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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

untergeordneten gesellschaftlichen Stellung und obschon er sich bisher in keiner Weise durchs schriftstellerische oder künstlerische Leistungen als ein Genie bewährt hatte, fand er sich in diesem Kreise fast gleich einem ebenbürtigen Genossen aufgenommen. Er besaß seinerseits die größte gesellschaftliche Gewandtheit und den behenden Witz der Voltairianer – und so stellte sich das geistige Gleichgewicht mit den Rheinsberger Hofmännern von selbst her. Jedenfalls war es ihm vorbehalten, die Chronik dieses Musensitzes zu schreiben, wo sich Kronprinz Friedrich, später der hervorragendste Herrscher des vorigen Jahrhunderts, auf seinen hohen Beruf vorbereitete und wo neben dem mit Vorliebe angeschlagenen leichtfertigen Ton des Versailler Hofes auch die mächtigen Accorde jener geistigen Bewegung nachzitterten, welche, von den großen Denkern und Dichtern hervorgerufen, zuletzt diesen Versailler Hof in alle Lüfte fegen sollte. Die Charakterschilderungen Bielfelds, die auf scharfer Beobachtung beruhen, sind für die spätere Geschichtschreibung von Wichtigkeit geblieben. Zwar der englische Biograph des großen Königs, Thomas Carlyle, hat geringe Sympathien für Bielfeld, von dem er sagt, er schwadroniere mit französischem Esprit im Munde und Spitzenmanschetten an den Aermeln, blendend und gerieben genug, und meint, daß seine Mitteilungen nur mit Vorsicht zu benutzen seien; er räumt ihm nur einen Scharfblick oberflächlicher Art ein. Doch Carlyle ist oft launenhaft in seinen Urteilen, während ein gediegener deutscher Geschichtschreiber, Preuß, der mehrere mit Recht hochangesehene Werke über das Leben des Großen Friedrich, seine Jugend und seine Freunde verfaßt hat, sagt: „Bielfeld, der zuletzt nach Rheinsberg kam, hat in seinen Briefen treue Schilderungen von diesem seltenen Vereine glücklicher Zurückgezogenheit gegeben, dessen er durch Studien, durch Reisen, durch Talent wie Einer würdig war.“

Bielseld selbst schrieb begeistert über seinen Rheinsberger Aufenthalt: „Ich verlebe hier wahrhaft entzückende Tage. Eine königliche Tafel, ein Götterwein, eine himmlische Musik, köstliche Spaziergänge, sowohl im Garten als auch im Walde, Wasserfahrten, Zauber der Künste und Wissenschaften, angenehme Unterhaltung: alles vereinigt sich in diesem feenhaften Palaste, um das Leben zu verschönern.“ Die Charakterköpfe der Genossen des Rheinsberger Kreises sind von Bielfeld mit schriftstellerischem Talent gezeichnet und ausgeführt: nichts anschaulicher als das Bild des Barons Keyserling. „Er trat in den Saal mit einem Geräusch und Getöse, wie der Nordwind im Rosenballett. Er kam von der Jagd und zu meinem Erstaunen erblickte ich ihn im Schlafrock, mit der Flinte über der Schulter. Er redete mich heiter an, wie man einen alten Freund anredet, und trug mich beinahe in sein Zimmer. Während er sich ankleidete, sagte er mir einige Verse aus der ,Henriade’ her, führte Stellen aus deutschen Dichtern an, machte einige Kapriolen und Pas, kam auf gelehrte Gegenstände und unterhielt mich von Politik, Mathematik, Malerei, Baukunst, von den schönen Wissenschaften und von der Kriegskunst. Ich stand wie betäubt, hörte schweigend zu und bewunderte alles an ihm, sogar die glücklichen Sprünge von einem Gegenstand zum andern; doch schien mir diese große Lebhaftigkeit nicht ganz ungekünstelt und keineswegs hervorgehend aus einem übersprudelnden Geiste. Obgleich ich bei näherer Bekanntschaft meine Meinung nicht geändert habe, finde ich doch, daß Keyserling ein sehr lieber Mann ist, der mancherlei weiß, gut spricht und schreibt und sogar Verse macht und neben dem aufgewecktesten Kopf das beste Herz besitzt. Sein Aeußeres ist kurz und gedrängt; er hat kleine Augen, eine breite Nase, keinen angenehmen Mund und eine gelbe Hautfarbe. Sein Wesen ist offen und ungezwungen, seine Haltung gut; er hat ganz die Sprache und Manieren eines Weltmannes.“

Am wohlthuendsten berührt die liebevolle Charakteristik der Kronprinzessin, der Gemahlin Friedrichs, welche sowohl von seiner Schwester als auch von seiner Mutter sehr ungünstig beurteilt wurde; die letztere sagte von ihr, „sie sei dumm wie ein Bündel Stroh“.

