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verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Zug des Tunnels von Ufer zu Ufer und durch die Tiefe. Von den architektonisch ausgeführten Zugangsthoren führen geneigte Strecken auf die tiefste wagerecht gelegene Tunnelstrecke, deren Länge allein 394 m beträgt. Um die Arbeitsdauer möglichst abzukürzen, wird der Bau gewöhnlich von verschiedenen Stellen aus in Angriff genommen, zu diesem Zwecke werden senkrechte Schächte angelegt, von denen aus die Arbeit begonnen wird. Diese Schächte dienen als Luftschächte und auch zur Wegführung des ausgeräumten Erdreichs. Sie bleiben zum Teil als Ventilationsschächte nach Vollendung des Tunnels bestehen, zum Teil werden sie später geschlossen und beseitigt.

Vorderansicht des „Schilds“.

Von der Stelle aus, wo das Eindringen von Grundwasser möglich ist, werden derartige Tunnel als Rohre von Eisen oder Stahl ausgebildet, und zu diesem Zwecke errichtet man unter der Erde eine eigenartige Arbeitskammer.

An der Spitze derselben befindet sich die Tunnelbrust oder der sogenannte „Schild“. Unsere Abbildung zeigt eine Vorderansicht dieses von Brunel ersonnenen Hilfsmittels. Der Schild, der beim Bau des Blackwalltunnels benutzt wurde, war ein riesiges Stahlrohr mit einem Durchmesser von 8 m, er war 6 m lang und wog 230 Tonnen. Durch Anbringen wagerechter und senkrechter Planken war er in 12 Kammern geteilt, von denen jede je zwei Arbeiter aufnehmen konnte. Seine Rückseite war durch wasser- und luftdichte Thüren abgeschlossen. In den Kammern der Schilder verrichten die Arbeiter das Ausgraben des Erdreichs, es wird ihnen dabei komprimierte Luft zugeführt, die ein Eindringen des Wassers verhütet. Gefahrlos sind solche Arbeiten keineswegs, die verdichtete Luft greift die Atmungswerkzeuge erheblich an, die Gefahr des Einsturzes oder Wassereinbruches lauert beständig, aber die Hilfsmittel der Technik sind auch so vervollkommnet, daß während des Tunnelbaus bei diesem Teil der Ausgrabung kein Unfall sich ereignet hat.

Hinter dem Schild ist in enger Verbindung mit ihm ein weiterer, gleichfalls aus Stahlrohr geformter, Baum angebracht in welchen das ausgegrabene Erdreich bergmännisch fortgeschafft wird. Unsere Abbildung „Querschnitt der Arbeitskammer“ zeigt die Art und Weise, in welcher die Tunnelarbeiten ausgeführt wurden. Vorn im Schilde hacken die Arbeiter das Erdreich auf und schütten es durch zeitweilig geöffnete Rinnen in den hinteren Teil der Kammer. Ist nun vor dem Schilde ein genügender Hohlraum geschaffen worden, dann wird die gesamte Arbeitskammer vermittelst hydraulischer Pressen oder Rammböcke gegen das feste Erdreich vorgeschoben. Hinter der Arbeitskammer wird dann der Tunnel wasserdicht ausgebaut, während vor dem Schild die Wühlarbeit von neuem in Angriff genommen wird. Bei dem Blackwalltunnel begann der Schild am 13. Mai 1893 zu arbeiten. Je nach der Beschaffenheit des Erdreichs rückte er in 24 Stunden um 3 m oder auch nur 1/2 m vor. Zeitweilig mußte die Arbeit ruhen, da am Schild und an der Kammer Reparaturen nötig wurden. Am 5. Oktober 1896 war endlich die vom Wasser gefährdete Strecke völlig durchbohrt und wasserfest ausgekleidet, so daß nur noch der Ausbau des Tunnels nötig war.

