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verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

bei der Hand. Erschreckt fuhr sie auf und wollte sich losmachen. Aber er hielt sie trotz ihres Widerstrebens gefangen.

„Hildegard,“ raunte er, hochrot vor Leidenschaft, „ahnt Ihr denn nicht, daß Ihr es selber seid, für die ich entbrannt bin? Ich liebe Euch maßlos! O, und ich weiß, auch Ihr seid mir nicht abhold! Euer teilnehmender Blick, Euer freundliches Lächeln hat nur so oft Balsam auf diese Wunden geträuft! Mit Leib und Seele gehört Ihr zu mir, trotz allem und allem, was uns zu trennen scheint. Wehrt Euch nicht, vergötterte Hildegard! Ich verlange nichts Unziemliches von Euch, noch Strafbares. Ihr sollt mir nur einen Funken von Hoffnung geben! Ein einziges Wort! Ein kurzes, flüchtiges Kopfnicken!“

„Laßt mich!“ versetzte sie streng. „Nein, ich dulde das nicht!“

Sie warf ihm einen geringschätzigen Blick zu und riß sich dann endlich frei.

„Was kommt Euch bei,“ fuhr sie mit wachsendem Unwillen fort, „mir so gewaltsam die Finger hier festzuschrauben? Im übrigen was Ihr da alles gesagt habt, ist ja der reinste Wahnwitz. Meint Ihr denn wirklich, jemals im Leben würde ich einen Mann heiraten, der einer andern so schmachvoll sein Wort bricht? Nie! Selbst dann nicht, wenn ich Euch lieb hätte, was ja doch, Gott sei Dank, nicht der Fall ist! Und niemals der Fall sein wird! Das merkt Euch, Herr Lotefend!“

Auch der Tuchkramer war jetzt aufgestanden. Er senkte das Haupt wie ein Schuldbewußter.

„Verzeiht, wenn ich zu ungestüm war! Ihr wißt nicht, mein teures Fräulein, wie einem Halbverstörten zu Sinne ist. An Mechthildis thu’ ich kein Unrecht, wenn ich sie aufgebe. Von ihr aber war es ein Unrecht, daß sie nicht gleich gemerkt hat, wie’s um mich stand, und wie ich im Grund meines Herzens –“

„Nur an ihr Geld dachte“, ergänzte Hildegard spöttisch. „Wahrlich, Ihr treibt es weit! Nun macht Ihr der armen Frau noch Eure Habgier zum Vorwurf!“

Lotefend sah ihr verzweiflungsvoll in die Augen.

„Hildegard! Ach, wie wenig habt Ihr mein Schicksal verstanden! Dieser grausame Hohn! Und so etwas muß ich von Euch hören, von Euch, für die ich mit Freuden stracks in den Tod ginge!“

„Beruhigt Euch, Herr Lotefend!“ sagte sie, fast erschreckt über den Ausdruck von Seelenqual, der um seinen zuckenden Mund spielte. „Es scheint, das Fieber hat Euch wirklich die Nerven geschwächt, so daß Ihr alle Vernunft und Selbstbeherrschung verliert. Ihr müßt doch einsehen, das alles übersteigt das Erlaubte! Gott, mein Gott, warum nur seid Ihr auf diesen schrecklichen Einfall geraten, der die ganze Harmlosigkeit unseres Verkehrs über den Haufen wirft? Es war doch manchmal so hübsch und behaglich am Herdfeuer oder am Rand unserer Weißdornhecke!“

Der Tuchkramer begriff, daß seine Rolle als Liebhaber hier vorläufig ausgespielt war. Um nicht für immer alle Beziehungen zu dem Gegenstand seiner Leidenschaft einzubüßen, mußte er klüglich einlenken. Noch gab er die Hoffnung nicht auf, daß eine fortgesetzte stille Umwerbung nach und nach das störrische Eis schmelzen würde.

Einstweilen wollte er sich in Geduld fassen und die Erschreckte so rasch als möglich wieder in Sicherheit wiegen.

„Kommt!“ sagte er plötzlich und schritt voraus. „Ihr habt recht, vielehrsame Jungfrau, mein Verlangen ist Wahnsinn. Ach, vergeßt, was ich in seliger Trunkenheit so dahin geredet! Ich will den Versuch machen, auch ohne das Glück, das ich so himmlisch mir ausgemalt, ruhig weiter zu leben. Nur eins müßt Ihr mir jetzt gewähren, falls Ihr nicht wünscht, daß ich mir augenblicklich ein Leids anthue! Grollt mir nicht, Hildegard, und versprecht mir, daß Ihr auch ferner mit mir verkehren wollt! Es ist ja so einfach! Ihr thut, als sei nicht das Geringste vorgefallen! Auch ich will dann mit keinem Wort mehr darauf zurückkommen. Weigert Ihr Euch …“

Er zog mit der Linken die schwedische Reiterpistole und setzte den blauschimmernden Lauf an die Stirn.

