Seite:Die Gartenlaube (1897) 490.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

flogen – so hatte der Böse ihr den höllischen Fallstrick gelegt. Er trug ein Hütchen, mit Eppich und Lolch geschmückt. Durch den schwarzgrünen Filz hindurch sah man die Hörner leuchten, zwei an der Stirne und eins am Hinterkopf. Obgleich sie ja wußte, wen sie da vor sich hatte, gefiel ihr der stattliche Jägersmann doch über die Maßen. Er nannte sich Volant, wußte gar süß zu lächeln und noch süßer und verführerischer zu schwatzen.

„Wo war das?“ fragte Xylander. „Wo hat er Euch angesprochen?“

„Nun“ stammelte Frau Brigitta, „es könnte wohl sein … Vielleicht im Lynndorfer Gehölz …“

Hier giebt es kein ‚Vielleicht‘ oder ‚Es könnte wohl sein‘…“ fuhr ihr der Malefikantenrichter streng in die Rede, „sondern ein klares ‚Ist‘ oder ‚War‘.“

Brigitta Wedekind hörte schon wieder im Geiste das Knirschen der entsetzlichen Daumenstöcke. „Verzeiht, hochwürdiger Herr … Ich besinne mich jetzt. Ja, es war im Lynndorfer Gehölz … nah’ bei der Waldschenke …“

„Weiter, weiter! Laßt Euch nicht so jegliche Silbe mühsam herausquetschen. Er ist also plötzlich aus dem Gebüsch getreten, wie Ihr da einsam spazieren ginget, und hat in seiner höllischen Bosheit Euch schön gethan und Euch Gold und die Herrlichkeiten der Erde versprochen, wenn Ihr ihm zu Willen wäret und Euer Christentum abschwören wolltet. Dann hat er verschiedentliche Praktiken gebraucht, über die Ihr uns noch berichten sollt. Und wie Ihr nun vor ihm niedersankt und sein Kleid küßtet, hat er sich den teuflischen Pakt aus der Gurgel gezogen und Euch die Herzgrube geritzt, und mit dem quellenden Blut habt Ihr den Seelenverkauf unterzeichnet. Ist’s so gewesen? Sprecht!“

„Ja, Herr!“

„Wohl! Und dann? Was geschah weiter? Und welcher Art waren diese Praktiken?“

Die Wedekind, längst schon willenlos vor Qual und Entsetzen, durchwühlte ihr armes Gehirn nach den gräßlichen Reminiscenzen aus früher gehörten Zauberer- und Hexengeschichten. Fest überzeugt von der Hoffnungslosigkeit ihrer Lage und sehnsüchtig nach Erlösung schmachtend, ließ sie dabei ihrer angestachelten Phantasie freien Lauf. Zuletzt ward die Unglückliche beinahe beredt. In ihrem wilden Verlangen, sich recht verderbt und schuldig zu zeigen, gab sie jetzt Dinge zu, die selbst für den hexenkundigen Adam Xylander neu und verblüffend waren. Als sie dann schwieg, las der Gerichtsschreiber vor, was er von ihren denkwürdigen Aussagen zu Papier gebracht hatte.

„Inkulpatin,“ fragte Xylander, „habt Ihr etwas gegen den Wortlaut dieser Urkunde einzuwenden?“

Brigitta Wedekind schüttelte hastig den Kopf.

„Und Ihr bereut?“

„Ja von Herzen. Alles, alles bereue ich, was ich jemals gesündigt habe. Laßt mich nur bald sterben, ihr hohen, gestrengen Herrn! Bald, bald! Es ist eine tiefe Qual, so weiter zu leben! Und erspart mir die Einäscherung!

Sie hob die zermarterten Hände.

„Ach, nur nicht die Einäscherung! Nur nicht die Einäscherung!“

„Reuige Malefikantinnen werden zum Schwert begnadigt. Die Einäscherung bei lebendigem Leibe ist nur für die Unbußfertigen. Nun aber noch eins. Bei Euren schmachvollen Zusammenkünften auf dem Herforder Steinhügel seid Ihr natürlich etlichen Glaustädtern und Glaustädterinnen begegnet, die sich der Strafe ihres Verbrechens bis heute entzogen haben. Hierüber werdet Ihr in der nächsten Sitzung des Tribunals durch Herrn Balthasar Noß eingehend verhört werden. Heute beantwortet mir nur die hier folgende Frage: habt Ihr unter den Teilnehmern am Hexensabbath auch die Tochter des wohlachtbaren Magisters Engelbert Leuthold getroffen? Ein schlankes, vornehmes Fräulein mit Namen Hildegard – von bräunlichem Haar und heller, frischer Gesichtsfarbe?“

Die Wedekindin blickte ihm todstarr in die Augen. Nicht genug, daß sie selber verloren war, nun sollte sie auch noch andere mit ins Verderben ziehen! Das überstieg ihre Kräfte.

„Sprecht!“ fuhr Adam Xylander fort. „Als reuige Sünderin habt Ihr die unabweisbare Pflicht, hier keinerlei Mitleid zu üben. Ihr thut ja sogar ein gottwohlgefälliges Werk, wenn Ihr die Leiber der Missethäter dem Gesetz überantwortet, auf daß doch ihre unsterblichen Seelen gerettet werden.

