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verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

for ’n Person! Neulich giebt sie mich ein Aal und läßt mir for zwei bezahlen und denn sagt sie nachher, ich könnt’ ja woll nich mehr orrentlich sehen, was von das Alter käm’! Wo ich doch eben erst in die Vierzigen bin und sie in die Sechzigen. Nee, das is ein Person!“

„Fite ist doch wohl ganz nett!“ meinte ich und Krischane machte eine zustimmende Bewegung.

„Der Fite is ja nich slimm, ein stattlichen Jung, hat auch ein ganz nüdliches Gesicht, gegen dem hab’ ich nix!“

„Er lief in die Küche!“ berichtete ich. „Was wollte er dort wohl?“

Krischane war stehen geblieben und sah verdrießlich aus.

„Nu denk’ an!“ sagte sie. „Sollte er nu warraftig mit Liese was anfangen? Ja, das sag’ ich ja, alle Deerns sind falsch! In diesen Momang is sie noch nich achtzehn Jahrens alt und dann hängt sie sich all hinter die Mannsleute, wo sie doch an ihr irdische Pflicht und daran denken soll, daß sie hier Hausmädchen is! Abers was so ’n Deernsvolk is, das denkt gleich an Heiraten!“

Liese war ein ganz niedliches Mädchen, die mir schon verschiedentlich kleine Handreichungen gethan hatte, und ich beschloß natürlich, sie bei nächster Gelegenheit nach Fite Bierkraut zu fragen. Vorläufig aber kam ich nicht dazu denn Krischane faßte mich am Arm.

„Komm’ man mit in mein’ Stube, ich muß dir noch was sagen!“

Als ich ihr nun gefolgt war, drückte sie mir noch einmal das Zeitungsblatt in die Hand und ich mußte ihr das Heiratsgesuch wiederum vorlesen.

„Ob ich es woll noch mal thu?“ murmelte sie mehr für sich als zu mir, nachdem ich fertig war. „Einmalen, da hat es mich gar nix genützt, und da stand doch noch „Reelles Heiratsgesuch“ darüber, und es war auch in die ’Intzehoer’. Abersten das is ja so mit die Blätters. Wenn da reell in steht, denn is das nix Reelles, und wenn da nich viel Worte gemacht werden, denn is es was Gutes. Nee, damalen war es nix! Ich bot mir als Ehefrau an, wo doch auch ein Wittmann ein ordentliche Person haben wollt’, und leg’ ein Retuhrmarke bei von wegen die Antwort, und ich hab’ in meinem ganzen Leben nie wieder von die Geschichte gehört!“

„Willst du diesen Witwer heiraten?“ fragte ich neugierig. Krischane aber schob mich aus ihrem kleinen Zimmer.

„Nich nach allens fragen, Kind!“

Aber Jürgen, dem ich meine Unterredung mit Krischane erzählte, meinte doch auch, sie werde dieses Heiratsgesuch wahrscheinlich beantworten und dann bald von uns fortgehen. Das war schade – wir bedauerten es beide, denn auch mir gefiel sie gut, trotz meiner kurzen Bekanntschaft mit ihr, aber es war nicht viel dabei zu machen. Uebrigens sprachen wir nicht so sehr viel von dieser Angelegenheit. Jürgen hatte mehr zu lernen als früher, und ich hatte noch immer neue Eindrücke in mich aufzunehmen; meine Eltern hatten jetzt Pferde und Kühe, deren Bekanntschaft man doch machen mußte, da war eine Scheune voller Heu, in der man Versteck spielen konnte, und dann war auch noch die Posttasche da, die täglich aus dem Hirschkruge geholt werden mußte, so daß man nicht über alle Sachen sehr lange nachdenken konnte. Der Hirschkrug lag etwa eine Viertelstunde Wegs von unserem Hause entfernt. Es war ein Landwirtshaus mit dazu gehörigem Laden und einer Bäckerei. Die Zuckerkringel des Hirschkrügers waren weitberühmt und auch wir mochten sie sehr gern. Da die Tasche von einem die Post holenden Boten immer im Hirschkruge abgegeben wurde, so bildete sie einen angenehmen Vorwand zu einem Spaziergang zu den Zuckerkringeln oder zu einem Glase Bier. Als ich kam, war es Herr Nottebohm, der sich angewöhnt hatte, die Tasche zu holen sie später zu öffnen und ihren Inhalt zu verteilen. Allmählich aber nahm ich ihm die Mühe des Abholens ab, und da ich sie dann dem Kandidaten getreulich ablieferte, so hatte er nichts gegen meinen Dienst einzuwenden. Er stand nur manchmal in der Gartenthür, um mir die Tasche abzunehmen. So war es wenigstes in der ersten Zeit gewesen; nachdem ich Krischane aber das Heiratsgesuch vorgelesen hatte, wollte diese plötzlich auch Briefe haben und entwickelte eine ihr sonst fremde Sehnsucht nach der Posttasche.

