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verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

noch weh? Haben Sie gut geschlafen? Hat Ihre Frau Mutter schon mit Ihnen – ich wollte sagen, haben Sie Ihre Frau Mutter schon gesprochen?“ verbesserte er sich, rot werdend.

„Ich schlief gestern abend schon, als sie kam, und sie heute früh noch, als ich ging, Herr Doktor.“

„So, so! Sie wollte Ihnen etwas erzählen, glaube ich, stotterte er. Na, das braucht aber nicht gleich heute früh zu sein, erst frühstücken wir zusammen und, Fräulein Aenne, wenn meine Sprechstunde vorbei ist, sagen Sie mir vielleicht – –“

Sie blickte ihn halb verwundert, halb zerstreut an. „Was denn?“

„Ich meine, wie Ihnen das gefallen hat – die Geschichte, das Märchen – das – was Ihre Mutter Ihnen erzählen will –“

Sie hörte ohne Interesse auf seine Worte, sie antwortete auch nicht, sie dachte schon wieder an die bitteren Worte von Heinz Kerkow. Und genau so zerstreut schritt sie ihm voran in die Hausthür und bot der am Fenster entzückt aufschauenden Rätin einen Guten Morgen. Ja, ganz entzückt war die Frau Rat, weil sie die beiden so zusammen hatte kommen sehen. Die Aenne mit der hohen Röte innerer Scham auf dem Antlitz schien ihr so bräutlich, so selig, und nun wollte gar der Doktor im Garten frühstücken mit der Aenne – es konnte nicht anders sein, sie waren einig, die beiden, gottlob, sie waren einig!

Aber die erregte Frau hatte den Mut nicht, sich Gewißheit zu verschaffen. Sie lugte nur hinter den Gardinen hervor auf das junge Paar und beobachtete die Augen des Doktors, die nicht von dem jungen Mädchen ließen. Das saß abgewandt, in halber Verlegenheit und warf den Hühnern Brocken zu über den Drahtzaun hinüber. Als der Doktor sich erhob, um sein Sprechzimmer aufzusuchen – es wartete bereits ein Häuflein Patienten – da litt es die Mutter nicht länger, sie nahm die Schüssel Spinat und ein Messer und setzte sich zu Aenne, und mit zitternden Fingern die Blätter verlesend, begann sie. „Du, Aenne –“

Das Mädchen fuhr herum wie eine, die aus dem Schlaf erwacht. „Was willst du, Mutter?“

„Ich – der Rätin stockte plötzlich der Atem. „Ach, du wirst’s wohl schon wissen, du Schlaukopf – gelt?“

„Was denn, Mutter?“ „Hat dir der Doktor nichts gesagt?“ Aenne mußte sich erst besinnen „Ach so – ja – du wollest mir etwas erzählen. Was ist’s denn?“

„Weiter hat er dir keine Andeutung gemacht?“ Aenne schüttelte den Kopf.

Die Rätin seufzte. „So sind nun die Männer,“ dachte sie. „Wenn ich man bloß wüßte, wie ich es anfangen sollte, die Sache so zur Sprache zu bringen, daß es Aennes Herz rührt.“

„Er ist doch eigentlich eine Seele von einem Menschen,“ begann sie laut, „der Doktor! Was, Aenne?“

„Ich kenne ihn zu wenig, aber ich glaube, er ist wirklich ein guter Mensch,“ gab Aenne zu. Und plötzlich erinnerte sie sich, wie sie eben erst ein begeistertes Lob aus seinem Munde erlauscht hatte, und die Röte der Bestürzung stieg ihr purpurn in die Wangen.

„Warum wirst du denn so rot?“ lachte die Rätin. „Du ahnst wohl schon, was ich dir sagen soll? Na, ich merk’s ja, du weißt, daß der arme Kerl bis über die Ohren in dich verschossen ist, und –“

„Aber, Mutter!“ rief Aenne, doch ein Weiteres kam nicht über ihre Lippen, nur in die Augen drängte sich ein heißes Erschrecken über diese neue Werbung. „Du mußt nicht scherzen mit solchen Dingen, Mutter,“ setzte sie stotternd hinzu.

„Da sei Gott vor!“ rief die alte Dame eifrig und stolz. „Es ist Wahrheit, Kind, so wahr wie ich hier vor dir sitze. Ich hab’s auch lange schon gemerkt, und gestern abend bat er mich, ich sollte für ihn sprechen bei dir, ihn macht so die Liebe rein zum blöden Jungen! Nein, mein Aenneken, es ist wahr!“ beteuerte sie nochmals, „er will dich heiraten und – das hast du ja auch lange gemerkt schon, du Schlaukopf, du!“

„Und du hast ihm Hoffnung gemacht?“ fragte das Mädchen und stand hochaufgerichtet vor der Mutter.