Unsre Abbildung „Querschnitt des fertigen Tunnels“ zeigt uns die innere Anordnung des Riesenrohres. Dasselbe hat einen Durchmesser von 8 m und ist in zwei Abteilungen getrennt. Die untere, kleinere ist für Fortführung von Gas- und Wasserleitungsrohren, Telephondrähten usw. bestimmt, die obere dient dem Verkehr. Die Fahrbahn ist so breit gehalten, daß zwei Fuhrwerke einander ausweichen können, außerdem sind rechts und links zwei Stege für Fußgänger angebracht.

Der nunmehr vollendete Bau kann als ein wahrer Triumph der modernen Technik betrachtet werden, denn er wurde nicht in den für Wassergefahr sichereren Thonschichten, sondern durch einen Sandgrund geführt, bei dem die Möglichkeit des Wasserdurchbruchs jeden Augenblick gefürchtet werden mußte. An einer Stelle kommt der Tunnel so nahe an das Strombett, daß man dasselbe in einer Höhe von 3 m und einer Breite von 50 m durch künstliche Ablagerungen erhöhen mußte. Unsre Abbildung, die den Zug des Tunnels darstellt, deutet diese Ablagerung an der Stelle an, wo sich ein Schiff befindet. Die Gesamtkosten des Baues belaufen sich auf etwa 22 Millionen Mark. Beim Beginn der Tunnelarbeiten haben viele Ingenieure dem kühnen Werke ein schlimmes Ende prophezeit, heute dient es der Menschheit; ein neuer Beweis, daß die Technik der Neuzeit alle Schwierigkeiten zu überwinden versteht. A. Hollenberg.     


Blätter und Blüten.

Aufruf für ein Rittershaus-Denkmal. An das deutsche Volk ergeht ein Aufruf, dem wir gern die weiteste Verbreitung geben möchten. Handelt es sich doch darum, das Andenken eines Mannes zu ehren, der allezeit mit glühender Begeisterung für deutsches Wesen eintrat, um das Andenken von Emil Rittershaus, der zu den volkstümlichsten Dichtern der Gegenwart zählt und dem die „Gartenlaube“ im Laufe der Jahre so viele und so herrliche Lieder zu verdanken gehabt hat. Emil Rittershaus hat sicher verdient, daß ihm ein dauerndes würdiges Erinnerungszeichen gewidmet werde, und mit Freuden können wir mitteilen, daß bald nach seinem am 8. März dieses Jahres erfolgten Tode ein Komitee sich gebildet hat, das die Errichtung eines Denkmals für den „Dichter des sangesfrohen Rheinlandes“ in seiner Vaterstadt Barmen erstrebt. Dasselbe hat soeben einen Aufruf erlassen, in welchem mit warmen Worten die großen Verdienste Rittershaus’ gewürdigt werden.

„Ueberall, wo deutsches Wort und Lied aus deutschem Munde tönt,“ heißt es in demselben, „hat die Trauerkunde die Herzen bewegt, daß Deutschland wiederum einen Dichter von wahrhaft volkstümlicher Bedeutung verloren hat, in dessen Persönlichkeit die Grundzüge deutschen Wesens sich rein und kernhaft ausprägen“.

Auf der Grenze Rheinlands und Westfalens geboren, hat er in treuer Liebe zur Heimat des Rheines Herrlichkeit wie Westfalens markige Kraft gepriesen, daß dort die Herzen allzeit mitklingen werden mit seinen Liedern. Aber wie wenige hat er auch den traulichen Reiz und das stille Glück des deutschen Hauses besungen und über den Rahmen von Haus und Heimat hinaus die flammenden und erhebenden Worte seiner Dichtung in den Dienst der idealen Mächte deutschen Volkslebens gestellt, ein Mahner und Herold der Nation in ihren trüben wie in ihren glorreichen Tagen.

Wie den Dichter hat auch den Menschen die wärmste und begeistertste Teilnahme für die großen Aufgaben der Menschlichkeit und Gesittung ausgezeichnet, während eines arbeitsreichen Lebens ist er unausgesetzt bemüht gewesen, durch That und Wort in bahnbrechender Weise alle nationalen Bestrebungen zur Hebung der Volksbildung und Volkswohlfahrt zu fördern, mit denen sein Name als der eines wahren Volksfreundes immerdar verbunden bleiben wird.

