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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Preise, die er lächerlich niedrig fand, in die Höhe und sie wurden anstandslos bezahlt.

Hanna war ihm für seine vielen Bemühungen herzlich dankbar. Es gab freilich Augenblicke, wo Bangigkeit und Beklemmung sie befiel, wenn sie seinen glänzenden, eindringlichen Blicken begegnete, Blicke, in denen mehr geschrieben stand als allgemeine menschliche Teilnahme. Doch warnte dies unruhvolle Herzklopfen nicht laut und nicht lange genug. Nicht so sehr, weil ihre persönliche Eitelkeit dazu nicht stark genug war, sondern vielmehr, weil das, was ihr mutig bezwungenes Herz einzig schwerer und härter schlagen machte, mit Ludwig Thomas nichts zu thun hatte. Auch fehlte es ihr einfach an Zeit, um eifrig Betrachtungen anzustellen. Es mangelte ihr die Seelenruhe des behaglichen Müßigganges. Sie arbeitete mit fieberhaftem Eifer. Sie nahm halbe Nächte zu Hilfe. Sie sagte sich, daß eine so günstige Gelegenheit für allerhand Aufträge kaum je wieder kommen werde und daß sie darum alles daransetzen müsse, um während dieser Frist so viel Geld ins Haus zu schaffen, wie nur irgend möglich. Sie fühlte aber auch, daß ihren Kräften mit dieser Rastlosigkeit zu viel zugemutet werde, daß ihre Augen begannen, zu leiden, daß ihre Nerven sich immer straffer anzogen, zu reißen drohten. Sie sagte sich zugleich, daß sie mit all ihrer Mühe das drohende Gespenst der Not nicht würde abwenden können, wenn es nicht gelinge, die Wohnungsfrage befriedigend zu lösen. Aber ein Mieter zum Juli wollte sich nicht finden, und Giesecke senior hatte sich zu dem Bekenntnis entschließen müssen, daß sein Sohn ihm an Charakterstärke „über“ sei.

Indessen gingen die Wochen hin. Man war aus dem April tief in den Mai geraten, ehe man es wußte.

Hanna und Rettenbacher waren ihren Pflichten im Kirchenchor mit gewohnter Pünktlichkeit nachgekommen. Es fiel keinem der beiden ein, der wehvollen Stimmung, die sich nach Stummsein sehnte, dieses Zugeständnis zu machen. Auch die Samstagabende waren nach alter Gewohnheit eingehalten worden, oder vielmehr dieser Gewohnheit zuliebe. Ohne den Pastor, der sich nach jenem Musikabend bei Frau Wasenius einstweilen in seiner Studierstube verkrochen hatte. Ohne Thomas, der zu Rettenbachers unendlicher Erleichterung nicht erst zur Teilnahme aufgefordert wurde, nachdem er bei einer Erwähnung des Kirchenchores gesagt hatte: Musik ist nett, aber ich kann famos ohne sie leben.

Sie hatten an diesen Abenden gesungen, beide, der Mann und das Mädchen. Beide fürchteten sich gleichermaßen vor dem Singen wie vor dem Schweigen, fürchteten, daß das eine wie das andere sie verraten möchte. Günther in seiner Harmlosigkeit aber war von dem Schleier, der über den beiden herrlichen Stimmen lag, nichts gewahr geworden. Freilich war es nur ein durchsichtiger Flor, zart wie Spinnwebe, mehr dem geschärften Ohr des selber Leidenden als dem dieses kindlich fröhlichen Musikers fühlbar. Wäre Günther Poet gewesen, dem eigene Melodien in der Seele blühten, so wäre ihm vielleicht der leidverklärte Ton, mit dem Hanna am Karfreitag in der Kirche gesungen hatte, in seinen Träumen wiedererklungen und hätte ihn zum Lauschen geweckt. So aber fühlte er nur immer wieder die Wonne über die Reinheit und Süße dieser Mädchenstimme, die sich mit dem edlen Goldklang der andern zu berückend schwermutvoller Harmonie verschmolz.

Ostern war längst vorbei, Pfingsten nahte. Die Welt stand in Blüte. Mit ihren schon fieberisch glänzenden Augen sah Hanna von der Arbeit in diese strahlende, sommerwarme Frühlingsseligkeit hinaus, zu ihrem düster umwölkten Sorgenhimmel empor und wieder hinab auf die Mutter, die in diesem wachsenden Unheilschatten von Tag zu Tag welker und blasser in sich zusammensank. Die Heiterkeit und Zuversicht, die ihr Thomas mit seinen ersten Besuchen ins Haus getragen hatte, war eine ärmliche Blume gewesen und schon lange verblüht. Es wollte ihm nicht mehr gelingen, die immer schweigsamer werdende Frau zum Lächeln zu bringen. Zurückgelehnt, von weißen Kissen umgeben, die Augen geschlossen, lag sie unter ihren Blumen da wie auf dem Totenbett.