„Warum denn nicht? Worauf sollen wir denn noch warten, Kind? Denke doch nur – Vermögen, ein tüchtiger Arzt, die ganze Praxis des seligen Vaters hat er, und gut ist er dir, rein närrisch – ich dächte doch – –“

„Mutter,“ stieß Aenne hervor, „du durftest ihn nicht ermutigen, du hattest kein Recht dazu!“

Frau Rat stellte die Schüssel hin und warf das Messer hinein. „Ich kann mir doch nicht denken, daß du so, gelind gesagt, so unvernünftig bist, Aenne,“ stotterte sie. „Komm ’mal her und laß uns beide ein ruhiges Wort darüber reden“ und sie zog die Tochter an der Hand tiefer in den Garten, „komm in die Laube da unten, dort hört uns niemand!“

Aenne ließ sich ziehen, aber sie zitterte am ganzen Körper. Nun war sie wieder mitten hinein geschleudert in den Kampf sollte er denn niemals enden? Und nun drückte die Mutter sie auf die graugestrichene Lattenbank und blieb vor ihr stehen, mit mühsam zusammengehaltener Ruhe und Sanftmut.

„Bedenke doch, ich bin Witwe und du bist ein armes Mädchen,“ begann sie so leise und gütig, wie sie nie gesprochen. „Es mag dich vielleicht keine übergroße Liebe zu ihm drängen, jedenfalls aber darfst du ihm deine Achtung nicht versagen; du mußt seine Rechtschaffenheit und seinen Fleiß anerkennen, das ist gar nicht anders möglich. Du bist nun auch in dem Alter, wo man diese Eigenschaften zu schätzen weiß, denn was aus den vielgepriesenen Liebesheiraten wird, das kannst du recht deutlich an den Kerkows sehen. Der sogenannte Beruf eines Mädchens als Sängerin, als Lehrerin oder dergleichen ist ja doch eben nur ein Notbehelf für solche, die keinen Mann bekommen, und kurz und gut, liebes Kind, es wäre eine wahrhafte Sünde, eine wahre Vermessenheit, wolltest du dies Glück nicht annehmen, denn wenn du da draußen auch wirklich ’mal den Wind dir um die Nase hast wehen lassen – um zu ermessen, wie schwer das Leben ist für ein einsames Frauenzimmer, dazu hat dir, gottlob! bis jetzt jede Gelegenheit gefehlt. Und nun begann sie zu schluchzen, und weil sie ihr Taschentuch vergessen hatte einzustecken, nahm sie den Schürzenzipfel vor die Augen.

Ueber Aennes gesenktem Haupt ergoß sich dieser Redestrom mit niederschmetternder Gewalt, um so wirkungsvoller, als er in ungewöhnlich sanfter Weise zum Ausdruck gebracht wurde. Ach, und diesmal, fühlte sie, würde ihr die alte weinende Frau die Weigerung nicht wieder vergeben. Und sie mußte sich doch wieder hineinstürzen in Sturm und Wetter, sie mußte Nein! Sagen.

Sie stand auf. „Komm nur, Mutter, ich werde dem Doktor die Gründe meiner Weigerung selbst auseinandersetzen, will dir das Schwere nicht zumuten oder – ich schreibe ihm.“

„Du willst nicht?“ schrie die Rätin, alle Sanftmut über Bord werfend.

„Ich kann nicht, Mutter! Sei gut, ich bitte dich! Ich habe dich so sehr lieb, aber verlange nicht, daß ich unglücklich werde!“ Mit diesen Worten schritt sie an der Mutter vorüber, und entschlossen, diese Angelegenheit so rasch als möglich zu Ende zu bringen, lenkte sie ihre Schritte direkt in des Doktors Vorzimmer.

Als sie eintrat, saß dort nur noch ein altes Mütterchen aus den Bergen droben und wartete auf ihren „Ollen“, der zum Doktor gefahren war, weil er’s so arg auf der Brust hatte, wie sie Aenne mitteilungsbedürftig erzählte, und der „Neue“ solle der „ollen“ Müller-Lorenzen so gut auf die Beine geholfen haben, solle ein ganz Kluger sein, der würde jawohl auch ihren Gottlieb kurieren können.

Dann endlich kam der „Olle“ herausgehüstelt und des Doktors Auge traf auf Aenne, die mit ernstem blassen Gesicht neben dem Instrumentenschrank stand. Sein Herz hörte beinahe auf zu schlagen – das sah keiner bräutlichen Ergebung gleich, nicht dem Benehmen eines Mädchens, das liebt.

„Sie wollen mich sprechen?“ stotterte er.

„Ja, Herr Doktor, aber lange soll’s nicht dauern; ich weiß ja, Sie sind beschäftigt!“

Sie trat in das ihr so liebe Gemach, in welches sie so oft geschlüpft war, um dem Vater ein herzliches Wort zu sagen, ihm einen Kuß zu geben oder die kleinen Kümmernisse ihres jungen Lebens anzuvertrauen. Wo war er geblieben, der allezeit freundliche Mann, der treue, liebe Beschützer ihrer Jugend? Es war ihr, als fühlte sie in diesem Augenblick erst, wie furchtbar verlassen sie in der Welt stehe, wie sie auch nicht ein Herz ihr eigen nenne, das sie und ihr Handeln verstände.

Der junge Arzt wies auf einen Stuhl neben dem Schreibtisch, aber er brachte die übliche Fragen „Nun, wo fehlt’s denn?“ angesichts dieses Besuches nicht über die Lippen, er wartete mit

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verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 298. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_298.jpg&oldid=- (Version vom 28.11.2016)