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verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

im Herrgottschnitzen, den Dialekt möglichst getreu zu schreiben versucht, doch bin ich im Laufe der Jahre immer mehr davon abgekommen, einmal, weil ich erkannte, daß es ohne Aufwand eines großen Apparates von Schriftzeichen überhaupt unmöglich ist, den Dialekt richtig zu schreiben, und dann, weil ich die Erfahrung machte, daß durch strenge Dialektschreibung die Wirkung eher gestört als gefördert wird. Hauptsache ist, daß die der Volkssprache eigentümliche Wort- und Satzstellung gewahrt wird. Ist dann der Dialekt auch nur leise angedeutet, so wird ihn der Kenner trotzdem richtig lesen – und für jenen Leser, dem der Dialekt nicht geläufig ist, wird er gerade dadurch vollkommen verständlich sein und dabei noch immer genügend Farbe und eigenartigen Reiz haben. Es genügt für Kenner und Nichtkenner in gleicher Weise, wenn das folgende Schnaderhüpfl geschrieben wird:

„Jetzt hab i noch sechs Kreuzer,
Die g’hören mein und dein,
Drah di, Weiberl, drah di,
Versuffen müssen’s sein!“

Sollte dieser Vierzeiler ganz treu im Dialekt geschrieben werden, so ist folgende Anleitung vorauszuschicken:

ê bedeutet einen Laut zwischen e und a
à einen Mittelton zwischen a und o,
é einen Laut zwischen e und ö,
á lautet wie aah, ganz offen,
o~, ei~, e~ haben bei verschlucktem ch oder n einen nasalen Klang.

Und dann wäre zu schreiben:

Jêtzt hàb i no~ séx kreuzê,
dé ghör’n mei~ und dei~,
drá di, Wáwél, drá di,
vêrsuffe~ müêssn s’ sei~!

Ein ganzes Buch in solcher Schreibart lesen zu müssen, wäre für den Leser eine nutzlose Marter, und dabei ginge jede dichterische Wirkung gründlich verloren. Es ist eine absolute Notwendigkeit, Kompromisse zwischen Dialekt und Schriftdeutsch zu schließen, und es muß dem Dialektschriftsteller frei überlassen bleiben, wie weit er mit Rücksicht auf die zu erzielende Wirkung bei diesem Kompromisse gehen will.

Aus seinem Verkehr mit dem zu früh gestorbenen oberbayrischen Lyriker Karl Stieler machte mir Ganghofer weiter sehr bezeichnende Mitteilungen. Er knüpfte dabei an den Unterschied an, der zwischen der lyrischen Dichtung und der Erzählung dem Dialekt gegenüber besteht. Er sagte: „In der Prosa kommt jeder Dialektschriftsteller nach jahrelangem Probieren und Wählen schließlich zu einem System der Dialektschreibung, an dem er festhält, weil es ihm für alle Fälle genügt. Schwieriger gestaltet sich aber die Sache in der poetischen Form, wo die Pointierung des Reimes einen strengeren Dialekt verlangt, der aber dann wieder wie eine eiserne Kette die freie Beweglichkeit des Ausdruckes einschränkt. Karl Stieler klagte mir gegenüber häufig und ärgerlich über den endlosen Kampf, den er bei seinen oberbayrischen Gedichten mit der Schreibart des Dialektes führe; er wolle und müsse so echt sein wie möglich, die Rücksicht auf das allgemeine Verständnis zwänge ihn aber doch zu Milderungen, und öfter, als ihm lieb wäre, müsse er bewußte Inkonsequenzen begehen, wenn er nicht ein gutes Wort oder einen glücklichen Einfall opfern, oder bei irgend einer Situation in gequälte Darstellung verfallen wolle. Derartigen Inkonsequenzen begegnet man in der That fast bei jedem seiner so köstlichen Gedichte. So schreibt er z. B. die Dialektform des Schriftwortes ’hinein’ in dreifacher Weise, sogar in einem und demselben Gedichte auf doppelte Art. In dem Gedichtchen „Wo der Haber so theuer is“ heißt es:

’Sieb’n Guld’n die paar Stund da ’nein?
So dumm wird do’ wohl Niemand sein?’

Und drei Zeilen später heißt es:

’Jetzt geh’ i halt schön langsam eina,
Auf oanmal radelt’s hinter meina …,’

Und in dem Gedichte ‚Der Floßknecht’ heißt es:

’So hock ma drinna unser neuni,
Drei Stund san no’ auf Lenggries eini!’

Die erste Form ist Münchner Dialekt, die dritte ist echter Gebirgsdialekt, und im zweiten Falle hat Stieler, dem Reime zuliebe, sogar einen sprachlichen Schnitzer gewagt, denn ,eina’ bedeutet streng genommen nicht ’hinein’, sondern ’herein’. Aber keine dieser Inkonsequenzen hat die Wirkung seiner prächtigen Gedichte geschmälert – durch die Freiheit, mit welcher er den Dialekt im großen ganzen behandelte, verstand er diese Wirkung immer zu steigern.

