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verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

damals gethan, als sie dem Schwergeprüften gesagt hatte, er solle zu ihr wiederkommen als ein Mann der Arbeit! Er war ein solcher aus eigener Kraft schon gewesen ehe ihn das seelische Siechtum befiel. Aber sie konnte die Thränen trocknen, denn was nun folgte, war die Schilderung eines rüstigen und erfolgreichen Schaffens. Da Heinz der Liebe, die sein Glück bedeutete, sicher war, arbeitete er mit Lust und Freude, und es gelang ihm dann auch, in der Redaktion einer angesehenen Zeitschrift eine sichere und geachtete Lebensstellung zu erringen. Nun stand er auf eigenen Füßen und jetzt wollte er kommen, sie zu fragen, ob sie ihm nun folgen wolle.

Es war in der ersten Morgendämmerung, als Aenne vor Tante Emiliens Bett stand und mit blassem Gesicht und leuchtenden Augen sagte: „Heute mußt du früher aufstehen, Tantchen, heute kommt mein Bräutigam!“

Die gute alte Seele fuhr ganz verstört empor, sie dachte, das Mädchen phantasiere. „Kind! Ach, du Barmherziger, ich hab’ dir’s ja schon gestern angesehen, als du aus dem Konservatorium kamst!“

Da erzählte ihr Aenne die Geschichte des kleinen Pakets und Tante Emilie mußte nun glauben, obgleich ihr’s schier unglaublich dünkte. Und wie rasch konnte sie aus den Federn kommen, wie eifrig fragte und mutmaßte sie jetzt! Aber Aenne antwortete kaum, nur ihre Blicke baten: Laß mich, ich bin zu glücklich, als daß ich reden könnte! Sie hatte im Konservatorium melden lassen, daß sie heute nicht unterrichten könne, den ganzen Tag nicht dann hatte sie Toilette gemacht.

„Weißt du denn eigentlich, wann er kommt?“ erkundigte sich Tante Emilie.

„Nein!“ betonte das Mädchen ruhig.

Die alte Dame wurde ärgerlich. „Und so ins Unbestimmte hinein alle diese Geschichten? Wenn er nun gar nicht kommt?“

„Er kommt“, antwortete sie, und Tante Emilie ging kopfschüttelnd auf den Markt, um noch einiges für das Mittagsessen zu besorgen. Als sie zurückkehrte und mit einem großen Strauß Chrysanthemen in das Zimmerchen trat, ließ sie die Blumen in freudigem Schreck fallen. Mitten im Zimmer stand ein großer schlanker Mann und hielt Aenne umfaßt, und deren Kopf lag an seiner Brust.

Er war gekommen!


Im Hause der Frau Rat herrschte schreckliche Aufregung, es ist auch keine Kleinigkeit, wenn man verreisen will, ohne je über das Weichbild des Städtchens hinausgekommen zu sein. Gar kein Wunder, daß die Vorbereitungen einige Tage dauerten und daß Frau Rat in ihrer nervösen Gereiztheit zu spät einzutreffen fürchtete zur Verlobung.

Lieschen Weidner ging mit rotgeweinten Augen umher, denn Frau Rat hatte mit solch furchtbarer Bestimmtheit von der Verlobung des Doktors mit Aenne gesprochen, daß sie an der Treue ihres heimlich Verlobten zu zweifeln begann, um so mehr, als er ihr noch nicht geschrieben hatte.

Und nun war der mächtige Reisekorb gepackt, morgen in aller Frühe sollte sie beginnen, die Fahrt. Lieschen Weidner hatte eine Menge Wurst, Schinken und Büchsen mit eingekochten Früchten eingepackt in solcher Hungerwirtschaft wie die der beiden Frauen in Dresden würde der Doktor sich nicht wohl fühlen, behauptete Frau Rat; wollte Gott, die Reise wäre nur erst überstanden!

Die alte Dame saß in der Sofaecke, und um sie her auf allen Stühlen und Tischen lagen Gegenstände bereit für morgen. Kapuze, Fußsack, Körbchen und Taschen verschiedene Inhalts, ein Plaid, in welchem eine Flasche Rotwein eingeschnallt war, sorgsam in Zeitungspapier eingewickelt Regen- und Sonnenschirm, es schien, als ob die alte Dame ein ganzes Jahr ins Ausland reisen wollte.

Das Dienstmädchen und Lieschen Weidner bekamen eben noch die letzten Befehle, besonders was die Einrichtung des Zimmers anbetraf, in dem Aenne wohnen sollte. Diese wollte die Mutter gleich mitbringen, denn ein verlobtes Frauenzimmer gehöre ins Haus. Das kleine blonde, sonst so rosige Lieschen stand bleich am Ofen und hörte zu. In ihrer Demut glaubte sie der imponierenden Ueberzeugungstreue der Frau Rat und hielt den Kuß und die wenigen Liebesworte des Doktors für eitel Falschheit und Betrug.

