Erde und Himmel dämpfen sich alle Farben.

Aufatmend erhebt sich der Jäger und winkt dem Hunde noch einmal zu mit einem mahnenden Schweigezeichen. Dann spannt er die Flinte und steht bewegungslos. Drunten im Waldthal, auf einer nahen Straße, poltert ein Leiterwagen vorüber, und dazu pfeifen die Schleifbäume eines heimkehrenden Pfluges. Verschwommene Stimmen lassen sich hören, sie kommen näher und entfernen sich wieder. Noch ein leiser Drosselschlag, ein letztes Pispern der kleineren Vögel, dann lautlose Stille im weiten Wald. Nur eine Quelle murmelt, so leise, daß sie kaum noch zu hören ist.

Jetzt muß sie kommen, die erste – oder es heißt wieder, Geduld haben einen neuen, langen Tag! In gespannter Erwartung klopft dem Jäger das Herz so laut, daß er, von dem pochenden Hall in der eigenen Brust getäuscht, sich unwillig ein paarmal umblickt, als fürchte er, einen Störenfried durch das Dickicht einhertappen zu sehen. Aber der Wald ist still, wie ausgestorben. Die Täuschung erkennend und über die grundlose Sorge lächelnd, späht der Jäger zum Himmel auf, ob wohl „sein Stern“ schon leuchtet? Lange sucht sein Blick in dem matt getönten Blau – und endlich sieht er’s aufblitzen, gleich der funkelnden Spitze einer Goldnadel. Mit jeder Sekunde wächst dieser Glanz, und ehe die Helle des Himmels noch ganz geschwunden ist, erstrahlt der Sirius in voller Pracht, der „Schnepfenstern“, dessen Aufleuchten den Anbruch der „besten Zeit“ verkündet.

Fester schließen sich die Hände des Jägers um die Waffe und unter geschärftem Lauschen späht er über die vom ersten Schleier der Dämmerung umflossenen Wipfel der Schonung hinweg gegen Osten und Süden. Dort beginnt schon der Himmel zu dunkeln, ein zweites und drittes Sternlein funkelt auf – rings um den weiten Wald her, von allen Dörfern erklingt mit sanft verschwommenem Hall das Geläut der Abendglocken, eine Weile währt dieses träumerische Klingen und Singen in den dunkelnden Lüften – dann wieder lautlose Stille. Auf den spärlichen Blößen der Schonung verliert sich alle Zeichnung in trübes Grau, immer schwärzer färben sich die jungen Fichten, während die zarten Spitzen der kahlen Buchen- und Birkenzweige in der Dämmerung zerfließen; im Westen schwindet der letzte Nachglanz der gesunkenen Sonne, und die Nacht will kommen. Da tönt von fernher ein seltsam leises Gezwitscher durch die Stille – zwei schnarchende Laute folgen, „quohg, quohg“, als hätte sich eine windschiefe Thür in den losen Angeln sacht bewegt – nun wieder klingt dieses sonderbarste aller Frühlingslieder, es nähert sich, ein kleiner Schatten flattert im Grau, und gaukelnden Fluges, wie im Spiel auf dem lauen Winde sich wiegend, kommt die falzende Schnepfe herangeschwommen durch die Abendlust.

Ein Blitz in der Dämmerung, und während der Wiederhall des Schusses noch hinrollt über die dunklen Wälder, tänzelt Mylord schon eifrig und stolz aus dem Dickicht hervor und legt seinem Herrn die „Erste“ zu Füßen.

Das geht nun freilich nicht immer so schön und glatt von statten. Denn für manch einen heißblütigen Schnepfenjäger scheint die „Erste“ gepanzert und unverwundbar zu sein – und da giebt es dann unter Flüchen und Stolpern einen verdrießlichen Heimgang in der finsteren Nacht, besonders verdrießlich, wenn der unglückliche Schütze noch zur Mehrung seiner Bitternis den Schuß und Jauchzer seines glücklicheren Nachbars hören mußte! Da bleibt ihm kein anderer Trost als die Hoffnung auf den nächsten Abend. Aber auch diese Hoffnung erfüllt sich nicht immer. Wenn die Erste kam, läßt oft die Zweite noch lange Tage auf sich warten. Häufig auch, wenn der Strich schon im besten Gange war, fallen kalte nördliche Winde ein, welche klatschenden Regen oder gar einen neuen Schneefall bringen. Dann stockt der Wandertrieb der Schnepfen entweder völlig, oder die vereinzelt streichenden Langschnäbel treiben, vom Sturm getragen, hoch in den Lüften, unerreichbar für den Schuß. Fällt solch ein Umschlag des Wetters in die letzten Märzwochen, so ist der ganze Strich für dieses Frühjahr verdorben. Bringen aber die letzten Märztage klaren Himmel und feuchtwarme Föhnluft, so entwickelt sich der Strich so günstig, daß der Jäger oft an einem Abend ein halbdutzendmal und darüber zu Schuß kommt, daß er auf allen umliegenden Waldhöhen der Nachbarreviere die Flinten lustig krachen hört und selbst zwischen Schuß und Schuß kaum die Zeit findet, um einer erlegten Schnepfe die kleinen lanzettförmigen Schmuckfederchen, die „Granen“, auszuziehen und sie als Trophäe hinter sein Hutband zu stecken. An solch’ günstigen Abenden kommen die Schnepfen oft zu dreien und fünfen herangestrichen – entweder spielende Männchen, die mit ihren langen Schnäbeln ein Turnier in den Lüften halten und mit drolligem Eifer aufeinander „stechen“, oder mehrere Männchen, die in Eifersucht einem Weibchen folgen und sich gegenseitig heiß bekämpfen. Da gelingt dem glücklichen Schützen häufig eine Dublette, und manch ein besonders Glücklicher hat schon mit einem Doppelschuß drei Schnepfen aus der Luft heruntergeholt. Die Liebessehnsucht und Kampflust der Langschnäbel wird von erfahrenen Jägern auch benutzt, um eine außer

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 247. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_247.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)