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verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

das arme Dienstmädchen hinter ihnen hatte unter ihrem großen Tuchmantel die Arbeitshände gefaltet und hielt einen Gottesdienst für sich. Sie betete: „Lieber Gott, ich will ja nichts für mich, ich bin ja soweit zufrieden, aber mach’s doch richtig mit denen da drunten. Gut sind sie sich, das ist sicher, und der Mann wird ja noch ganz quatsch so allein in dem ollen großen Hause, von die Kinder gar nich zu reden, die verwildern ganz und gar. Ich kann doch nich ewig da bleiben, denn Fritze hat nun die Wildhüterstelle und will doch auch ’ne warme Suppe haben abends, wenn er nach Hause kommt, und Ostern will er nu mal partuh heiraten. Wenn er aber nich heiratet, denn wird’s nichts, ich kann ihn doch nich sitzen lassen mit ’n neues Mädchen, die nich aus und nich ein weiß, und Agnes ist doch ma in der Wirtschaft ’ne richtige Null! Mach’s richtig, lieber Gott, schenk’ dem Mann die Frau und den Kindern die Mutter zum heiligen Christ! Amen!

Der Prediger sprach endlich auch sein „Amen!“ Jubelnd erscholl der alte Weihnachtsgesang „Lobt Gott, ihr Christen, allzugleich“, durch die Kirche, und Karoline nahm Mariechen bei der Hand, die Großen gingen voran, so schoben sie sich durch die Menge aus dem Portal auf den Schloßhof hinaus.

Gottlob, das Betstübchen war leer geblieben!

„Der Vater ist in seiner Stube,“ rief Agnes, „siehst du, Karoline, der hat ’s Weihnachten vergessen!“

„Wart’ doch ab, du,“ brummte das Mädchen, „und lauf’ ’mal nicht so! Herr Jesses, du wirst noch fallen, bei die Glätte! Aber sie selber hatte eine Art Geschwindmarsch eingeschlagen, und jetzt lief sie förmlich um die Wette mit den Kindern dem Hause zu. „Willst du wohl, dummer Bengel! Wir gehen über den Hof,“ rief sie, und so kamen sie wieder durch die Hinterthür, der alte Knecht saß am Küchenherd und schlief.

„’n abend!“ schrie Karoline ihm in die Ohren, „hat der Herr nicht gerufen? „Nee, ich hab’ nichts gehört.“

„Ist er fortgegangen?“

„Is mich nich bewußt.“

„Weil du slapen hast, oller Dooskopp“, erklärte Karoline, „dat Füer is och ut. Nu seid ihr ganz still, wandte sie sich an die Kinder, „ich denk’ mir, der Vater is schon in der guten Stube beim Christkind – ich will ’mal nachsehen.“

Und damit ging dies drollige, gute, dummdreiste Menschenkind in die Schlafstube des Oberförsters, hob den Vorhang vor dem Thürfenster und lugte in ihres Herrn Zimmer. Sie hätte beinahe einen Juchzer ausgestoßen, aber sie besann sich noch, biß sich auf den Finger und focht mit den Armen wie toll in der Luft herum, vor Wonne über das, was sie sah. Dann schlüpfte sie leise davon – „Gott sei Lob und Dank!“

„Kinders,“ sagte sie mit verschmitztem Lachen, „ihr müßt heut’ noch warten, Vater hat noch keine Zeit, aber dafür kriegt ihr auch ganz was Apartes zum Heiligen Christ. Die Kinder machten erwartungsvolle Gesichter und fügten sich, vorläufig interessierte sie die Zubereitung der Karpfen. Aber das Wasser brodelte längst auf dem Herde und noch immer war eine Totenstille im Hause. Da riß Karoline die Geduld.

„Nu kommt, Kinders – was zu doll is, is zu doll! Es soll doch einer über so’n bißchen Liebesglück nich seine leibhaftigen Würmer am heiligen Weihnachtsabend vergessen!“

Und umringt von ihnen, schritt sie zur Thür der Stube des Herrn Oberförsters und klopfte mit hartem Finger, und Hermann donnerte mit den Fäusten dagegen.

„Vater! Vater!“ schrieen die Mädchen, „es ist beinah’ Acht!“

„Herein!“ scholl es, und da stürmten sie hinein, und mit Ausnahme von Karoline, die ja nicht mehr überrascht werden konnte, blieben sie mit offenem Mund und starren Augen stehen. Da saß der Vater auf dem Sofa und neben ihm ganz rot, ganz verweint und doch lächelnd, ihre Hand in des Vaters Hand, ihren Kopf an seiner Schulter, die Tante – die Tante Hede. Und Karoline flüsterte dem Mariechen etwas ins Ohr und verschwand dann, die Thür hinter sich zuziehend. Das Kind stand noch einen Augenblick, dann lief es zu Hede. die es lachend und weinend auf den Schoß hob.

