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verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Ihr bringt mich um! Wenn ich so schwelge, dann hat die Bosheit Gewalt über mich! Beim ewigen Himmel, nun spür’ ich schon wieder den eigentümlichen Herzdruck! Und in den Ohren braust mir’s wie fernes Bachrauschen.“

„Das macht der Wein. Ihr seid einen so kräftigen Trunk nicht gewöhnt. Aber das ist’s ja gerade! Ihr müßt Euch nach und nach darauf einrichten. Sonst wird Euch das Blut zu dick. Seht Ihr mein lieber Xylander, Ihr glaubt gar nicht, was so ein gut ausgepichter Magen alles verträgt! Ich speise für dreie und fühle mich grundwohl dabei. Ich hab’ meinen Magen aber auch tüchtig im Stand gehalten und ihm tagtäglich ein stärkendes Tröpflein gegönnt von Jugend auf. Ihr, liebwertester Herr Collega, behandelt den Eurigen wie ein hartherziger Stiefvater. Natürlich steht es Euch da schon bis an die Gurgel, wo ein kernhafter Mensch wie ich nur eben erst anfängt. Wie Ihr wollt! Da Ihr denn leider Gottes nicht eßt, so könnt Ihr meinetwegen jetzt loslegen. Ich bin doch neugierig, was Euch so außer Rand und Band gebracht hat.“

Adam Xylander feuchtete sich nochmals die Lippen. Dann hub er mit dünner, eintöniger Stimme zu lesen an …

Balthasar Noß unterbrach zuweilen für Augenblicke die breitmalmende Thätigkeit seiner Kinnbacken und zeigte auch sonst Spuren einer wachsenden Aufmerksamkeit.

„Hildegard Leuthold!“ murmelte er, als der Vorleser fertig war. „Ich kenne die Jungfrau. Neulich im Baumhof der städtischen Waldschenke, als die Künstlertruppe des Zähler zum erstenmal spielte, saß diese Leuthold unmittelbar vor mir. Ein sonderbares Geschöpf! Bei meinem Anblick ist sie jählings zusammengefahren, wie das leibhaftige böse Gewissen …“

„Seht Ihr’s! Da habt Ihr ein schweres Indicium …“

„So scheint es, liebwerter Kollege. Damals schon fiel mir die Sache auf. Jedenfalls bin ich der Ansicht, daß wir genötigt sind, auf Grund dieser Denunziation zur Verhaftung zu schreiten. Benno von Dreysa – das weiß ich aus zuverlässigster Quelle – hat kürzlich einmal geäußert, es sei doch merkwürdig, daß in der Glaustädter Gemarkung der Satan hauptsächlich mit Bauern und Kleinbürgern paktiere. Aber die Reichen tanzen so gern wie die Armen. Ich betrachte es wirklich als eine Gunst des Schicksals, wenn sich uns hier die Möglichkeit bietet, den heimlichen Vorwurf des Herrn Oberhofmarschalls durch ein schlagendes Beispiel zu widerlegen. Der Magister Franz Engelbert Leuthold stammt aus altem Geschlecht, sein Vater war Bürgermeister, seine Mutter sogar eine Adlige. Ich hoffe, unser allergnädigster Herr soll uns das Zeugnis geben, daß wir vor Rang und Stand nicht zurückschrecken, wenn es die Pflicht gilt und sein allerhöchstes Gebot.

Balthasar Noß überschlug schon im stillen, welche Verurteilungs- und Vollstreckungsgebühren er bei diesem vielverheißenden Falle in Ansatz bringen und was für illegitime Nebenverdienste ihm noch erwachsen könnten. Die blanken Goldgulden und Weißpfennige konnte man immer gebrauchen – besonders, wenn man das Glück hatte, von der übermütigen Schauspielerin Adrienne Haricourt so unwiderstehlich gebrandschatzt zu werden. Der kleine Kobold verstand sich darauf, jeden Kuß mit Anspielungen auf maigrüne Smaragden und rotgoldene Armspangen zu würzen …. Man konnte nicht anders, ihr purpurnes Mündchen lächelte gar zu verführerisch – und ein richtiger Weltmann knausert nicht, wo er in heißen, märchenhaften Entzückungen schwelgt.

Ebensosehr wie über das rein Geschäftliche des bevorstehenden Malefikantenprozesses freute sich Noß über die Thatsache, daß es sich hier seit lange zum erstenmal um ein vornehmes, wahrhaft edel geartetes Menschenkind handelte. Hildegard Leuthold war allerdings für seinen Geschmack durchaus keine Schönheit. Er haßte die mildweibliche Anmut und Sittsamkeit ihrer ganzen Erscheinung wie etwas Unnatürliches, Krankhaftes. Adrienne Haricourt mit ihrem keckwiegenden Gang und ihren schwarzuntermalten Augen, ja die bäuerische Bärbel sogar und ihr plumpsinnliches Lachen, war ihm zehntausendmal lieber. Trotzdem fühlte er, daß diese Hildegard Leuthold ein erlauchtes Geschöpf war, dem sich die Herzen aller Unverdorbenen in zärtlicher Teilnahme zuwenden mußten. Und das weckte in ihm die boshafte Natur der Kröte, die nach dem freundlichen Glanz des Johanniswürmchens ihr schmutziges Gift spritzt. Es lockte ihn teuflisch, gerade dies reine, bevorzugte Wesen unter den Griff zu bekommen und so die Hoheit und Menschenwürde, die sich so hold auf diesem liebreizenden Antlitz ausprägten, mit bestialischer Grausamkeit zu erniedrigen. Das dumpfe Bewußtsein der eignen inneren Gemeinheit wollte sich an dieser drückenden Ueberlegenheit rächen. Nach einer Weile sagte Herr Noß zu dem Beisitzer: „Also, liebwertester Herr Collega, um vier Uhr verreise ich. Längst schon hätte ich diese unumgängliche Fahrt ins Kurmainzische angetreten, aber in Eurer Abwesenheit war ja das leider Gottes nicht möglich. Nun bin ich bei meinen Geschäftsfreunden angemeldet und kann’s nicht mehr rückgängig machen, so gern ich gerade der Leutholdin wegen jetzt hier bliebe. Ihr werdet mich also auch in diesem hochwichtigen Casus vertreten müssen. Vor allem, was die Verhaftung betrifft. Ich habe vorhin schon Befehl erteilt, daß Euren Anordnungen in jeder Beziehung gehorcht wird. Verfügt also ganz nach Belieben!“

