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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

gestalten, bewährte er sich als Meister. Dem Wert, den Ernst Keil auf seine Beiträge legte, dem Eifer, mit dem er ihn zu immer neuen anregte, entsprach die günstige Aufnahme, die sie im Publikum fanden, und die Beziehungen zwischen Redakteur und Autor wurden immer inniger und vertrauter. Ja, als im Jahre 1862 die „Gartenlaube“ in Preußen verboten wurde und Keil als Ersatz für sie in Berlin den „Volksgarten“ gründete, da war es Max Ring, dem er die Redaktion des letzteren übertrug und der sich des in ihn gesetzten Vertrauens auch in jeder Beziehung würdig erwies.

Seit seiner Uebersiedlung nach Berlin im Jahre 1850 ist Ring dort wohnen geblieben. Er wurde in dieser Zeit zu einem der besten Kenner der Reichshauptstadt, von Alt- und Neu-Berlin, und hat dies auch in rein historischer Weise bethätigt. Trotz eines Lebens, von dem das Wort des Psalmisten gilt, daß es köstlich gewesen ist, weil es voll Mühe und Arbeit gewesen, erfreut er sich noch heute einer seltenen Frische und Rüstigkeit, die freilich auch von einem glücklichen Familienleben umhegt sind. Möge ihm auch weiter die Bürde des Alters leicht sein und er in den Glückwünschen der vielen, die heute mit uns seines segensreichen Wirkens gedenken, den Lohn finden für all die Anregungen zum Guten und Tüchtigen, die er in seinem reichen Leben mit nimmermüdem Geist ausgestreut hat!


Die Hexe von Glaustädt.
Roman von Ernst Eckstein.

(11. Fortsetzung.)

19.

Der Tuchkramer verspürte nach der Verhandlung mit Balthasar Noß ein ungestümes Bedürfnis nach frischer Luft. Die Zeit drängte nicht. Der Besuch im Stockhause vollzog sich sogar besser, wenn der Abend um einiges vorgerückt und die Straßen minder belebt waren. Er schritt also durch die vielfach gewundene Cäciliengasse und erreichte das Harracher Thor, das von sämtlichen Stadtthoren den geringsten Verkehr hatte. Ein leicht erklärlicher Drang führte ihn gerade in dieser Richtung. Jenseit des Harracher Thores lag nämlich ein Bauerngehöft, rings von Erlen und Weiden umbuscht, so daß man nur den Schornstein und ein Stückchen des graugelben Strohdaches zwischen dem Laubwerk hervorlugen sah. In diesem Bauerngehöft standen seit vorgestern drei Pferde bereit, eins für Hildegard Leuthold, eins für Herrn Lotefend und eins für den Kerkermeister Hans Godwin, der, seines freudlosen Amtes längst überdrüssig, dem Golde des Tuchkramers nicht lang widerstrebt hatte und nun gewillt war, mit über die Dernburgsche Grenze zu flüchten. Wenn sich im Stockhaus alles nach Wunsch abspielte, konnte man längst vor Mitternacht schon in Sicherheit sein.

Den Blick auf das halbversteckte graugelbe Strohdach gerichtet, schlenderte Lotefend herzklopfend über den schmalen, tiefgeleisigen Ackerweg. Unweit der Holzbrücke, die nordostwärts über die stark strömende Glaubach führte, stand eine roh gezimmerte Bank. Hier machte der Tuchkramer Halt. Er mußte sich ausruhen. Zwar hatte Herr Lotefend an der Bestechlichkeit des Balthasar Noß keine Minute lang ernstlich gezweifelt. Trotzdem war ihm die glatte, geräuschlose Abwicklung wie ein unheimlicher Glücksfall schwer in die Glieder gefahren und das Bewußtsein, daß er dem Ziel seiner Hoffnung jetzt so unmittelbar nahe gerückt war, trieb ihm das Blut stürmisch durch alle Adern.

So verstrich eine Stunde. Von der Glaubach herauf wehte ein feuchtwohliger Dunst, der ihm die brennende Stirn kühlte und ihm die aufschauernden Nerven beschwichtigte. Gegen halb Zehn machte er kehrt. Wie er ans Harracher Thor kam, hatte der Wächter bereits geschlossen. Mit tiefehrfürchtigen Bücklingen ließ er den vornehmen Herrn ein. Unterdes war es vollständig Nacht geworden. Die schmale Cäciliengasse lag schon wie ausgestorben.

Henrich Lotefend kam an das Stockhaus. Schwarz und wuchtig ragten die ungegliederten Steinmassen zum sternklaren Himmel auf. Der oberste Dachfirst glänzte jetzt eben im Schein des aufgehenden Mondes. Vor dem Haupteingang neben der Wandlaterne blinkten die Hellebarden der beiden Schildwachen: „Halt!“ klang es ihm rauh entgegen, als sich der Tuchkramer dem Eingangsthor näherte. „Hier giebt’s keinen Zutritt mehr.“ Henrich Lotefend hielt das Geleitsblatt des Zentgrafen zwischen den Fingern.