Aber da fuhr sie plötzlich zusammen, wie Flammen schlug es über ihr Antlitz und mit zwei Sprüngen war sie aus der Stubenthür, dieselbe weit auflassend – draußen war ein Schritt erklungen, ein Schritt – so ging nur einer! Dann lehnte sie wankend in dem Rahmen der Thür, denn da stand neben ihm eine schlanke Dame, Aenne May in eigenster Person, und an ihr vorüber eilte sie ins Zimmer mit dem Ausruf: „Mutter, liebe Mutter! Also doch!“

Aber da kam er lachend herüber, und ohne weiteres das bebende Mädchen an sich ziehend, rief er der Frau Rat zu, um deren Hals Aenne die Arme geschlungen hatte: Nun, Frau Rat, ist der stolze Augenblick gekommen, wo Sie ’segnen’ können, aber bitte, mich und meine kleine Braut gleich mit, denn mit Ihrer gütigen Erlaubnis will Lieschen Weidner meine Frau werden.

Frau Rat saß starr und steif, in ihrem Kopfe drehte sich alles, sie hörte nur noch, daß Aenne flüsterte: „Aus deinem Hause, aus unserer alten lieben Heimat soll er mich holen. Aber die alte Dame fand nicht die Kraft zu fragen „Wer denn?“ – „Bin ich denn wahnsinnig geworden?“ stieß sie hervor. „Da steht er ja und hat die andere im Arm!“

Und dann trat in ihren Gesichtskreis eine fremde und doch so bekannte Erscheinung, ein großer, schlanker Mann, auf dessen ernsten Zügen ein ganz jugendliches, glückliches Lächeln lag.

Wer war denn der – sie kannte ihn doch? Heinz Kerkow – großer Gott, und – doch nicht! Der Mann war ja weiß an den Schläfen! Und den wollte Aenne – – Das also war der, auf den sie gewartet hatte? Sie versuchte aufzustehen und wehrte Aennes Umarmung, aber da traf sie ein Blick, der in Thränen schimmernde Blick ihres Kindes. Sie sank zurück, und nun trat er näher und küßte die Hand der alten Frau.

„Darf meine Braut hier bleiben, bis ich sie in mein Heim führen kann?“ fragte er.

„Ich muß erst ein Wort mit Ihnen reden, Herr von Kerkow“, scholl es verzweifelt zurück. „Aenne hat nichts, gar nichts, und das ewige Arbeiten hält sie nicht aus!“

Aenne lachte plötzlich laut und herzlich. „O du thörichtes Mütterchen!“ rief sie, „er will mich ja gar nicht arbeiten lassen, wiewohl ich’s so gern thäte! Nichts weiter soll ich sein wie seine Frau, wie du es immer gewünscht hast für mich, und wenn ich singe, soll’s nur noch zu meinem und seinem speziellen Vergnügen sein.

Frau Rat fragte nicht mehr, sie begann langsam Mut zu fassen. Er sah so fein aus, so vornehm – der hatte sicher geerbt! Und sie küßte feierlich ihre Tochter auf die Stirn und that einen tiefen Seufzer der Erlösung – – gottlob, daß sie nicht zu reisen brauchte! – Die Emilie, die da so still an der Thür stehen geblieben war und der die Rührungsthränen über das Gesicht liefen, die würde es wohl wissen, die wollte sie ordentlich ausfragen nachher. Den Doktor aber, den hielt sie am Aermel fest, just als er mit der kleinen seligen Braut hinaus wollte. „Warten Sie nur – mich so anzuführen! Die ganze Geschichte haben Sie ins Werk gesetzt.“

„Weiß Gott, nicht!“ verteidigte er sich, „ich erblickte die Herrschaften ganz zufällig auf der Bahn in Halle, wo der Dresdner und der Berliner Zug sich treffen.

Sie blickte noch immer unzufrieden.

„Schwiegermama,“ bat er, „seien Sie gut! Sie müssen sich mit uns vertragen, denn wenn Fräulein Aenne in ein paar Woche hinauszieht nach der neuen Heimat, dem großen Berlin entgegen, dann haben Sie nur noch uns, auf die Sie recht nach Herzenslust böse sein können, denn Tante ist feierlich invitiert, die junge Häuslichkeit verschönen zu helfen.

Na, das fehlte noch! dachte die Rätin, wenn eine mitgeht, bin ich das! Und laut sagte sie.

„Nach Berlin? Kauft euch doch hier an!“ wandte sie sich an Kerkow, „Sie hätten doch überhaupt hier bleiben können, die schöne Wohnung da droben, und gar nicht viel zu thun!

„Das erlaubt mein Beruf nicht, liebe Mutter, aber in jedem Sommer kommen wir, und da hole ich mir frische Kräfte zu meiner Arbeit.“

„So?“ fragte die alte Dame enttäuscht, „arbeiten thun Sie?“

„Ja, gottlob!“ sagte er stolz und zog Aenne an seine Seite, „ich kann arbeiten.“


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verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 339. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_339.jpg&oldid=- (Version vom 28.11.2016)