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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

werden, können verderblich wirken. Gerade diese verhängnisvolle Verbindung ist viel häufiger Ursache der Herzvergrößerung als schwere Arbeit allein. Wäre dem nicht so, dann müßte doch dieses Herzleiden zweifellos auch bei jugendlichen Arbeiterinnen, die nicht selten ebenso hart arbeiten müssen, z. B. in der Landwirtschaft, jedoch nicht so gern „ihr Herz stärken“, auftreten, was aber ganz entschieden nicht der Fall ist, wie jeder erfahrene Arzt weiß. Jugendliche Arbeiter, Rekruten usw. müssen also auch der Gesundheit ihres Herzmuskels wegen alkoholischer Getränke, namentlich während der Arbeit, und besonders bei schwerer, vermeiden.

Kommen, wie gesagt, bei jugendlichen Arbeiterinnen überhaupt bei der weiblichen Jugend, einfache Herzvergrößerungen viel seltener vor als bei jungen Männern, so ist ein anderes Herzleiden dafür bei ihnen um so häufiger, das reine Herzklopfen. Zwischen dem naturgemäßen Stoß des Herzens gegen die linke Brust und dem Herzklopfen ist nun zwar nicht scharf zu unterscheiden; für unsere Zwecke genügt es aber, zu sagen, daß das letztere dann als vorhanden angesehen werden muß, wenn das Schlagen des Herzens als solches unangenehm, und zwar als kürzer oder länger dauernde Störung des gesundheitsgemäßen Behagens, empfunden wird. Der Herzschlag ist dabei in Wirklichkeit nicht immer sehr verstärkt und heftig, sondern er wird oft nur von den Patientinnen dafür gehalten, in anderen, allerdings seltenen Fällen, wird er dagegen viel stärker von der aufgelegten Hand des Arztes gefühlt, als von den Leidenden wahrgenommen. Mit anderen Worten: Temperament und größere oder geringere Aengstlichkeit wirken bei den Klagen über Herzklopfen erheblich mit, als Regel darf aber gelten, daß die Klagen heftiger sind als das Herzklopfen. Charakteristisch ist für dasselbe, daß dabei weder der Herzmuskel vergrößert, noch der Klappenapparat im Herzinnern verändert ist.

Neuerdings tritt das reine Herzklopfen immer häufiger schon bei jüngeren Schülerinnen, seltener bei Knaben, besonders in höheren Schulen, auf, so daß man diese Form als „Schulherzklopfen“ bezeichnen kann. Namentlich sind die Besucherinnen der höheren Töchterschulen davon geplagt, oft schon nach ein- oder zweijähriger Dauer des Unterrichts. Dazu tragen mannigfaltige, aber nicht allein auf Rechnung dieser Anstalten zu setzende Schädlichkeiten und Fehler bei. Die letzteren haben das gemeinsam, daß sie hauptsächlich das Nervensystem treffen, während zugleich das Muskelsystem unbeschädigt bleibt. Zu dem langen Stillsitzen auf harten Bänken und der steten Aufmerksamkeit in der Schule kommt noch als Gesundheitsschädigung hinzu, daß auf Spielen im Freien seitens der Eltern zu wenig Gewicht gelegt wird. Die Mädchen sitzen auch zu Hause weiter oder werden mit Klavierspielen geplagt, halten Gesellschaften usw., nur selten kommen sie zu kurzen Gängen. Dadurch wird die Blutbildung und die Ernährung der Organe, und am meisten die des immerthätigen Herzens, herabgesetzt, dieses muß daher den Ausfall an Kraft durch häufigere, weil im einzelnen kraftlosere Schläge ersetzen; es entsteht Herzklopfen aus Schwäche des Herzens. Als Verhütungs- und Gegenmittel können die zwei wöchentlichen Turnstunden keinesfalls genügen, als solche dient hauptsächlich täglicher, mehrstündiger Aufenthalt in freier Luft mit körperlichem Ausarbeiten durch Spiel, Spaziergänge, Gartenarbeiten u. dergl., in schlimmeren Fällen Aussetzen des Schulbesuchs und Landaufenthalt. Besonders häufig treten Anfälle von Herzklopfen bei Mädchen in den Entwicklungsjahren ein. Sie sind dann Folgen einer mangelhaften Blutbildung und zumeist mit den Erscheinungen der Bleichsucht verbunden. Das Einnehmen der althergebrachten „Stahltropfen“ oder der modernen Eisenpeptonate wird zwar in Laienkreisen als das Hauptmittel dagegen betrachtet, ist aber ohne die Verbindung mit den genannten hygieinischen Maßnahmen wenig oder gar nicht wirksam.

Fast regelmäßig leiden die Frauen in späteren Jahren, wenn sie in das Matronenalter eintreten, an einem oft sehr lästigen Herzklopfen. Dagegen sind andere Maßregeln zu empfehlen. Wohl bleibt auch in diesem Falle ein ausgiebiger Aufenthalt im Freien ein Herz- und Gesundheitsschutzmittel ersten Ranges, aber es ist, dem höheren Alter entsprechend, eher körperliche Schulung als vermehrte Thätigkeit anzuraten nur darf man darin nicht so weit gehen, daß man dem in der Regel bestehenden übermäßigen Verlangen nach Ruhe völlig nachgiebt.