„Es kostet Euch nur ein Wort, Hildegard, und die Bleikugel zerschmettert mir das Gehirn.

„Frevelt nicht!“ bat sie erbleichend. „Ich bin ja nicht böse.“

„Ich will ganz gewiß … Nein, nein, es soll alles so zwischen uns bleiben, wie’s war! Thut nur um Gottes willen die furchtbare Waffe weg!

Gebt mir die Hand darauf! Bei Eurer Ehre und Seligkeit.“

Er ließ die Pistole sinken und hielt ihr die Rechte hin.

Mit einem bänglichen Seufzer legte Hildegard ihre Hand in die seine und murmelte halblaut:

„Ja, ich versprech’ es Euch. Bei meiner Ehre und Seligkeit.“

„Ich danke Euch! Ihr macht mich froher und trostvoller als ich verdiene. Und es versteht sich von selbst, Ihr schweigt – gegen jedermann! Vor allem auch laßt Euren wackern Herrn Vater nichts merken. Das wäre mir schrecklich! Obgleich ja im Grunde –“

„Seid unbesorgt! Wie brächte ich das wohl je über die Lippen!“

Nun gingen die Zwei rasch, und ohne mehr als ein paar gleichgültige Reden zu wechseln, über den Wolfsbühl zur Grossachstraße.

Am Hause des Tuchkramers trennten sie sich. Es war von seiten Hildegards ein kühl höflicher, von seiten Lotefends ein fast demütiger Abschied. Das junge Mädchen beschloß, von dem Zurücklassen des Kahns und dem Heimweg mit Lotefend vorläufig überhaupt nichts zu erzählen. Ihr Vater hätte das doch vielleicht seltsam gefunden. Kam es dann später trotzdem zur Sprache, so würde sie schon irgend was auftreiben, um dies Schweigen zu rechtfertigen. Sie konnte ja sagen, sie habe ihm nichts von der Unsicherheit im Lynndorfer Wald mitteilen wollen, um ihn nicht zwecklos zu ängstigen.

Hildegard traf den Magister noch bei der Arbeit. Es dämmerte schon. Gertrud Hegreiner war außer sich. Die schöne Sauerampfersuppe, sein Lieblingsgericht, drohte schier einzukochen, denn Gertrud meinte, das ewige Wasserzugießen verderbe den Wohlgeschmack und das feine Aroma.

„Wo wart Ihr nur?“ fragte sie vorwurfsvoll, da Hildegard nach dem Studierzimmer schritt. „Ihr, sein Liebling, hättet ihn stören dürfen. Mich aber weist er natürlich hinaus wie ein Bettelweib. Es ist ein Kreuz mit den Gelehrten!“

„Seid nicht unwirsch, allzu gestrenge Hegreinerin! Ich wußte ja schon, heute dauert’s ein bißchen lang’, deshalb komm’ ich so spät. Ich war draußen im Grünen. Uebrigens muß er jetzt unbedingt aufhören. Der liebe Mann überarbeitet sich. Letzthin hat er auch unruhig geschlafen.“

So trat sie ein.

„Waffenstillstand!“ rief sie mit heller Stimme. „Der Abend sinkt und Ihr verderbt Euch die Augen. Kommt, Vater!“

Er schob den Quartband zurück, da er jetzt wirklich kaum noch sehen konnte.

„Bring’ mir die Lampe, Kind!“ sagte er freundlich. „Nur noch ein halbes Stündchen …“

„Eh’ Ihr gegessen habt? Wahrlich, da müßt’ ich eine recht unkluge Tochter sein und herzlos wie die schandbare Tullia. Nein, liebster Herr Vater! Erst wird gespeist und gerastet. Gertrud lauert auf Euch wie ein Luchs. Wenn Ihr dann wirklich noch weiterstudieren wollt – obgleich Ihr Euch schon den ganzen Tag über den Schreibtisch beugt …“

Lächelnd erhob er sich.

„Ich war just mitten im Buch der Saturnaliengeschenke. Das hätt’ ich noch gern ausgelesen. Weißt du, ich kam zuletzt auf den Standpunkt, alle Kritik aufzustecken und mich nur an den Stoff zu halten. Diese Einzelheiten aus dem altrömischen Leben haben für mich immer wieder unendlichen Reiz. Man spürt hier mehr als etwa bei Tacitus oder bei Cicero, daß die Menschheit sich im Lauf der Jahrhunderte wenig verändert hat … Und so war diese letzte Stunde auch nicht sonderlich anstrengend für mich.“

„Um so besser! Nun wird Euch das Mahl schmecken! Und danach gehn wir noch ein paar Schritte im Garten. Ihr müßt heraus, Vater! Es ist meine Pflicht, über Eurer Gesundheit zu wachem Der alte Valerius Martialis läuft Euch nicht fort. Nicht wahr, Ihr versprecht mir’s?“

„Ich muß ja wohl! Dir kleinen Despotin widerstrebe ein anderer!

(Fortsetzung folgt.)
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 347. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_347.jpg&oldid=- (Version vom 28.11.2016)