Bielfeld rühmt ihre regelmäßige Gestalt: „Ihre Brust, ihre Hände, ihre Füße könnten einem Maler zum Muster dienen. Ihre Haare haben das schönste Aschgrau von der Welt; sie fallen ein wenig ins Blonde und schimmern wie die Perlen, wenn sie gepudert sind. Sie hat eine sehr zarte Haut und große blaue Augen, in denen Lebhaftigkeit und Sanftmut sich um den Vorrang streiten. Ihr Blick ist feurig, sie hat eine offene Stirn, wohlgesetzte Augenbrauen, eine kleine, etwas spitzige, aber wohlgebildete Nase, einen angenehmen Mund, rote Lippen und ihr Kinn ist wie ihr Hals reizend. Güte spricht aus ihren Zügen und man kann wohl sagen, daß ihre ganze Gestalt von den Händen der Grazien geschaffen scheint; sie spricht wenig, am wenigsten bei Tisch; doch alles, was sie sagt, ist witzig. Sie scheint ein großes Genie zu haben, das sie durch beständiges Lesen der besten französischen Schriftsteller noch mehr ausgebildet hat.“ Vergleicht man mit dieser Schilderung der braunschweigischen Prinzessin, die später vom König Friedrich II. ganz beiseite geschoben wurde, das Bild, das die Schwester desselben, die Markgräfin von Bayreuth, eine etwas böswilliges Memoirenschreiberin, von ihr entwirft, so findet man, daß bei dieser sehr viel Schatten erscheint, wo jener nur Licht gesehen hat; sie meint, daß die Prinzessin zwar groß, aber von schlechtem Wuchs und schlechter Haltung, daß ihre Augen von einem blassen Blau seien und wenig Geist verrieten, daß sie wenig Anstand habe, im Sprechen sehr unbehilflich sei und sich schwer verständlich machen könne. Doch Bielfeld war kein Schmeichler und man wird ihm größere Unbefangenheit und Unparteilichkeit zutrauen dürfen als den Damen des königlichen Hauses, welche offenbar gegen die Braunschweigerin eingenommen waren.

Hin und wieder wurde der ruhige Verlauf der schönen Tage von Rheinsberg, welche der Pflege der Künste und Wissenschaften und heiterem Lebensgenuß gewidmet waren, durch ein etwas lärmendes Vergnügen unterbrochen. Ueber eines derselben berichtet Bielfeld, der selbst für längere Zeit einen unangenehmen Denkzettel davongetragen, in ganz ergötzlicher Weise: „Eines Tages hatte der Kronprinz einen ganz ungewöhnlich guten Humor bei der Mittagstafel. Seine Heiterkeit belebte diejenige der ganzen Gesellschaft. Einige Gläser Champagner versetzten uns in eine zu den lustigsten Späßen aufgelegte Laune. Der Prinz fand, daß dieser leichte Rausch uns nicht übel stehe, und erklärte uns beim Aufstehen von der Tafel, daß er entschlossen sei, das kleine Bacchusfest beim Souper da wieder anzufangen, wo wir es beim Diner gelassen hatten. Gegen Abend ließ mich der Prinz zum Konzert einladen, und als dasselbe zu Ende war, sagte er zu mir: ,Gehen Sie jetzt zur Prinzessin; sobald sie mit ihrem Spiel zu Ende ist, wollen wir uns zu Tisch setzen und nicht eher wieder aufstehen, als bis die Wachslichter verlöschen und der Champagner unseren Kopf ein wenig erleuchtet hat.’ Ich hielt diese Drohung für einen Scherz; aber die Prinzessin sagte mir, es sei voller Ernst damit und ich würde der List des Prinzen nicht entgehen können. In der That, kaum hatten wir uns zu Tisch gesetzt, so fing er an, eine interessante Gesundheit nach der andern auszubringen, auf welche Bescheid gethan werden mußte. Auf diesen ersten Angriff folgte ein ganzer Strom von Witzworten und jovialen Ausfällen von seiten des Prinzen und seiner Umgebung; die ernsthaftesten Stirnen entwölkten sich; die Heiterkeit wurde allgemein; auch die Damen nahmen daran teil. Ich hielt mich längere Zeit ziemlich wacker; dann aber bemerkte ich, daß eine kleine Wolke von Dünsten mein Bewußtsein zu umnebeln anfing. Ich hatte vor mir ein großes Glas Wasser. Die Prinzessin, der ich gegenüber saß, ließ aus einer liebenswürdigen kleinen Bosheit das Wasser weggießen und das Glas statt dessen mit Sillerychampagner füllen, so klar wie Felsenwasser, und man blies dazu auch noch den Schaum und die Perlchen hinweg. Ich hatte schon die Feinheit des Geschmacks verloren und mischte nun meinen Wein, ohne es zu wollen, mit Wein. Statt mich nüchtern zu machen, berauschte ich mich aber mit einem Räuschchen, das fast zur Trunkenheit stieg. Um mich vollkommen zu verderben, befahl mir der Prinz, mich an seine Seite zu setzen, sagte mir höchst verbindliche Dinge, ließ mich, soweit als meine schwachen Augen damals trugen, in die Zukunft hineinblicken und dabei ein volles Glas nach dem andern von seinem Lunel (– ein Muskatwein –) trinken. Endlich, mochte es nun aus Zufall oder Absicht geschehen, zerbrach die Kronprinzessin ein Glas. Das war ein Signal für unsere ungestüme Heiterkeit, ein großes Beispiel, das uns der Nachahmung wert erschien. In einem Augenblick flogen die Gläser in alle Ecken des Saals; sämtliches Glaswerk, Porzellan, Spiegel, Kronleuchter, Gefäße und Geschirre, alles wurde in tausend Stücke zerschlagen. Inmitten dieser gänzlichen Zerstörung stand der Prinz wie der tapfere Mann des Horaz,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 254. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_254.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)