„Seid Ihr nicht auch der Ansicht, daß wir der Bitte des Unbekannten billigerweise nachgeben müssen? Ich meine die Schonung, die wir dem Vater und seinem unbescholtenen Hause angedeihen lassen sollen?“

„Ich sehe das offen gestanden nicht ein. Aber ganz wie Ihr wollt. Ich mag hier nicht dreinreden. Nur bin ich erstaunt darüber, daß Ihr just bei der Hildegard Leuthold eine so merkwürdige Rücksicht übt, da sie doch – wie aus dem Briefe ersichtlich – Eure persönliche Feindin ist.“

„Eben deshalb!“ eiferte Adam Xylander. „Soll mir die Welt nachsagen, daß ich aus Rachsucht gehandelt, der ich doch nur Gerechtigkeit will? Als Mensch und Christ verzeih’ ich ihr siebenmal siebenzigmal …“ Der selbstlose Mann erläuterte seinen Standpunkt mit großer Ausführlichkeit.

„Das läßt sich hören“, versetzte Balthasar Noß. „Ihr seid ein biedrer, achtungswerter Charakter, wie Ihr ein großer Jurist seid. Bei nächster Gelegenheit muß ich doch unseren allergnädigsten Landgrafen auf diese Vorzüge nachdrücklich hinweisen. Ihr gleicht dem Veilchen, das im Verborgenen blüht. Aber ich will Euch nun endlich einmal aus dieser Verborgenheit ans helle Tageslicht ziehen. Der Landgraf soll Euch ein Ehrengehalt auswerfen und einen Dank verleihen, der weit hinaus in die deutschen Lande funkelt.“

Xylander schüttelte mattlächelnd den Kopf. „Allzugütig, Herr Zentgraf! Da muß ich schon ausweichen. Für solcherlei irdischen Glanz und Prunk lange ich nicht. Mir genügt’s, wenn ich in Arbeit und Fleiß vor Gott meine Schuldigkeit thue.“

„Ihr seid wahrhaftig ein Sonderling. Mit Euch ist weiter nichts anzufangen, das merk’ ich wohl. Nun, sei es! Leiht mir nur auch fürderhin Eure Geistesschärfe, Euer gewaltiges Wissen und Eure glorreiche Pflichttreue! Jetzt aber – Ihr verzeiht – laßt uns dieses Gespräch enden! Ich bin müde geworden und möchte doch noch ein Stündchen Rast halten, eh’ ich mein Roß besteige. Es geht halt nichts über ein Schläfchen, wenn man gut gespeist und getrunken hat. Da legt der Mensch zu. Ihr solltet das auch so einführen!“

Adam Xylander wünschte dem Vorsitzer glückliche Reise. Er solle sich über den Fall der Hildegard Leuthold nicht weiter den Kopf zerbrechen. Alles werde von ihm, Adam Xylander, klüglich geordnet werden. Das Hauptverhör allerdings verschiebe er, bis Herr Balthasar Noß wieder zurück sei.

Noß brachte den Beisitzer mit kollegialischer Höflichkeit bis an die Thüre. Dann befahl er der hübschen Bärbel, ihn Punkt halb vier Uhr zu wecken, zog sich in das verdunkelte Nebengemach zurück und legte sich langwegs auf den breiten lederbeschlagenen Diwan. Die Hände unter dem stark geröteten Kopf, that er etliche Atemzüge tiefster Erleichterung, schmunzelte und schloß behaglich die Augen – das Urbild eines gesättigten, ruhigen, mit sich und dem Schicksal zufriedenen Menschen.

14.

Am folgenden Tage verließ Hildegard Leuthold frühzeitig das Haus. Zunächst begab sie sich in den Gasthof zum Goldnen Schwanen, dessen Inhaber einen schwunghaften Weinhandel betrieb. Dort beglich sie die jüngst fällig gewordene Halbjahrsrechnung für gelieferten Bacharacher. Von hier über den Markt schreitend, sah sie verstohlen nach den weit geöffneten Fenstern des Doktors Ambrosius hinauf. Ihr Herz schwoll vor Entzücken. Wie lange würde es währen, dann gab Doktor Ambrosius diese

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verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 471. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_471.jpg&oldid=- (Version vom 10.12.2016)