„Ich weiß von nichts,“ murmelte die Gefragte in zitternder Seelenangst.

„Ihr wißt von nichts? Und doch ist uns eidlich bezeugt, daß auch besagte Hildegard Leuthold in verstrichener Walpurgisnacht an den Schandorgien auf dem Herforder Steinhügel emsig beteiligt war. Da Ihr Teufelsgenossen Euch insgesamt kennt, werdet Ihr Euch auch dieser Mitschwester erinnern.“

„Ich weiß von nichts, bei meiner Ehre und Seligkeit!“

Adam Xylander ward hochrot bis an die Haarwurzeln.

„Hier also hört Eure Bußfertigkeit auf? Ihr hofft wohl noch von der Leuthold irgendwie Heil und Hilfe, daß Ihr sie schonen wollt? Eine thörichte Hoffnung! Die Hexe ist längst schon in Haft genommen. Mit Eurem Abstreiten ändert Ihr also nicht das Geringste. Noch einmal frag’ ich in aller Ruhe: was wißt Ihr davon? Wie hat sich die Leuthold auf dem Herforder Steinhügel gebärdet?“

„Ach, mein hoher, gestrenger Herr! Ich kann doch unmöglich … Es wär’ ja die schändlichste Lüge …“

„Gebt ihr den ersten Grad!“ schrie Adam Xylander außer sich.

Brigitta zuckte zusammen. Ihr armer Leib war nicht mehr widerstandsfähig. Und was half es auch, wenn sie von neuem sich foltern ließ? Hildegard Leuthold würde ja doch den Blutmenschen unfehlbar zum Opfer fallen, selbst wenn die Gefolterte ausharrte bis in den Tod. Sie selbst aber fühlte, daß sie beim ersten Anprall der Marterwerkzeuge doch alles einräumen würde, was dieser furchtbare Mann mit dem Geiergesicht von ihr begehrte.

„Nein!“ rief sie in heller Verzweiflung. „Laßt Eure Knechte, hoher, gestrenger Herr! Ich bekenne schon freiwillig!“

„Um so besser für Euch! Also, Ihr saht die Leutholdin auf dem Steinhügel?“

„Ja, ja! Gott verzeih’ mir die Sünde!“

„Habt Ihr die Hildegard Leuthold schon früher gekannt?“

„Ja, mein gestrenger Herr! So von Ansehen.“

„Und sie hat teilgenommen an all den Greueln und Schändlichkeiten des Hexensabbaths?“

„Ja, mein gestrenger Herr! Ach, so erbarmt Euch doch!“

„Antwortet nur – und laßt Euer Gewinsel! Herr Gerichtsschreiber, nehmt das Bekenntnis der Inkulpatin ja recht ausgiebig und klar zum Vermerk! Diese Aussage ist von entscheidender Wichtigkeit für den Prozeß, der uns heut’ nachmittag in seinen ersten Stadien beschäftigen soll. Ein kurzes Verhör ohne Tortur, lediglich vorbereitend, damit Herr Balthasar Noß bei seiner Heimkehr den Boden schon einigermaßen geebnet findet! Also, malefica Wedekind, laßt Euch des näheren aus über die Worte und Thaten der Leuthold auf dem Herforder Steinhügel!“

Die zitternde Frau wußte nicht mehr, wo ihr der Kopf stand. Sie schwatzte und faselte wieder das unglaublichste Zeug zusammen, mitunter sich widerlegend, hier und da in die schrecklichsten Angstrufe ausbrechend, alles verworren und von haarsträubender Unlogik, aber doch so, daß Adam Xylander in tiefster Befriedigung nickte. Der Herr Gerichtsschreiber hielt eine große Ernte.

Nach Verlesung und Beglaubigung dieser Niederschrift hob Adam Xylander die Sitzung auf. Die Hellebardiere schickten sich an, die tödlich erschöpfte Dulderin wieder ins Stockhaus zurückzubringen. Noch in der Thür, da sich die Richter jetzt eben von ihren Sesseln erhoben, wandte Brigitta sich um und schrie mit losbrechenden Thränen:

„Und das alles ist doch gelogen! O, du mein herzlieber Heiland, verzeih’ mir die Todsünde! Schreibt’s in die Akten! Ich widerrufe! Ihr habt mir das mit Gewalt abgepreßt! Ich bin keine Hexe! Und auch die Leuthold ist schuldlos! Ach, ich verruchte Person! Aus elender Feigheit hab’ ich sie angeschwärzt! Gott der Herr tröste den unglücklichen Vater! Und suche nicht meine Schuld heim an der süßen Elma!

„Führt sie hinweg!“ sagte Xylander gleichmütig. „Die Hölle ist wieder mächtig in ihr. Das nächste Mal wird sich ja zeigen, ob sie auf ihrem Widerrufe besteht! Liebwerteste Collegae, ich wünsche Euch allerseits eine recht gesegnete Mahlzeit!“

(Fortsetzung folgt.)
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 490. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_490.jpg&oldid=- (Version vom 25.9.2022)