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verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Werk des großen Menam, der hier, wie der Nil in Aegypten, das Land befruchtet und zeitweilig nebst einem großen Teil der Stadt unter Wasser setzt. So sind auch die Menschen, die hier wohnen, eine Art Amphibien geworden. Die auf dem Festlande hausen, bringen ihr halbes Leben auf oder im Wasser zu, die auf dem Wasser wohnen, ihr ganzes. Bangkok mag über eine halbe Million Einwohner zählen, und von ihnen wohnt gewiß ein Drittel, wenn nicht mehr, auf dem Wasser. So weit man den gewaltigen Strom auf- und abwärts blicken kann, sind an seinen Ufern sowie an den Ufern seiner Kanäle schwimmende Häuser verankert, in doppelten, dreifachen, vierfachen Reihen, eines dicht am anderen, Tausende und aber Tausende davon. Und wie malerisch, wie seltsam nehmen sie sich aus mit ihren steilen, in spitzen oder geweihartigen Giebeln auslaufenden Dächern, von denen manches dieser schwimmenden Häuser zwei nebeneinander besitzt. Rings um die Häuser laufen Veranden, die Vorderwand des Hauses kann nach aufwärts gedreht werden, bis sie, wagerecht stehend, eine Art Schutzdach bildet, und das Ganze ruht auf einem Floß von Bambusrohren oder Balken. Da der Menam je nach der Jahreszeit und den tropischen Regengüssen steigt und fällt, so müssen auch dementsprechend die Häuser verankert sein. Auf den in langen Reihen längs der Ufer eingerammten Ankerpfählen laufen eiserne Ringe auf und ab, und an diese werden die Häuser mit Ketten befestigt. Ueber diesen schwimmenden Häusern stehen auf den festen Ufern noch mehrere Reihen anderer, größeren darunter zahlreiche Faktoreien europäischer Kaufleute, Wohnhäuser und Konsulate, überhöht von hohen Mastbäumen mit bunten Flaggen, jedes einzelne umgeben von großen, zum Teil prächtigen Gärten.

Alles ist dem Fluß zugewendet, denn dieser ist die Hauptverkehrsader, das Leben, die Ursache von Bangkok. Ohne Fluß gäbe es auch keine Stadt. Nach Hunderten zählen die Boote und Frachtschiffe, welche täglich mit Lebensmitteln und Waren, mit Fischen und Reis vom oberen Menam herabkommen und vielleicht wochenlange Flußreisen hinter sich haben. Sie sind auch dementsprechend zum Wohnen für ganze Familien eingerichtet, die eine Hälfte offen für die Waren und für die Ruderer, die andere Hälfte wie eine weitbauchige Tonne, deren Inneres ein kleines Wohnzimmer bildet (vgl. Abbildung S. 417). Wie diese Reiseboote, so sind auch die schwimmenden Wohnhäuser des Menam eingerichtet, nur daß sie viel größer sind und der vordere Teil als Kaufladen dient. Kilometerweit ließ ich mich ihnen entlang rudern, wie in einer lebhaften Geschäftsstraße. Porzellanwaren, Geschirre, Kleidungsstücke, Krimskrams, Lebensmittel, alles Erdenkliche wird in ihnen feilgeboten, und die Waren sind in geschmackvoller Weise wie in unseren Schaufenstern ausgestellt, während hinter ihnen gewöhnlich Siamesinnen mit kurzgeschnittenem schwarzem Haar, über den nackten Oberkörper nur eine bunte Schärpe geworfen, als Verkäuferinnen kauern.

Zwischen diesen Kaufläden fahren die Käufer in winzigen Booten, die sie selbst rudern, auf und ab, so sicher und rasch, als schritten sie auf fester Straße einher. Ich kam über ihre Geschicklichkeit nicht aus dem Staunen heraus, denn jede Sekunde schossen ihnen andere der Hunderte und Hunderte von winzigen Booten in den Weg, und dabei standen auch noch die meisten Insassen in den schmalen, schlanken Nußschälchen aufrecht und drückten mit beiden Händen ihre Ruder nach vorwärts. Dazu fuhren zwischen ihnen Dutzende von kleinen Dampfbooten pustend, pfeilschnell auf und ab, denn jedes europäische oder einheimische Geschäftshaus von einiger Bedeutung hat seine Dampfbarkasse. Zeitweilig keuchten auch gewaltige Seedampfer aus China, Singapore, Indien, den Sundainseln oder Philippinen durch den Strom, in dessen Mitte Kriegsschiffe verschiedener Flaggen verankert lagen, chinesische Dschunken mit großen glotzenden Augen am Bug und Segeln wie Flügel gewaltiger Fledermäuse fuhren auf und nieder, dazwischen Malayenboote und andere Fahrzeuge – mit einem Worte: ein Strombild, wie es in so malerischer Art und Lebhaftigkeit wohl nur an den wenigsten Orten des fernen Orients zu erblicken ist!

