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verschiedene: Die Gartenlaube (1897)


Der Papierkorb der Getreuen von Butzbach. (Mit Abbildung.) Vor drei Jahren, gelegentlich des achtzigsten Geburtstags des Fürsten Bismarck, traten einige Bürger der oberhessischen Stadt Butzbach zusammen um dem Altreichskanzler zu dem bevorstehenden Jubeltage ein Zeichen der Liebe und dankbaren Verehrung zu widmen. Da Butzbach durch seine Gerbereien und seine Lederindustrie sich eines besonderen Rufes erfreut, stifteten sie ihm ein Paar „Geburtstagsstiefel“. Auch im darauffolgenden Jahre meldeten sich „die Getreuen von Butzbach“ am 1. April in Friedrichsruh durch eine Gabe an. Sie sandten ein kunstvolles „Rauchtischchen“, mit allerlei zeitgemäßen Sprüchen geziert. In diesem Jahre wanderte wieder ein sinnreiches Geschenk von Oberhessen nach dem Sachsenwalde. Es war ein Papierkorb, den unsere nebenstehende Abbildung wiedergiebt. Er ist aus dem besten naturfarbenen Butzbacher Leder gearbeitet, etwa 80 cm hoch und hat die Form einer Urne. Quer über die Oeffnung ist ein Lederbügel angebracht, an dem zwei Deckel zum Verschließen des Korbes befestigt sind. Ein blauseidenes Band schmückt den Bügel und von seinen Enden trägt das eine das Wappen Bismarcks, das andere das Stadtwappen von Butzbach. Das Band wird von einem ledernen Schilde zusammengefaßt, auf dem folgenden Worte eingebrannt sind.

„Die ganze Kraft, die beste Liebe
Hast stets du deinem Volk geweiht,
Ein Band, das heißer Dank gewunden,
Verknüpft uns mit dir allezeit.“

Ferner findet sich auf dem oberen Rande des Papierkorbes folgende Mahnung.

„Laß schreiben nur den giftigen Neid,
Bis ihm die Finger zucken,
Es wird der Lederbauch gar bald
Die ganze Flut verschlucken.“

Von der weiteren Ausschmückung des Korbes sind noch ein in Medaillonform gehaltenes, in feinster Lederbrandzeichnung ausgeführtes Bild von Butzbach sowie eine in derselben Art hergestellte Widmungstafel hervorzuheben. Letztere trägt die Worte: „Zum 1. April 1897, die Getreuen von Butzbach.“ Recht hübsch sind auch die Eichenzweige und Kleeblätter, ähnlich den drei Kleeblättern des Bismarckschen Wappens, ausgeführt. Der Fuß ist mit blauer Seide umkleidet und mit demselben Stoß auch das Innere ausgeschlagen. Die „Getreuen“ von Butzbach pflegen, wie wir noch besonders erwähnen wollen, ihre Gaben selbst auszudenken und auch selbst auszuführen.

Gewiß hat der Papierkorb dem Altreichskanzler im Sachsenwalde gefallen, mehr aber noch als die kunstvolle Ausführung wird ihn die dankbare Liebe erfreut haben, die auch in dieser Butzbacher Gabe zum Ausdruck kam.

Der Papierkorb der „Getreuen von Butzbach“.

Die Tauben der Venus. (Zu dem Bilde S. 281.) Der römischen Liebesgöttin waren die Tauben heilig, und heimisch waren sie in deren Tempeln, doch wie vieles andere, was in der ewigen Roma zum Kult der Götter gehörte, ist auch dieser Brauch zu den Römern aus dem Orient herübergekommen. Aus einem Taubenei war nach der Sage die mächtige Herrscherin Semiramis geboren und die geflügelten Verwandten derselben flatterten in dichten Schwärmen um die Mauern der hochgetürmten Stadt Babylon. Und wenn heute noch 3000 Taubentürme um die persische Hauptstadt Ispahan ragen, obschon hier die Taubenzucht nur den Zwecken des Ackerbaus dient – wieviele mögen sich damals an den Ufern des Euphrat erhoben haben! Auf den ägyptischen Hieroglyphen finden wir sie mit dem Phönix und der Palme zusammen als Zeichen der Zeit und der Fortpflanzung des Menschengeschlechts. Auch für die Israeliten hatte die Taube eine heilige Bedeutung und Jerusalem hieß die Stadt der Tauben. Und wie bedeutsam wurde sie auch für das Christentum! Sie war das Attribut der heiligen Jungfrau, des heiligen Geistes und der Apostel. Tauben wurden in die Gräber der Märtyrer gelegt – vorbedeutende Zeichen ihrer Auferstehung, und allerlei kirchliche Gerätschaften, besonders Lampen, erhielten die Taubenform. Und da der Orient die gemeinsame Wiege der welterobernden Religionen war, so fand die Taube auch eine Zuflucht in dem Glauben der Mohammedaner, der sonst am freiesten ist von allem Bildlichen und Symbolischen. In Mekka werden die wilden Tauben geehrt und die Mädchen halten Futter für dieselben feil. In Rom nun wurde die Taubenzucht in zahlreichen Kolumbarien gepflegt, von denen auch die den Taubenhäusern ähnlichen Grabkammern ihren Namen erhielten. Auf dem Bilde von Motte sehen wir die Tauben der Venus aus ihren Schlägen in den Tempelraum herniederflattern auf die Hand der schlanken Hohenpriesterin, die sie zärtlich an die Lippen drückt – ihr zu Füßen aber streut die dunkle Sklavin ihnen das willkommene Futter und die Tauben picken die Gerstenkörner auf. Im Tempel selbst sieht die Schar der Tempeldienerinnen dem Flug der Venusvögel zu und draußen eine andächtige Menge.†      