Eigentlich sollte ich sie schon gleich morgens nach dem Kaffee holen, was eine Unmöglichkeit war, da sie gegen fünf Uhr nachmittags erst eintraf, und wenn es zwei Uhr geschlagen hatte, dann schickte sie mich eilig fort.

„Und denn geb’ sie man nich an dem Kanderdaten, der ümmer mang die Briefens herumsnückert, denn geb’ sie an mir!“

Vergeblich suchte ich ihr klar zu machen, daß vor fünf Uhr die Post nicht im Kruge sei, das wollte sie niemals glauben und sie erreichte wirklich, daß ich ihretwegen so zeitig wie möglich hinging. Einigemal konnte sie auch die Tasche selbst aufschließen; aber wie sehr sie auch die Briefe betrachtete und langsam an ihren Adressen herumbuchstabierte, für sie war doch niemals ein Brief da. Eines Tages ärgerte sie sich sehr. Da war nur ein Brief in der Posttasche und der war für Herrn Nottebohm. Ein mächtiger schwerer Brief, mehr wie ein Paket anzusehen und Krischane betrachtete ihn verdrießlich von allen Seiten.

„Nu kuck einer an! Was so’n Mann for’n Brief kriegt, wohingegen for mir nich das Allergeringste da ist!“

„Von wem erwartest du eigentlich einen Brief?“ erkundigte ich mich, und sie warf mir einen verdrießlichen Blick zu.

„Wenn du doch man bloß das alte Fragen sein lassen wolltest! Mich deucht, das is nich fein, nach allens zu fragen, wo man als Kind nu doch gar nix von versteht!

Sie hatte noch immer Nottebohms Brief in der Hand und drehte ihn immer von neuem um.

„Wo sollt er woll einmal herkommen?“ fragte sie, ihn mir hinhaltend, und ich buchstabierte an dem Stempel. „I, It, Itzehoe!“

„Du mein Gott!“ Sie war ordentlich zusammengefahren. „Nu kriegt Nottebohm auch was von Intzehoe, wo ich mich gleichemang was aus die Gegend erwarte! Wo einmal merkwürdig! Kinners, Kinners, wenn das man bloß nix Slimmes zu bedeuten hat!“

Ich konnte ihre Reden nicht so recht verstehen, und da Krischane den Brief an Herrn Nottebohm doch nicht öffnen durfte, sondern ihn hintragen mußte, so war die Angelegenheit für mich dann auch zu Ende. Aber Krischane ging den ganzen Tag kopfschüttelnd und anscheinend schwer bedrückt umher. Auch am folgenden Morgen war sie noch nicht wieder in ihrer alten behaglichen Stimmung, schalt über alle Maßen mit Liese, dem Hausmädchen, und hatte mit Mutter Bierkraut ein so heftiges Wortgefecht, daß Fite Bierkraut, der schon auf dem Wege zur Küche war, es gar nicht wagte, hineinzuschlüpfen, sondern starr vor Angst in der Thür stehen blieb.

„Liese ist auch gar nicht da!“ bemerkte ich halblaut zu ihm. Ich hatte mich einigermaßen mit ihm angefreundet, und Jürgen und ich wußten ganz genau, daß er und Liese sich manchmal hinter der Küchenthür küßten. Er wurde rot bis unter die Haarwurzeln und warf einen schnellen Blick zu seiner Mutter herüber, die mit schriller Stimme alle möglichen Flüche gegen Krischane ausstieß, was diese in der gleichen Tonart erwiderte. Der ganze Streit handelte sich um einige Dutzend Kieler Sprotten, aber keine von den beiden erregten Frauen wollte der andern das letzte Wort lassen.

„Weshalb wirst du so rot?“ fragte ich Fite teilnehmend, und er wurde ungefähr lila.

„Laß die Altsche das doch man nich hören, deine Witzens mit Liese!“ murmelte er furchtsam…“

„Weshalb nicht! Ist sie denn nicht deine Braut?“ fragte ich und er schüttelte bestürzt den Kopf.

„Längst nich!“ gab er zur Antwort.. „Sie hat ja nix!“ Dabei seufzte er gottserbärmlich.

„Mußt du denn nach Geld heiraten?“ fragte ich altklug und Fite wiegte den Kopf kummervoll hin und her.

„Unter zehntausend Mark thut die Altsche es nich!“

"Kehre dich doch nicht an die Alte!“ riet ich.

Da sah er mich ganz entsetzt an. „Du kennst die Altsche nich – nee, du kennst ihr nich!“ murmelte er verzweifelt, während er sich wandte und nun doch in die Küche lief, in der Lieses niedliches Gesicht plötzlich aufgetaucht war. Krischane und Mutter Bierkraut waren auch stiller geworden, die letztere kletterte grollend auf den Wagen, und ehe sie sich ordentlich zurechtgesetzt hatte, hatte auch Fite sich wieder eingefunden, und das Gefährt holperte von dannen.

„So ’n Person!“ schalt Krischane hinter ihr her. „Meint woll, sie kann mir nasführen, wo sie mich immer die alten vertrockneten Sprotten aufbinden will. Nee, ich kenne ihr und laß mir nix gefallen!“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 403. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_403.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)