Warum diese Hunderttausende von Menschen, Siamesen, Laoten Malayen, Tamals, Chinesen, Kambodschaner, Birmanen, auf dem Wasser und nicht auf dem Festlande wohnen? Wer je in den Tropen gelebt hat, braucht die Antwort nicht zu suchen. Von der erdrückenden Schwüle, die hier während des ganzen Jahres tags und auch nachts über herrscht, ist der kühle Lufthauch des breiten, stets bewegten Stromes eine erquickende Wohlthat, das Baden mehrmals des Tages gewährt den größten Genuß. Und die Bewohner der schwimmenden Häuser leben wie in Badeanstalten. Sie können unmittelbar aus ihren Schlafräumen ins Wasser springen, und in der That sieht man auch besonders morgens und abends die ganze Bevölkerung, Männer, Frauen und Kinder, mit wahrer Wollust wie Fische im Wasser sich herumtummeln. An- und Auskleiden erfordert bei ihrer spärlichen Bekleidung nicht viel Zeit, ein Lendentuch, „Panung“, zwischen den Beinen durchgezogen und mit den Enden an den Hüften befestigt, ein bunter Shawl, „Pahum“, wie eine Schärpe leicht um den Oberkörper geworfen, das ist alles.

Der Menam ist der Hauptboulevard von Bangkok. Ließ ich mich von dort in das Gewirr der Seitenkanäle rudern, so fänd ich ähnliches Leben, nur in kleinerem Maßstabe. Zu beiden Seiten der schlammigen Wasserstraßen erheben sich kleine ebenerdige Holzhaufen zwischen denen sich die üppig wuchernde Tropenvegetation hervordrängt, dann kommt hier und dort ein größerer Platz mit fremdartigen bunten Pagoden und Tempeln, mit künstlichen Felsengruppen und Wassertümpeln, in welchen Dutzende von Krokodilen oder riesigen Schildkröten, heiligen Tieren der Buddhisten, ungestört schlafen. Wir fahren unter zahlreichen Brücken hindurch, auf welchen der regste Verkehr herrscht, nach allen Seiten zweigen sich wieder Kanäle ab, die zu anderen führen oder irgendwo an einem Buddhistenkloster oder in einem mit hohen Sumpfpflanzen bedeckten Schlammfelde enden, umgeben von köstlichen Tempelbauten, die hier wie ein Traum aus „Tausend und eine Nacht“ hervortreten.

Wie in der Wasserstadt, so herrscht auch in der über und zwischen ihr befindlichen Landstadt das regste Leben, nur daß hier das starke chinesische Element der Bevölkerung mehr hervortritt. Ich war überrascht, in dieser ursprünglichen Stadt von Hinterindien einzelne moderne Straßen zu finden, mit netten Ziegelhäusern, Straßenbeleuchtung und Wasserleitung – ein Werk des gegenwärtigen Königs, der in seiner feenhaften Palaststadt weiter aufwärts am Strome residiert. Je näher man ihren weißen Umfangsmauern kommt, desto reinlicher, breiter werden die Straßen, desto häufiger sieht man elegante Reiter und moderne Equipagen, Militär und Polizisten in europäischen Uniformen, aber das Volk und selbst die Großen des Reiches tragen noch ihre ursprüngliche Landestracht, nur daß zu dem Panung bei den letztere noch helle Seidenstrümpfe und glänzende Schnallenschuhe kommen und an Stelle der bunten Schärpe weiße oder goldgestickte Jäckchen getragen werden. Herren sowohl wie Damen zeigen sich in dieser kleidsamen Tracht, wie sie in der Abbildung des Königspaares (vgl. S. 409) dargestellt ist. Der König trägt in dieser an Stelle des Jäckchens den weißen Uniformrock nach altösterreichischem Muster, die Königin ist mit dem breiten Bande des Kronenordens geschmückt.

Häufig durchzieht in dieser Stadt der ewigen Festlichkeiten ein malerischer Aufzug die Straßen: Hunderte von Menschen in phantastischen, ungemein reichen Gewändern, Pagen, Priester mit kahlrasierten Schädeln in lange gelbseidene Togen gehüllt, goldstrotzende Prunkwagen, vergoldete Sänften, getragen und umgeben von uniformierten Sklaven mit Palmenwedeln, Fahnen und hohen Sonnenschirmen, hier und da ein mit bunten Decken behängter Elefant. Auf weiten, grüne Rasenflächen tummeln sich Tausende in den buntesten Farben gekleideter Menschen umher, kauern scherzend auf dem Boden, spielen Ball und lassen seltsam geformte Papierdrachen steigen, von denen man zuweilen Hunderte hoch in den Lüften schweben sieht. Als Rahmen dieses phantastischen, überraschenden Bildes dienen die herrlichsten Pagoden, Tempel, Pratschedis (Opfersäulen), Statuen; über die weiße Mauer des Königspalastes streben ihrer Dutzende himmelan, schimmernd und leuchtend, die ewigen Sonnenstrahlen spielen in ihren zahllosen goldenen Spitzen, ihren buntfarbigen Porzellanblumen, ihrem Glas- und Goldmosaik, mit denen sie über und über bedeckt sind, daß sie blitzen und funkeln, als wären sie lauter Edelsteine (vgl. Abbildung S. 417). Auf dem jenseitigen Ufer des Menam erhebt sich als Wahrzeichen und höchstes Bauwerk der Stadt die großartige Spitzpyramide des berühmten Wat Tscheng über das ganze fremdartige Bild.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 418. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_418.jpg&oldid=- (Version vom 28.11.2016)