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verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Schon eine Reise nach Leipzig in jener Zeit, in welcher der schrille Pfiff der Lokomotive noch unbekannt war, entbehrte nicht einer gewissen Romantik. Wer nicht die Mittel besaß, den Postwagen zu benutzen, mußte den oft recht langen und beschwerlichen Weg auf dem Frachtwagen zurücklegen. Da fehlte es denn nicht an großen und kleinen Abenteuern. Jedenfalls mußte man auf alles gefaßt sein. War hier der Wagen auf schlechter Straße mit gebrochenem Rad liegen geblieben und hatte man ihn endlich mit Hilfe eines weit hergeholten Schmiedes und anderer guter Leute wieder flott gemacht, so fiel man dort wohl in die Hände von Wegelagerern oder Raubrittern, die von kurfürstlichen oder kaiserlichen Privilegien und dem darin dem Kaufmann zugesagten Schutz nichts zu wissen schienen. War man aber endlich am Ziele angelangt, so war die Freude groß, und die mächtige Wagenburg, die bereits aufgefahren war, ließ erwarten, daß man auch Geschäftsfreunde am Platze treffen werde.

Auf der Leipziger Messe vor 100 Jahren: Beim Antiquar.

Dann bot das buntbewegte Treiben der fahrenden Leute viel des Interessanten und nahm mit seinem eigenen Zauber selbst den Nüchternsten gefangen. Die Schaustellungen der Seiltänzer, Feuerfresser und Rumpfmenschen, denen jegliche Glieder fehlten, ferner der Zwerge, Kraftmenschen, Akrobaten und Taschenspieler bildeten kräftige Anziehungspunkte der Messen. Andere zeigten mechanische Kunstwerke oder führten wilde Tiere vor. Die Leipziger Stadtbibliothek verwahrt eine ganze Anzahl alter Meßzettel, die derartige Schaustücke in marktschreierischer Weise ankündigen. Ein solcher aus dem Jahre 1746 thut kund, daß ein lebendes Rhinoceros angekommen sei, ein Tier, das bis dahin in Deutschland noch nie gesehen worden war. Es ist dasselbe Rhinoceros, welches den Dichter Gellert veranlaßte, die bekannte Fabel „Der arme Greis“ mit den Worten zu beginnen. „Um das Rhinoceros zu seh’n-“. Ja, diese Sehenswürdigkeiten waren ein wesentlicher Bestandteil der Messen geworden, der sich trotz aller Veränderungen, welche die Zeit mit sich brachte, bis heute erhalten hat. Damals übten sie ihre magnetische Kraft sogar auf gekrönte Häupter aus. Der kurfürstliche Hof und die Fürsten benachbarter Länder besuchten die Messen und schlugen in Leipzig ihre glänzenden Hoflager auf. Die Chronisten wissen gelegentlich der Besuche Augusts des Starken im Anfang des vorigen Jahrhunderts viel von Festen, Aufzügen, Musikaufführungen, Illuminationen, Tierkämpfen usw. zu erzählen. Unser Bild auf S. 436 zeigt, daß der Fürst aber auch für den Handel selbst Interesse hegte, ja zuweilen in eigener Person Einkäufe zu machen liebte. Es stellt Bräunigkes Hof, den Vorläufer des jetzigen Hohmanns Hofs auf der Petersstraße, zu Anfang des vorigen Jahrhunderts dar. Hier hatten der Holländer Schenk und andere seiner Landsleute zur Messe ihre Läden. Der Bilderhändler Schenk erhält eben vom Kurfürsten und dessen Gefolge Besuch. Er ist aus seinem im rechten Seitengebäude befindlichen Laden herausgetreten und geht dem hohen Herrn dienstbeflissen entgegen. Winkt ihm doch doppelter Gewinn, Gold für dieses oder jenes teure Bild, dann aber auch Mehrung seines Geschäftsrufes durch den Besuch des Fürsten, was er beides wohl zu schätzen weiß.

Auf der Leipziger Messe vor 100 Jahren: Beim Schuhmacher.

Wer sich für Völkerkunde interessierte, konnte von jeher auf den Leipziger Messen eingehende Studien machen. Fritz Bergen hat nach dem Werke „Leipziger Meßscenen“, das 1804 bis 1805 bei E. F. Steinacker in Leipzig erschien, eine Reihe interessanter Gruppenbilder gezeichnet, die uns in das Meßtreiben, wie es sich an der Wende des vorigen Jahrhunderts gestaltete, zurückversetzen. Das eine (S. 437) führt uns mitten hinein in eine Kolonie von Orientalen in ihren Nationaltrachten, namentlich Griechen und Türken, die nach vollbrachtem Meßgeschäft, ohne sich um Politik zu kümmern, eine Friedenspfeife miteinander rauchen. Aber auch dem, welcher Vergnügen daran findet, der charakteristischen Eigenart, wie sie sich durch fortgesetzte Ausübung eines Berufes in seinen Mitmenschen ausprägt, nachzugehen, öffnet sich hier ein ergiebiges Beobachtungsfeld. Er findet Typen aller Berufsklassen; die originelle Gestalt des alten Antiquars und seine Kunden, das Ehepaar vom Lande, dessen bessere Hälfte um ein Andachtsbuch feilscht, während er nach dem Arzneibuch greift, das allerlei Mittel gegen Gebresten des Viehs enthält, und endlich den Gelehrten daneben, welcher einen seltenen Druck entdeckt zu haben scheint. Er gelangt zu dem Verkaufsstande des Mannes, der die Welt mit dem Pantoffel versieht und dessen „Kanonen“ wie angegossen sitzen, und der dabei mit übermenschlicher Geduld einem Nörgler Stück für Stück seiner Ware anprobieren hilft, obschon er weiß, daß alle Mühe umsonst ist und es zu keinem Kaufe kommen wird. – Noch treibt der Aberglaube allenthalben sein spukhaftes Wesen. Wahrsagerinnen und Kartenschlägerinnen werden überlaufen, und daneben bietet die Messe allerlei Gelegenheit, das Orakel zu

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verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 438. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_438.jpg&oldid=- (Version vom 7.7.2023)