„Ist’s wahr, daß du meine Mama wirst?“

„Ja! Ja! Kommt her!“ rief der Oberförster. „Die Tante will es, sie will bei uns bleiben – das schenke ich euch zu Weihnachten, Kinder, eine neue Mama, eine Mutter! Und er stand auf und hob seinen Jungen empor und setzte ihn neben Hedwig, und dann zog er seine Aelteste heran. „Dir hat sie am meisten gefehlt, Große, freust du dich denn auch?“

Das Kind aber barg den Kopf an des Vaters Brust und fing an zu weinen.

„Ich hab’ mir’s doch schon zum Geburtstag gewünscht“, sagte sie.

„Und nun hört! Heute abend bringt das Christkind euch nichts, ich will Tante Hede hinaufbegleiten sie muß ihrem Bruder erzählen, daß sie eure Mutter werden will. Aber morgen, dann zünden wir beide euch den Baum an. Ihr werdet nachher recht vergnügt und artig zu Bette gehen und euch auf morgen freuen.

In Anbetracht der neuen Mama wurde die hinausgeschobene Christbescherung genehmigt, und nach einigen Minuten gingen Oberförster Günther und Hede Kerkow nebeneinander durch die Dunkelheit der heiligen Nacht. Droben im Erker brannte das einsame Lichtlein wie immer, im Doktorhause war alles dunkel, nur über ihnen flammten die Sterne, diese ewigen Weihnachtslichter. Er hatte ihre Hand genommen und atmete hörbar.

„Hede, sagte er gepreßt, „mir ist, als habest du Schweres zu überstehen heute – dein Bruder –“

„Sei ohne Sorgen – er braucht mich nicht,“ antwortete sie. Aber auch ihr klopfte das Herz.

Dann nahmen sie Abschied für heute abend. „Ich danke dir! Ich danke dir,“ sagte er leise, „mögest du es nie bereuen!“

„Ich danke dir“, antwortete sie hell und fröhlich. Du weißt nicht, du weißt ja nicht, wie arm und heimatlos ich war, wie reich ich jetzt bin wie lieb ich dich habe!“

Er wollte sie an sich ziehen, aber sie hielt ihn zurück. „Mehr als du mich!“ setzte sie leise hinzu, „viel mehr!“

„Nein!“ sagte er.

„Wirklich?“

„Ja, Hedwig! Ich habe dir ja alles gebeichtet, du vermagst dir nicht vorzustellen wie ich mich nach dir gesehnt habe, all die Zeit her.“

„Aber –?“ Sie wandte den Kopf und sah bang zu dem dunklen Hause hinunter, in dem sie Aenne wußte.

„Das? Das ist ausgekämpft, Hede, und jetzt ist’s klar in meiner Seele, und so ruhig, so tief innerlich froh und friedlich fühle ich mich.“

„Leb’wohl“, flüsterte sie gerührt, „auf morgen! Leb’ wohl!“

Sie sahen sich ein Weilchen in die Augen, dann zog er sie an sich und küßte sie.

Heinz, der sonst kaum sah und hörte, ob die Schwester im Zimmer sei oder nicht, vermißte sie heute. Vielleicht waren die Kerzen des Weihnachtsbaumes schuld daran, daß er die Zusammengehörigkeit mit ihr wieder fühlte, die Erinnerung an die süße, gemeinsam verlebte Kinderzeit! Er wartete, zuerst ungeduldig, dann ward er unruhig, einigemal pochte er an die Thüre ihres Zimmers – vergebens.

Wundern konnte er sich nicht, wenn sie eine wärmere Atmosphäre aufsuchte als die, welche hier herrschte, indes heute, heute am Weihnachtsabend? Und wo mochte sie sein? Vielleicht bei Mays? Aber es sah ihr gar nicht ähnlich, sich an solchen Festtagen in intime Familienkreise zu drängen. Möglicherweise auch hatte sie ein paar Arme, denen sie bescherte. Er erinnerte sich, daß sie immer nähte und strickte in letzter Zeit, wenn er sie sah. Es konnte auch sein daß sie bei ihren ehemaligen Pfleglingen sich befand, lieber Gott, warum auch nicht, wenn’s nur nicht gerade heute gewesen wäre!

Das alte Schloß war so spukhaft still an diesem Abend. Das Dienstmädchen saß vermutlich beim Punsch in der Dienerstube, die im Souterrain lag.

Eine Viertelstunde lang hatte das mächtige Geläute der Schloßkirche die Zimmer durchtönt, und ihn hatte es unterhalten, die Kirchgänger den Berg hinaufsteigen zu sehen. Heini war

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verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 279. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_279.jpg&oldid=- (Version vom 28.11.2016)