Und warm geworden, schloß Ganghofer mit dem folgenden echt dichterischen Bekenntnis: „Es kommt nur darauf an, daß poetischer Wert in der Sache steckt, daß man die künstlerische Wahrheit achtet und bei der Darstellung einer Volksfigur mit keinem Wort die Grenzen ihres Gefühlslebens und Gedankenkreises überschreitet – ob man sie dann ,hoam’ oder ,heim’ ,nein’ oder ,eini’ sagen läßt, das ist Nebensache! Und fände einer auch eine Methode, jeden Dialekt völlig getreu und mühelos lesbar zu schreiben – wenn er dabei nicht auch als Dichter zu wirken versteht, so ist sein ganzer, echter Dialekt keinen Federstrich wert!

Ist es dennoch das Schicksal auch der größten und besten unter den eigentlichen Dialektdichtern gewesen, daß man an ihrem Dialekt allerlei auszusetzen gehabt hat, so können natürlich dem Vorwurf der „Unechtheit“ erst recht nicht jene hochdeutschen Autoren entgehen, die aus poetischen Gründen in ihren Romanen die eine und die andere Person einen bestimmten Dialekt reden lassen. Da läßt z. B. ein Wiener Autor einen Berliner auftreten und nach Mustern, die er beobachtet hat markiert er das Berlinertum in dessen Sprache. Sofort melden sich in der Reichshauptstadt die „Merker“ und kreiden ihm hurtig allerhand Verstöße gegen das „echte Berlinisch“ an. „Da hat wieder einmal ein Oesterreicher Berlinisch schreiben wollen und hat keine Ahnung davon!“ Wie vernichtend das klingt! Wer aber spricht denn eigentlich in Berlin das „echte“ Berlinisch? Die Zeiten der allgemeinen Schulpflicht, der Freizügigkeit, der Verkehrsfreiheit sind der Reinkultur des Volksdialekts in den Städten gar wenig günstig. Wie viele Leute giebt es noch in Berlin, welche naiv und unberührt vom Einfluß des Schriftdeutschen jenes „echte Berlinisch“ reden, das über die Lippen der humoristischen Volkstypen eines Glaßbrenner, eines Kalisch und Dohm so fröhlichfrech dahernäselte? Gar viele heutige Berliner sind nicht mit Spreewasser getauft und haben als Kinder eine ganz andere Mundart dem Mutter- oder Ammenmunde abgelernt. Was man im großen Leben Berlinisch nennt, ist ein unregelmäßiges Gemengsel von Schriftdeutsch und der Berliner Volksredeweise, dem noch allerlei aus anderen Dialekten beigemischt ist. Eine scharfe Dialektgrenze zwischen Gebildeten und Ungebildeten existiert längst nicht mehr. Es giebt Hochgebildete, zu deren Eigenheiten die Freude an kräftigen mundartlichen Redewendungen und der Gebrauch von solchen gehört, und Mindergebildete, deren Bildungstrieb sich nicht genugthun kann in dem Streben, ein reines Hochdeutsch zu sprechen. So giebt es anderseits Wiener und Wienerinnen, welche daheim im Verkehr mit ihresgleichen allen Dialekt vermeiden, unter Norddeutschen aber, die das gemütliche „Weanerisch“ besonders gern hören, diesen bereitwilligst den Gefallen zu thun, im Dialekt der Donaustadt zu „plauschen“. Ja, manche, denen das besonders leicht fällt und die der Humor dazu antreibt, ergehen sich dabei in drastischen Redewendungen, die in „ihren Kreisen“ daheim verpönt wären. Der Grad der „Echtheit“ ist aber immer individuell. Ein Beispiel solch einer Oesterreicherin hat neuerdings W. Heimburg im Roman „Trotzige Herzen“ geschaffen, wo die liebenswürdige Sängerin Hochleitner ein „Wienerisch“ spricht, das durch längeren Aufenthalt in der Fremde ja auch an „Echtheit“ eingebüßt hatte.

Im Plattdeutschen nennt man solche Mischung von Schriftdeutsch und Volkssprache, wie sie auch Reuters „Bräsig“ spricht „Missingsch“ Das Wort ist von Messing abgeleitet und stellt diese sprachliche Mischung in Vergleich mit der Kupfer-Zink-Legierung, welche wir Messing bezeichnen. Das Kupfer und das Zink können in sehr verschobenem Verhältnis gemischt werden – „echtes Messing“ giebt die Mischung doch! So können Schriftdeutsch und Dialekt sich im verschiedenartigsten Verhältnis vermengen, ohne daß dieses „Missingsch“ unecht wäre! Und will man jede echte ursprüngliche Mundart mit purem Golde vergleichen, so läßt sich dieser Vergleich auch auf die Ummünzung des Dialekts für den öffentlichen Verkehr ausdehnen. Wie das reine Gold erst mit Kupfer legiert werden muß, um zur Prägung in Münzen tauglich zu sein so muß auch die Mundart sich eine Legierung mit Schriftdeutsch gefallen lassen, damit sie in litterarischer Gestaltung die Runde durchs ganze Vaterland mache!

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 515. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_515.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2017)