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verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

wir dies höchst interessante Gesamtbild, das uns hier von der Thätigkeit und Fürsorge einer umsichtigen Regierung gegeben wird, mit Bewunderung geschaut haben, verlassen wir das Hauptausstellungsgebäude!

Alt-Leipzig: Hexenküche in Auerbachs Keller.

Mit richtigem Verständnis für die Aufwendungen, die der eingehende Besuch großer Ausstellungsräume mit all den verschiedenartigen Eindrücken auf empfängliche Gemüter mit sich bringen muß, ist man darauf bedacht gewesen, die Stätten der Erholung und Zerstreuung bis dicht an die Thüren des Hauptgebäudes heranzuführen. An den nördlichen Flügel schließt sich das Vergnügungsviertel an, während der südliche Flügel an das „Thüringer Dorf“ grenzt. Wir ziehen zunächst den Ausflug in das an Wald und Fluß gelegene Dorf vor, dessen Häuser teils aus „echten“ Bauwerken bestehen, die an ihrem Standorte abgebrochen und hier wieder aufgebaut worden sind, teils solche in naturgetreuer Nachbildung veranschaulichen. Die ganze höchst charakteristische Anlage führt uns ein überaus anziehendes Bild menschlicher Wohnungen aus einem der schönsten Teile des Ausstellungsgebietes, dem herrlichen Thüringen, vor. Aber der originellen Schöpfung liegt wohl noch ein anderer tieferer Gedanke zu Grunde: vielleicht trägt auch sie dazu bei, den Sinn für den überfeinerten Geschmack des fin de siècle wieder mehr auf Ursprünglichkeit und Einfachheit zurückzuführen. Wie ein frischer Hauch, gemacht aus Wald- und Höhenluft, weht es uns aus diesem idyllischen Erdenwinkel entgegen. Um einen von Enten und Gänsen belebten Teich, in dessen trübem Wasser sich knorrige Weidenbäume von urgemütlichem Aussehen widerspiegeln, ist das Dörfchen aufgebaut, das ein gastfreies Völkchen bewohnt. Im Bauernhaus, in dem das Pfeifenschnitzen noch als Hausindustrie betrieben wird, ist frische Milch zu haben, und in der Schmiede dicht daneben, die von jeher auf einen guten Tropfen halten mußte, wenn die Fuhrleute eines beschädigten Rades oder verlorenen Hufeisens wegen vorsprachen, wird man nicht trockenen Gaumens von der Schwelle gewiesen. Beide Häuser sind auf unserem Bilde S. 309 rechts sichtbar. Auch an einem Gutshof mit Scheune und Taubenschlag fehlt es nicht und dort macht sich das stattliche Gemeindehaus mit hohem Treppenvorbau und geräumigem Saale breit. Jetzt zieht uns der liebliche Duft von Rostbratwürsten und „rohen“ Kartoffelklößen – den Nationalgerichten des Thüringers – in die Nase. Wir sind vor dem Dorfkrug angelangt, an dem das verwitterte Wirtshausschild heraushängt. Doch horch, welch ein Rauschen! Uns ist, als wenn wir es deutlich klingen hörten.

„In einem kühlen Grunde,
Da geht ein Mühlenrad …“

Ja, so und nicht anders muß sie ausgesehen haben, die Mühle mit dem bemoosten Rad, die Eichendorff zu seinem gemütstiefen Volksliede begeistert hat. Aber weiter, denn auch die alte romanische Dorfkirche dort ladet uns zu einem Besuche ein! Sie stellt die „Elisabethkapelle“ dar, die sowohl wie der in Stein gefaßte „Elisabethbrunnen“ vom Erbauer des Dorfes nach Mitteilungen der Wartburgchronik, laut welchen sie einst am Fuße des Wartburgberges gestanden haben, frei nachgebildet wurden. Unser Bild zeigt beide neben der alten Mühle. Und nun schweift der Blick zur Wartburg selbst hinüber, die jenseit des Flußbettes errichtet und mittels einer malerischen überdeckten Holzbrücke erreichbar ist. Das herrliche Wahrzeichen Thüringens, das noch aus dem 11. Jahrhundert stammt, läßt allerlei Gestalten aus Sage und Geschichte vor unserem geistigen Auge aufsteigen, aus denen die heilige Elisabeth, Tannhäuser, Wolfram von Eschenbach, sowie die kernige Gestalt Luthers hervorragen.

Alt-Leipzig: Faßritt aus
Auerbachs Keller.

Wir kommen an dem Hauptcafé und der in leichtem Dekorationsstil gehaltenen Hauptgastwirtschaft vorbei, die einladend an einem künstlichen Wasserbecken gelegen sind, dessen mächtiger Springbrunnen abends in den herrlichsten Farbenreflexen erstrahlt, und wandern zunächst zu der im Renaissancestil erbauten Halle der Stadt Leipzig, in der die Verwaltung der viertgrößten Stadt im Reiche mit ihren trefflichen Anlagen, Einrichtungen und Anstalten in Grundrissen, Ansichten und Modellen gemeinverständlich dargestellt ist. Hoch- und Tiefbau, Gas- und Wasserwerke, Schlachthof, Markthalle und Gartenbau fanden eingehende Berücksichtigung. Das Polizei- und Steuerwesen sind vertreten, ebenso das Krankenhaus und andere Heilanstalten. Ein umfangreicher Platz ist dem Unterrichtswesen eingeräumt, in dessen Abteilung ein Klassenzimmer, ein naturwissenschaftliches Lehr- sowie ein Lehrmaterialzimmer mit allen Ausrüstungsgegenständen eingerichtet sind. Hinter dem Gebäude wird uns der unterirdische Teil einer Straße mit seinem verzweigten Kanalsystem, seinem Röhren- und Kabelnetz in Wirklichkeit gezeigt.

Hieran läßt sich der Besuch der Ausstellung für Gas und Wasser, die ebenfalls in einem eigenen Bau untergebracht ist, leicht anschließen. Ganz besonders belehrend hat sich dieselbe in der Behandlung und Vorführung des Gases gestaltet. Hier werden wir über Herstellung und Abgabe desselben unterrichtet. Wir erfahren, wieviel Gas sich aus einer gewissen Menge Kohle erzeugen läßt, was für Nebenprodukte daraus erzielt werden, und lernen die aus dem Teer gewonnenen Heilmittel und Anilinfarben etc. kennen. Wir haben Gelegenheit, die Verwendung des Gases für Küche und Haus zu Heiz-, Koch- und Leuchtzwecken zu studieren, und bekommen so einen Begriff von der großen volkswirtschaftlichen Bedeutung desselben gerade für die einfacheren Verhältnisse des kleinen Mannes. Mit den bereits in Belgien, England, Frankreich und anderen Ländern eingeführten Gasautomaten werden wir gleichfalls bekannt gemacht, die das Gas erst nach Einwurf eines Geldstückes verabreichen. Kurz, wir überzeugen uns, daß das Gas, welches nach Aufkommen des elektrischen Lichtes neuerdings vielfach hintangesetzt wurde, sich noch lange nicht überlebt hat. Auch die Wichtigkeit der Zuführung eines guten möglichst reinen Wassers für die Gesundheitsverhältnisse, namentlich in den Großstädten, wird uns überzeugend dargethan.

Auch die Textilindustrie hat in einem besonderen Hause, ihrer hohen Bedeutung entsprechend (bestehen doch in Sachsen allein mehr als 5000 selbständige Textilbetriebe) eine sehr umfangreiche

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verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 315. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_315.jpg&oldid=- (Version vom 6.7.2023)