„Für mich doch!“ sagte er leichthin. „Kennt Ihr die Unterschrift und das Siegelzeichen des Vorsitzers?“

„Weist her!“ sprach der Soldat. Er nahm den rot untersiegelten Zettel und hob ihn zu der eisernen Windlampe rechts in der Steinblende.

„Wohl! Das Siegel da kenn’ ich. Desgleichen die Unterschrift. Aber möchtet Ihr nicht so gut sein, mir noch einmal genau vorzulesen, was hier geschrieben steht? ’s ist viel Wasser die Grossach ’nunter geflossen, seit ich zu Marburg die Schule besucht habe. Auch trifft es sich heute für mich zum erstenmal, daß hier ein solcher Geleitsschein benutzt wird.“

Lotefend las.

„Dank’ Euch!“ sagte der Stadtsoldat. „War ja im Grunde nicht nötig. Aber für künftige Fälle weiß ich’s nun …“

Er schlug mit dem Schaft seiner Hellebarde wider die Thorplanken. Es dauerte einige Zeit, bis da drinnen der greinende Stahlriegel aus der Kramme gerissen ward. Eine großdochtige Talgkerze goß ihr unruhiges Rotgelb auf das stumpfsinnig breite Bauerngesicht des Pförtners.

„Was giebt’s so spät?“ fragte der Kerl mürrisch.

„Ich komme im Auftrag des Zentgrafen Balthasar Noß,“ versetzte der Tuchkramer. „Ich bitt Euch, führt mich alsbald zum Verwalter!“

Der Pförtner gehorchte mit seufzender Langsamkeit. Die beiden Erdgeschoßfenster links im Hof hatten noch Licht. Dort war es. Die Thür neben dem Regenfaß. Achtung! Da stand eine Waschkufe …

Der Stockhausverwalter war vor kaum einer Viertelstunde erst heimgekommen und saß jetzt bei dem frugalen Nachtmahl, das er an Sonntagen immer verspätet einnahm. Er hatte die einzigen freien Stunden, die ihm während der ganzen Woche vergönnt waren, zu einem Gang nach der Waldschenke und zum Austrinken zahlreicher Schoppen benutzt, die ihn so schläfrig machten, daß er kaum noch imstande war, seine Suppe zu löffeln. Mühsam erhob er sich. Mit schwerblinzelnden Augen prüfte er den Geleitsschein. „Stimmt!“ knurrte er vor sich hin und strich sich mit der knochigen Hand etlichemal über den Kahlkopf. „Gewiß – der Schein ist in Ordnung. Aber – was ich bemerken wollte … ich bin müde zum Hinschlagen. Könntet Ihr nicht morgen bei Tag wiederkommen?“

„Nein!“ erwiderte Lotefend schroff. „Morgen bei Tag soll die Beschuldigte schon verhört werden, und ich habe die zwingendsten Gründe, noch vor diesem Verhör eine Besprechung zu wünschen.“

„Nichts für ungut, Herr Ratsherr! Ich meinte nur … Weil ich so hundsmüde bin. Und weil ich doch gern in eigner Person … Aber es geht ja auch so. Entschuldigt nur! Der verwünschte Glaustädter Blankwein! Neuling, bring’ den Herrn Ratsherrn schleunigst hinaus zur Malefikantenabteilung!“

Die letzten Worte waren an einen halbwüchsigen Burschen gerichtet, der eben damit beschäftigt war, die Sonntagskleider des weinmüden Stockhausverwalters über die Stange zu hängen. Der Knabe nahm eine Handlaterne vom Sims, steckte sie an und schritt dem Ratsherrn voraus. Ueber unregelmäßig gebaute Gänge und Steintreppen gelangte Herr Lotefend nach dem Vorplatz an der eisernen Thür, wo der Kerkermeister in seinem niedrigen spärlich erleuchteten Holzverschlag hauste. Der Raum der Hellebardiere war bereits leer.

„Godwin, schlaft Ihr schon?“ rief der Bursche des Stockhausverwalters und trommelte mit der Faust wider die Bretterbude. „Ihr werdet verlangt, Godwin! Ein Ratsherr will jetzt gleich ins Malefikantengefängnis. Bringt die Laterne mit!“

Mit erkünstelter Langsamkeit kam der bleiche, bartumwucherte Godwin aus dem Verschlag hervor. Sein Herz schlug nicht minder erwartungsvoll als das Lotefends. Nach einem abenteuernden Leben in Frankreich und Norditalien war Hans Godwin

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