Die „stolzen“ Spanier. Vor etwa zweihundert Jahren reiste die französische Gräfin Daunoy durch Spanien und hat da viel Seltsames erlebt; ein Vergnügen ist das Reisen damals auf der iberischen Halbinsel aber nicht gewesen, die Zustände in den Gasthöfen waren noch höchst primitiv. Mancherlei weiß sie auch von dem Stolz und der Hoffart der Spanier zu erzählen, die sie als sehr mäßig bezeichnet, wenn es auf eigene Kosten ging, die aber wie die Wölfe fraßen, wenn andere den Beutel aufthun mußten. Mit dieser Uebung – nicht mit dem Stolze – stimmt auch überein, daß manche bei einem Essen fünf bis sechs Schnupftücher zu sich steckten „und wann sie dieselbigen vollgefüllt, solche rings herum um ihren weiten Rock binden, wie etwa in einer Speiskammer, das Fleisch und das Geflügel an einen Haken hangen. Indessen thuet doch der Hauswirth als wenn er solches nicht sehe, weil es ihm sonsten vor einen Geiz möchte ausgeleget werden. Sie erzählt, daß sich ein Schuhmacher einmal Lachs kaufen wollte; als ihm der Fischer sagte, daß der für ihn wohl zu teuer sein würde, weil das Pfund einen Thaler kosten sollte, entgegnete der Schuhmacher zornig, daß er nun gerade drei Pfund nehme, während er sich mit einem Pfund begnügt hätte. wenn der Lachs wohlfeil gewesen wäre. Stolz und gravitätisch sei nun der Schuhmacher von dannen gestiegen, nachdem er „etwann sein ganzes Vermögen“ dafür gegeben. Oefters sollte es vorkommen, daß ein armer oder hochmütiger Mensch die Füße eines Kapauns unter seinem Mantel auf öffentlichem Markt hervorsehen lasse, damit die Leute glaubten, „er müßte ohne Zweifel viel Gebratenes“ essen. Die Felder waren sehr häufig unbebaut, weil die geringsten Bauern sich als Edelleute fühlten, für die sich das Arbeiten nicht schicke, „eher würden sie mit ihrer hoch ansehnlichen Familie den bittern Hunger und die äußerste Armuth leiden“.

Lunchroom in Chicago. (Zu dem Bilde S. 289.) Wie im ganzen amerikanischen Leben, prägt sich auch im Restaurationswesen in Amerika das Sprichwort „Zeit ist Geld“ aus. Allgemein bekannt ist wohl in Europa die Einrichtung der amerikanischen „Bar“, an der die Getränke stehend eingenommen werden. Der Lunchroom, von dem der Zeichner heute ein Bild vorführt, ist ausschließlich zum Einnehmen von Mahlzeiten bestimnnt. Auch hier ist zumeist eine „Bar“ vorhanden, aber außer Speisen verschiedener Art giebt es nur Thee oder Kaffee, der in einem großen Kessel stets brühwarm brodelt. Die Ausstattung dieser Räume ist höchst einfach, zumeist sind die Zimmer ganz in Weiß gemalt und große, automatisch bewegte Fächer sorgen für Kühlung. Die kleinen Sessel vor dem Schanktisch deuten an, daß der Lunchroom nicht dazu bestimmt ist, um in ihm gemütlich nach deutscher Sitte Mahlzeit zu halten, sondern in Hast einige Bissen zu verschlingen und dann wieder fortzustürzen. Hier nimmt der Geschäftsmann in seiner Lunchpause rasch eine Stärkung, die vom beliebten „Shopping“, vom Ladenbesuch, kommende Dame erfrischt sich hier, und Angehörige aller Völker sitzen da nebeneinander. Die Bedienung wird zumeist von Damen besorgt oder auch von weißgekleideten Köchen. Schalen mit prächtigem kalifornischen Obst zieren die Tafel, und auch die Schaufenster sind häufig mit Obst, Hummern, Schildkröten und dergleichen verlockend ausgeschmückt. Beefsteak und Austern sind die Hauptbestandteile des Menus dieser „Lunchrooms,“ in denen man schon von 10 Cent an eine Mahlzeit erhalten kann. Einen verwöhnten Gaumen darf man freilich nicht haben, die Gerichte sind ebenso in Eile hergestellt, wie sie gegessen werden, denn hier heißt es eben immer und überall: „Time is money“. M. E. F.     


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Inhalt: Trotzige Herzen. Roman von W. Heimburg (16. Fortsetzung). S. 277. – Johannes Brahms. Bildnis. S. 277. – Die Tauben des Venustempels. Bild. S. 281. – Johannes Brahms. Ein Nachruf. S. 283. (Mit dem Porträt S. 277.) – Die Zoologische Station des Berliner Aquariums in Rovigno. Von Franz Ith. S. 284. Mit Abbildungen S. 284, 286 und 287. – Zwei Wünsche. Gedicht von A. Nicolai. Mit Bild. S. 285. – Einmal zur rechten Zeit. Erzählung von Luise Westkirch (Schluß). S. 288. – Lunchroom in Chicago. Bild. S. 289. – Blätter und Blüten: Frühlingskuren. S. 291. – Der Papierkorb der „Getreuen von Butzbach“. Mit Abbildung. S. 292. – Die Tauben der Venus. S. 292. (Zu dem Bilde S. 281.) – Die „stolzen“ Spanier. S. 292. – Lunchroom in Chicago. S. 292. (Zu dem Bilde S. 289.)



Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner in Stuttgart. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig.
Druck von Julius Klinkhardt in Leipzig.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 292. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_292.jpg&oldid=- (Version vom 4.7.2023)