Ein Windstoß fuhr daher, Regentropfen fielen vom wirklichen Himmel. Hanna erhob sich, um das Fenster zu schließen. Sie blieb dann neben der Mutter stehen und sah sie lange an.

Thomas, schon im Begriff zu gehen, trat noch einmal zu ihr her. Er schüttelte wehmütig den Kopf, dann winkte er, seinen Hut in der Hand, dem Mädchen, ihm vor die Thüre hinaus zu folgen. „Fräulein Hanna,“ sagte er draußen leise, „Ihre Mutter macht mir eigentlich Sorge. Ich muß es Ihnen einmal sagen.“

„Meinen Sie mir nicht?“ antwortete sie heiser, mit einer fliegenden Blässe. Die Hände, die sie fest zusammenfaltete, zitterten.

„Sie müßte ganz anders gepflegt werden, als man es hier kann,“ fuhr er fort, „sie müßte kräftigen Wein haben, alle möglichen guten Dinge –.“

„Keine Sorgen vor allem,“ unterbrach ihn Hanna. „Was reden Sie denn? Wem sagen Sie das alles? Kann ich helfen? Könnt’ ich’s “ – – ein thränenloses Aufschluchzen erschütterte ihren Körper – „meine Seele würd’ ich dem Teufel verschreiben dafür!“

Er sah sie mit einem eigentümlich funkelnden Lächeln an.

„Muß es gerade der Teufel sein?“ fragte er nach einer kleinen Pause.

„Sonst hilft ja niemand,“ antwortete sie mit schmerzlichem Humor.

„Wer weiß!“

Er nahm sacht ihre festverschlungenen Hände und löste die starren Finger. „Ich wüsste jemand, der die Sache mit einem Schlage in Ordnung bringen könnte, Fräulein Hanna. Keinen Teufel. Oder wenigstens einen sehr menschlichen.

„Was soll das heißen?“ Sie sah ihn erst jetzt aufmerksamer an. „Was wollen Sie thun? Wie wissen Sie plötzlich Hilfe? Sagen Sie! Sagen Sie!“

Er öffnete schon den Mund. „Nein,“ sagte er dann aber kurz abbrechend. „Wenn Sie so fragen, wenn Sie so gar nicht – heute sag’ ich kein Wort mehr. Denken Sie nach. Sie müssen ja verstehen. Ich komme wieder, bald, vielleicht morgen, übermorgen. Vielleicht erraten Sie es bis dahin! Adieu.“

(Fortsetzung folgt.)

Das Wiener Handschriften-Archiv.

Heutzutage, wo sich der Sammeleifer auf alles Sicht- und Greifbare erstreckt, ja selbst die bescheidensten Werkzeuge und Erzeugnisse menschlicher Kultur vom Standpunkt der Entwicklungsgeschichte der Sammlung und Aufbewahrung in prächtigen Museen würdig erachtet werden, da ist auch die Liebhaberei für Autographen in weite Kreise gedrungen. Unsere berühmten Männer und Frauen wissen ein Lied davon zu singen! Und dieser Eifer ist begreiflich genug. Die Freude am Autograph (richtiger wäre „Autogramm“ zu sagen.) hat wirklich ihren tieferen Sinn. Wer zu einem Schriftsteller oder zu sonst einer bedeutenden Persönlichkeit ein inneres Verhältnis gewann, hat das natürliche Bedürfnis, ein Stück von ihr sich physisch greifbar zu erwerben, und die Handschrift ist so ein greifbares Stück der Persönlichkeit. Goethe, der im Alter selbst eine Autographensammlung pflegte, nannte sie mit bezeichnendem Lob einen „Zauberkreis“, abgeschiedene oder entfernte Geister heranzuziehen. Eine allgemeine Betrachtung über den heutigen Autographenmarkt und die Entwicklung dieses ganzen Zweigs modernen Sammlerwesens hat die „Gartenlaube“ erst vor kurzem – Jahrgang 1896, S. 852 – unter dem Titel „Aus der Autographenwelt“ von Hans H. Busse gebracht.

Auf eine der merkwürdigsten Autographensammlungen, die vielleicht jemals ein Privatmann aus Liebhaberei, ohne irgendwelche geschäftliche Zwecke zu verfolgen, zustande brachte, lenken die hier beigedruckten Abbildungen die Aufmerksamkeit unserer Leser. Es ist dies das sogenannte Wiener Handschriften-Archiv von Herrn Alexander Posonyi. Sie ist nach der Zahl und dem Wert der Stücke, die sie vereinigt, die größte Privatsammlung, welche bekannt wurde. Als die Autographensammlung des Grafen Ludwig Paar, österreichischen Botschafters beim römischen Stuhl, nach seinem Tode (1893) zur Auktion gelangte, wurde sie sehr bewundert, denn sie zählte 12 000 Stücke. Die Sammlung Posonyis, der übrigens viele der wertvollsten Handschriften aus Graf Paars Nachlaß erworben hat, zählt 30 000 Stücke in runder Ziffer.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 555. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_555.jpg&oldid=- (Version vom 10.12.2016)