Anstatt der im Ausbildungsalter oft sehr heilsamen täglichen kalten Abwaschungen des Oberkörpers läßt man beim Herzklopfen während der beginnenden Matronenzeit vorteilhafter, wenn nicht täglich, so doch mehrmals wöchentlich kurze lauwarme Bäder nehmen. Daß bei beiden Arten von Entwicklungsherzklopfen alle erregenden Mittel, wie Thee, Kaffee in stärkerem Aufguß, „herzstärkende Tropfen“ und gar Getränke, in den meisten Fällen schädlich wirken müssen, ist selbstverständlich, doch darf man die Schablone nicht so weit treiben, daß man sie ganz verbietet, einesteils, weil sie in vereinzelten Fällen, in mäßiger Stärke genossen, wirklich nützen, andernteils, weil man durch unbedingtes Verbot einer langjährigen Gewohnheitsübung meist die begleitende Gemütsangst und somit die Neigung zu Herzklopfen erhöht.

Eine nicht seltene Ursache des Herzklopfens bildet sowohl bei Männern wie bei Frauen, wenn auch häufiger bei letzteren, vermehrte Fettbildung. Es rührt dann von einer Art Druck her, der durch Fettumlagerung des Herzens entsteht, gegen welche Einengung dieses sich durch Klopfen wehrt, und ist verschieden von dem aus Herzverfettung entstehenden, wobei das Muskelfleisch fettig entartet. Bei der ersten Form nützt hauptsächlich eine sogenannte Entfettungskur, bei der letztgenannten dagegen darf eine solche nicht angewendet, sondern es muß versucht werden, u. a. durch eine bessere Ernährung, dem Prozeß Einhalt zu gebieten. Die bei beiden Formen auftretende Atemnot hat ihre Begründung in der engen Wechselbeziehung, in welcher die Lungen- und Herzthätigkeit zu einander stehen wird; doch, was jedermann willkürlich herbeiführen kann, bei rascherer Atmung der Herzschlag schneller und bei künstlicher Verlangsamung derselben seltener. Bei Fettherz und Herzverfettung setzt das Herz gern aus, d. h. es fällt nach einer größeren oder geringeren Reihenfolge ganz regelmäßiger Zusammenziehungen und Ausdehnungen desselben eine aus, eine Erscheinung, welche aufmerksame Patienten meist sehr beunruhigt zu deren Trost sei aber gleich gesagt, daß dies durchaus kein Vorzeichen des gefürchteten Herzschlages ist, sondern auch bei ganz Gesunden hier und da auftritt, ja bei einzelnen Personen während des ganzen Lebens die Regel ist. Bei Herzklopfen durch Fettherz sowohl wie namentlich durch Herzverfettung müssen vor allem plötzliche und heftige Anstrengungen, wie Heben, Laufen u. dergl. vermieden und bei längerem Andauern desselben ruhige, horizontale Lage eingehalten werden. Unterstützt wird diese durch Auflegen kalter Umschläge oder einer Eisblase auf die Herzgegend.

Eine ganze Gruppe von Herzklopfen beruht auf Diätfehlern im weitesten Sinne. Wer sich aufmerksam beobachtet, wird gefunden haben, daß, wenn er nach langer und starker Erhitzung durch Fußtouren bei Sonnenhitze, auf Bällen u. dergl. seinem Durst mit einem Male ganz nachgiebt, er dies mit zuweilen recht unangenehmem Herzklopfen büßen muß. Das ist leicht erklärlich, denn das vorher durch Wasserverlust infolge starker Transpiration entwässerte und dadurch verengte Blutgefäßsystem nimmt dabei rasch größere Wassermengen in sich auf, deren Fortbewegung und Bewältigung nun plötzlich vom Herzen vermehrte Arbeitsleistung erfordert, die sich als Herzklopfen äußert. Daraus erwächst die Regel, daß man starken Durst nur durch Trinken kleinerer Flüssigkeitsmengen in größeren Zwischenräumen befriedigen darf, nicht auf einmal. Diese Vorsicht ist natürlich bei Fällen drohender Verdurstung noch mehr geboten, wie Wüstenreisende, z. B. Nachtigal, erfahren haben. Noch schlimmer wirkt natürlich plötzliche Löschung großen Durstes durch an sich erregende Getränke, in seltenen Fällen ist dadurch sogar schon augenblicklicher Tod durch „Herzschlag“ herbeigeführt worden. Gefährlich ist es geradezu, wenn die große aufgenommene Getränkemenge zugleich sehr kalt ist, denn dadurch ziehen sich die gerade im Unterleib äußerst zahlreiche Blutgefäße zugleich augenblicklich stark zusammen und führen ihren Inhalt dem Herzen zu, das dann um so leichter solcher Ueberanstrengung erliegt. Durch solche Fälle erscheint die Angst und Warnung vor dem unter gewöhnlichen Verhältnissen übertrieben gefürchteten „kalten Trunk“ wirklich gerechtfertigt, auch ist es leicht möglich, daß bei besonders zart organisierten weiblichen Naturen durch derartige Diätfehler bleibende ernste Störungen des Herzens und damit der Blutbewegung und Blutbildung entstehen können, deren Folgen dann als „Zehrung“ durch kalten Trunk bezeichnet werden.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 562. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_562.jpg&oldid=- (Version vom 10.12.2016)