So im Dichten und Wirken ein echtdeutscher Mann von höchstem sittlichem Idealismus und von reichstem Gemüt, dem auch der heitere Scherz froher Stunde ein Willkommener Gast war, lebt er unauslöschlich in den Herzen aller der Tausenden, die seines Geistes einen Hauch aus seinen Werken oder aus seinem Leben verspürt haben, als einer der besten Söhne unseres deutschen Vaterlandes.

Möge dieser Aufruf überall einen kräftigen Wiederhall finden. Möge jeder nach seinem Vermögen ein Scherflein beitragen, damit bald ein sichtbares Zeichen Kunde gebe von der Liebe, die dem verewigten Dichter nachtrauert. Auch die kleinste Gabe wird willkommen sein. Bankdirektor Escher in Barmen ist als Schatzmeister des bestehenden Barmer Lokalkomitees für ein Rittershaus-Denkmal ermächtigt, Beiträge entgegenzunehmen. Ueber dieselben wird seiner Zeit in der „Barmer Zeitung“ und in der „Gartenlaube“ emittiert werden.*      

Nach dem Sturm. (Zu dem Bilde S. 412 u. 413). Brax Folkert war ein forscher Seemann. Und er hatte sich wacker versucht im Leben. Als sie ihn zur Marine aushoben, da hatte er vor Freuden sich nicht lassen können. „Hurra, nu geih’t in de Welt!“ Seitdem hatte er die „Erde und sieben Dörfer“ gesehen, hatte Salzwasser genug geschluckt und sich den Schaum um die Stirn spritzen lassen. Zweimal im Taifun hatte er mit dem Schiff zum Kentern gelegen, einmal war er über Bord gegangen, oben aus der Kreuzbramrah beim Segelexerzieren. Aber sie hatten ihn wieder gefischt, fehlte freilich nicht viel, daß ihn zum Schluß noch ein Hai erwischt hätte, und ein andermal war er mit der Gig des Kommandanten in der Brandung gekentert. Die Sache sah bedenklich aus, aber er hatte, aus dem brodelnden Gischt auftauchend, lustig gelacht. „Nee, so licht bün ick nich dod to kriegen!“

Dann war er heimgekommen und zur Reserve entlassen worden. Am Strand der Nordsee stand die Fischerhütte, in der er geboren war, und zu ihr zog es ihn hin. Der Vater war alt und gichtlahm und es wurde ihm sauer, ins Boot zu gehen und die „Riemen“ zu führen und mit dem großen Netz zu hantieren, da sollte Brax Folkert nun helfen mit seiner jungen Kraft. Und dann war noch etwas da, was ihn mächtig zog: nebenan, in Jes Jessens Fischerkate, da war die blonde Wiebke zu Haus, und mit der war er eins geworden, ehe er hinausging. „Wi wullen uns’ Plünnen tosamensmieten.“ Er hatte sie lieb, und sie dachte nur an ihn, wie er draußen war, und betete für ihn, wenn der Sturm über die See brauste. Und nun hatten sie ihr Haus gegründet – „Rüm Hart, klar Kimmming!“ (Weites Herz, klarer Horizont!) hatte ihm der Pfarrer zugerufen wie sie aus der Kirche traten und ihm freundlich auf die Schulter geklopft. Und Wiebkes Augen hatten nett in den Tag geschaut.

Es ging so alles so gut in der Fischerhütte. Sie wollten beide das Rechte. Und arbeiten wollten sie. Da war er denn wieder eines Morgens mit Sonnenaufgang an den Strand gegangen, er und Wiebkes Bruder und der Fischerknecht Peter, und hatte das Boot klar gemacht. „Hol’ di munter, Wiebke!“ hatte er gesagt und sie lachend umfaßt, und dann hatten sie Segel gesetzt und waren hinausgefahren vor frischer Brise. „Bang di man nich, wenn’t ’n beten lang duert!“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 427. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_427.jpg&oldid=- (Version vom 4.7.2023)