Seite:Die Gartenlaube (1897) 565.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Nr. 34.   1897.
Die Gartenlaube.
Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.
Jahresabonnement: 7 M. Zu beziehen in Wochennummern vierteljährlich 1 M. 75 Pf., auch in 28 Halbheften zu 25 Pf. oder in 14 Heften zu 50 Pf.

Einsam.
Roman von O. Verbeck.

(3. Fortsetzung)

9.

Hanna zersann sich den müden, schmerzenden Kopf. Diese geheimnisvolle unklare Aussicht auf die Möglichkeit einer Hilfe in der Not versetzte sie in quälende, brennende Unruhe. Als Thomas gegangen war, hatte sie sich noch nicht wieder ins Wohnzimmer hineingetraut, sondern sich aus Furcht, der Mutter ihre Erregung zu verraten, erst in Küche und Schlafstube allerhand zu thun gemacht. Leidlich gefaßt hatte sie nach einer Viertelstunde, ihrer stillen Kranken gegenüber, die weggelegte Arbeit wieder aufgenommen. Aber die Hand, mit der sie das Schnitzmesser führte, zitterte, und wenn sie sich den beinahe fertigen Bilderrahmen nicht durch einen Fehlschnitt verderben wollte, mußte sie aufhören. In dem entmutigenden Gefühl, heute zu keiner anspruchsvollen, zierlichen Arbeit mehr imstande zu sein, holte sie eine grobe Flickerei heran, die Augen und Hand gleichermaßen ausruhen ließ.

Frau Wasenius lag still in ihren Kissen. Es wurde nicht mehr viel gesprochen zwischen Mutter und Tochter. Die traurige Frage: was wird aus uns? war einstweilen verstummt, weil die Antwort ausblieb. Die Prüfung der Wohnungsliste, die Thomas gebracht hatte, war unterblieben, da man ja hier immer noch gefesselt saß. Denn auch Hannas eigene flehentliche Bitte konnte Herrn Giesecke nicht zur Drangabe seiner berechtigten Forderung veranlassen. Das drohende Gespenst der Pfändung reckte sich immer deutlicher im Winkel. Die Kreuz und Quer woben Sorge und Rat ihre Fäden. Dicht, erstickend dicht! Und kein Ausweg, keine Lücke in den grauen Schleiermassen. – Doch? Es gab also eine lose Stelle, die man durchstoßen konnte? Hinter der es hell wurde? Thomas hatte mit dem Finger daran gerührt. Das Gewebe schütterte. Aber wie kann man heraus? Um was für einen Preis? Und wohin?

„Was ist dir denn, Kind?“ – Frau Wasenius hatte schon eine ganze Weile, von Hanna unbemerkt, aus ihrem Dämmerschlaf erwacht, beobachtend dagelegen und ängstlich staunend dem Feuer dieser innerlich glühenden Unrast zugesehen, das dem Mädchen aus den weit offenen Augen flammte.

„Aber gar nichts, Mutter. Warum?“ Sie hatte sich schnell gefaßt, kaum daß sie flüchtig zusammengezuckt war.

„Du siehst verstört aus. Ist etwas Neues – aber was sollte denn noch kommen?“

„Das sag’ ich auch. Also keine Unruhe, Mutterchen. Ich machte nur gerade einen Ueberschlag, wie viel mir die beiden großen Schnitzereien zusammen mit der geätzten Platte für den Truhendeckel bringen werden.

„Nach Rechnen sah es nicht aus,“ sagte Frau Wasenius argwöhnisch.

„Aber, Herzblatt! Wonach soll es denn aussehen?“

Das Freiligrathhaus in Aßmannshausen.
Nach der Natur gezeichnet von N. v. Astudin.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 565. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_565.jpg&oldid=- (Version vom 10.12.2016)