Seite:Die Gartenlaube (1897) 270.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Nunmehr erging an die Matrosen, welche am Fuße des Denkmals schon bereit standen, das Geheiß, die schützende Hülle herunterzuholen, und langsam erschien das eherne Bild. Im Lustgarten donnerten die Kanonen, die Musikcorps spielten die Nationalhymne, von allen Kirchtürmen Berlins grüßten die Glocken und im leicht gedämpften Licht der Märzsonne stand endlich der alte Kaiser vor uns, von Künstlerhand ähnlich und vertraut gebildet, daß manchem eine Thräne wehmütigen Erinnerns das Auge netzte unter dem zwingenden Eindruck des schönen Moments. Jetzt begaben sich die Kaiserin und die Fürsten zum Denkmal hinüber, besichtigten es und legten Kränze nieder. Auch drei Deputationen russischer Regimenter spendeten einen goldenen und zwei silberne Kränze.

Allgemein war nach dem Streit der Meinungen in den letzten Jahren die Freude, daß das Standbild doch einen sehr, sehr schönen Eindruck macht. 20 m hoch erhebt sich auf dem Bronzepostament die Reiterfigur über das Straßenniveau. Das Postament ruht auf einem Unterbau von rotem poliertem Granit, dem sich die vier diagonal vorspringenden Löwengruppen angliedern. Die Reiterfigur allein ist 9 m hoch. Der Kaiser sitzt auf einem stolz ausschreitenden Pferde, er trägt die preußische Generalsuniform, der vorn offene Mantel weht in weiten Falten herab, das Haupt deckt der Helm ohne Federbusch. Das Gesicht ist ein wenig nach links gewandt, mild und freundlich blickt das teure Antlitz nach dem Lustgarten hinüber, wo das Denkmal Friedrich Wilhelms III. steht. Zur Seite des Kaisers, das Pferd am Zügel führend, schreitet ein Genius, eine wunderliebliche Mädchengestalt. In der Linken hält sie eine Palme, Lorbeerreiser schmücken ihr Haar; das antike Gewand, das im Winde flattert, läßt Schultern und Beine zum Teil frei. Den Hauptschmuck des Postaments bilden an den Seiten die Reliefdarstellungen des Krieges und des Friedens. Unter der einen liegt auf den Stufen des Sockels die Figur des Krieges – das Haupt mit den energischen Zügen deckt der Helm, mit sicherem Blick späht sie nach dem Feinde, während die Faust kampfbereit das Schwert umspannt –, unter der anderen erblicken wir die Figur des Friedens, eine edle, sinnige Jünglingsgestalt. Eine Kappe bedeckt ihm das Haupt, unter der das Haar hervorquillt. Der linke Arm stützt sich auf den Januskopf, dessen Kriegsantlitz verhüllt ist, die rechte Hand hält einen Zweig mit schweren Früchten. An den vier Ecken des Postaments befinden sich vier geflügelte, auf Kugeln stehende Viktorien. Auf den Stufen der Rückseite liegen Embleme, welche das alte Faustrecht andeuten: Streitaxt, Kettenhemd und Turnierhelm; an der Vorderseite sieht man die Verfassungsurkunde unter dem Schutz der Kaiserkrone. Vorn lautet die Inschrift. „Wilhelm der Große, Deutscher Kaiser, König von Preußen 1861–1888“, hinten: „In Dankbarkeit und treuer Liebe das Deutsche Volk.“ Die vier Löwen stehen, jeder anders aufgefaßt, über einer Sammlung von Trophäen. Sie haben dreifache Lebensgröße. Das Denkmal ist im Halbkreis von einer Säulenhalle aus Sandstein umrahmt, deren Endpunkte zwei mit Triumphgespannen gekrönte Pavillons bilden. Weibliche Siegesgestalten tragen auf ihnen flatternde Fahnen. Allegorische Gruppen zieren die Attika der Halle. Auf der Innenseite bestehen dieselben in dekorativen Darstellungen der vier deutschen Königreiche. Die beiden mittleren, die Sachsen und Bayern gewidmet sind, werden von kupfernen Adlern überragt, während über den äußeren, auf Preußen und Württemberg sich beziehenden Kronen angebracht sind. Die Halle ist ein Werk des schwäbischen Architekten Gustav Halmhuber.

Die Beleuchtung des königlichen Schlosses in Berlin.
Nach einer photographischen Aufnahme von Hugo Rudolphy in Berlin.

Nachdem die Besichtigung des Denkmals durch die Kaiserin und die übrigen Fürstlichkeiten beendet war, folgte ein glänzender Parademarsch der gesamten Berliner Garnison. Während dieser Zeit wurde das Momentbild aufgenommen, das wir im Holzschnitt auf S. 264 und 265 wiedergeben. Es ist der Augenblick vor dem Vorbeimarsch der Truppen, welchen die Aufnahme darstellt. Nach dem Vorbeimarsch schüttelte der Kaiser im Fortreiten Meister Begas kräftig die Hand und die Enthüllungsfeier war zu Ende. Sie war mit größter militärischer Macht- und Prachtentfaltung vollzogen worden. Mit Einbruch der Dunkelheit begann die Festbeleuchtung, deren Großartigkeit sich kaum beschreiben läßt. Berlin war in ein Meer von Licht getaucht. Den Mittelpunkt dieses Glanzes bildete das Königliche Schloß. Tausende von Lichtern flimmerten in seinen Fenstern, 8000 elektrische Birnen markierten die Architektur der Portalbauten, zahlreiche Flambeaux entsandten sprühende Feuergarben gegen den Himmel, während von dem Dache elektrische Scheinwerfer das Denkmal selbst mit einer Flut von Licht übergossen.

Am nächsten Tag fand die einfachere, aber nicht weniger herzliche Ehrung statt, welche die Bürgerschaft Berlins den Manen des toten Kaisers in einem Festzuge darbrachte. Wieder waren die Tribünen auf dem Festplatz dicht gefüllt, aber nicht wie am Tage vorher überwogen die Uniformen, im Gegenteil, sie verschwanden. Nur auf den Stufen des Kaiserzeltes, das die Insassen diesmal nicht verließen, hatten sich wieder zahlreiche Offiziere eingefunden. Als der Hof erschienen war, begann der Vorbeimarsch in tadelloser Ordnung. Darauf kam ein berittenes Bläsercorps

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 270. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_270.jpg&oldid=- (Version vom 6.7.2023)