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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

seinen Insassinnen, der Siebenbürgener Prinzessin Ildeglante von Sternau und den ihr ergebenen sieben Genossinnen (Alrune, Brunhilde, Sirene, Viviane, Russalla, Herodias, Circe), den Ausgangspunkt der folgenden modern romantischen Nachtfahrten Brands bildet. Alrune, Brands Geliebte, gehört also auch in den geheimnisreichen Kreis dieser sieben Schloßdamen.

Zunächst fährt Brand, gastlich willkommen geheißen, mit Alrune unter den Bodensee wo alle, welche je in ihm ertranken und nun den ewigen Schlaf schlafen, plötzlich beim Scheine von Alrunes Zauberlampe erwachen aus ihren Gräbern, eingehüllt in graugrünen Seeschlamm, richten sie sich auf und folgen dem Zauber des Lichtes. Meisterhaft geradezu ist das grausige Kolorit und die poetische Kraft zu nennen, mit denen dies düster phantastische Stelldichein der Toten, die sich hierbei abspielenden grandiosen Anklagescenen des Richters, des Priesters usw. durchgeführt sind. Zum Schluß führt Alrunes Vater unsern Helden vorüber an geisterhaften Höhlen, wo Riesen an der Unheilschmiede der Menschheit Haß und Unglück bereiten!

Im folgenden läßt Brunhild auf ihren Fahrten gewaltige Geschichtsscenen, von der Völkerwanderung an bis Mars-la-Tour an ihrem jungen Begleiter vorüberziehen, Sirene macht in einer Nacht mit ihm eine Erdumseglung, Russalka führt ihn in die Slavenwelt. Schließlich muß Brand Seerieden verlassen, er begiebt sich nach Interlaken.

Bei seiner Jungfraubesteigung wird er mit dem Helden des zweiten Teils, Osmond Fernher, bekannt, der, vom Saturn verbannt, durch das ganze Weltall geeilt ist, um seine ebenfalls von seinem Heimatstern verbannte Geliebte zu suchen. Die ausführliche Erzählung der Erlebnisse Fernhers auf dieser Weltwanderung füllt die nächsten Gesänge. Auf einem paradiesisch schönen, aber verlassenen Sterne findet Fernher an einer Felswand folgende Inschrift.

„O Wanderer, der du einst in späten Tagen
Hier rasten wirst an diesem schwarzen Stein.
Laß dir von einem großen Glücke sagen,
Das heller war als aller Sonnen Schein!
Wir lebten hier durch ungezählte Jahre
In reiner, heiterer Gottähnlichkeit,
Doch dieses Glück, das große, götterklare,
War uns zu schön, wir sehnten uns nach Leid!
So sind wir denn von diesem Stern geschieden
Der uns nur Glück und reine Wonnen bot;
Wir lassen ihn und seinen Himmelsfrieden
Wir wollten Schmerzen suchen, Leid und Not!
Und wenn du Seelen findest, welche klagen
Nur hartes Schicksal, Wand’rer, tröste sie.
Das größte Leid des Daseins ist zu tragen,
Ein schattenloses Glück erträgst du nie!“ –

Als Fernher mit seinen Erzählungen geendet, kommt Brand auf den Gedanken, jene Prinzessin Ildeglante in Seerieden könne seines neuen Freundes verbannte Geliebte sein. Seine Ahnung wird Wahrheit! Die schöne Schloßherrin umarmt, nachdem Brand mit Fernher nach Seerieden geeilt, den, der beim Verlassen des Saturn den Ruf vernommen hatte:

„Nur dem, der durch neun Welten fuhr
Und seiner Liebe nicht vergaß,
Dem Edlen, dem Getreuen nur
Wird alles Glück in reichstem Maß!
Was er in Tod und Leid verloren,
Es wird ihm alles neu geboren!“

Beide eilen zurück zum fernen, fernen Vaterland. Von unserem Brand löscht Alrune durch einen Kuß die Erinnerung an all das, was jener in Seerieden erlebt – erträumt hat! Langsam und feierlich versinkt das Schloß. Von Brand heißt es – und damit schließt das Werk –:

„Der Arzt erwachte wie aus tiefem Sinnen
Und trieb sein Schifflein rasch von hinnen.
Mit leiser Stimme sprach er dann
,Wie die Erinn’rung trügen kann!
Mir war, als hätte ich hier was erlebt,
Was traumgleich mir durch meine Seele schwebt,
Mir war, als hätte mich etwas gemahnt
An eine Welt, die keine Seele ahnt,
Als wären Boten aus entlegenen Fernen
Zu mir gekommen, Boten von den Sternen.
Laßt ab, Gedanken, euch mit solchen Fragen
Nach einem unerforschlichen zu plagen!
Ein Heimweh giebt es offenbar
Nach einem Dasein, das einst war
Und wieder sein wird. Wenn es uns befällt,
Vergessen wir ganz dieser Welt.
Und will man mich ob dieser Träume tadeln.
Ich weiß doch, wie sie die Gedanken adeln.
Was dieses Leben auch versprach
Und hielte – das Größ're kommt noch nach!“ –

Felix Dahn sagt, in den „Verbannten“ liege eine ganz gewaltige Fülle von Poesie und Stellen von hinreißender Schönheit fänden sich in ihnen, ihr Verfasser sei „zweifellos ein echter Dichter von Gottes Gnaden“. Auch wir stehen unter diesem Eindruck. Leider ist es in den sechs Jahren seit Erscheinen der „Verbannten“ für den Verleger des Werks noch nicht notwendig geworden, eine zweite Auflage in die Welt zu senden. Beim „Ewigen Juden“ war dies der Fall. Haushofers poetische Werke erfahren eben wie diejenigen manch anderer von der Mode unabhängigen Dichter, die Ungunst einer von realistischen Geschmacksrichtungen beherrschten Zeit. Möge diese kurze Würdigung das ihrige zur Verbreitung des Namens und der Werke Max Haushofers beitragen! Wenn einer, so verdient er die Anerkennung zu ernten, welche der beste Lohn des schaffenden Künstlers ist!


Die Hexe von Glaustädt.
Roman von Ernst Eckstein.

(15. Fortsetzung.)

Als Hildegard Leuthold am Morgen des Hinrichtungstages nach einem langen, tiefen Schlummer erwachte, fühlte sie sich wunderbar gestählt und gefestigt. Die erste Empfindung, die ihr die aufatmende Brust schwellte, war heiliges Mitleid mit dem verblendeten Zeitalter, das solche Grausamkeiten ermöglichte, mit der armen, gequälten Menschheit, die sich selber in ihrem gräßlichen Irrwahn zerfleischte, ja, selbst mit den Richtern und Malefikantenverfolgern, in deren Gemütern es bei all diesen Greueln aussehen mußte wie im Abgrund der Hölle. „Gott, vergieb ihnen,“ flehte sie mit den Worten des Heilands, „denn sie wissen nicht, was sie thun!“ Und plötzlich ergriff sie ein lichtes Ahnen, daß mit dem heutigen Tag alles zu Ende sei …

Es war um die achte Morgenstunde, als ihre Zelle sich öffnete. Der Kerkermeister verkündete ihr, daß sie sich für den Nachmittag halb Vier bereit halten solle. Sie hörte das, ohne sonderlich zu erschrecken. Sie entsann sich jetzt ihres Traums … Die liebe Mutter hatte ihr ja die Hand auf die Stirn gelegt und ihr zugeflüstert. Das ist die letzte Nacht!

Kurz darauf erschien der Stadtpfarrer Melchers. Er war im vollen Ornat, bleich und düster wie je. Als er die Schwelle beschritt, zuckte es ihm über das schöne, ernste Gesicht, als wollte er stürmisch in Thränen ausbrechen. Aber er faßte sich. „Hildegard“, sagte er schwermutsvoll, „das ist ein trauriges Wiedersehen!“

„Mein ehrwürdiger Freund,“ flüsterte sie mit großleuchtenden Augen, „glaubt Ihr an meine Schuld?“

„Ich glaube,“ versetzte der Priester, die Hände faltend, „daß wir allzumal Sünder sind und des Ruhms ermangeln, den wir vor Gott haben sollten. Du, meine Tochter siehst nicht aus wie eine, die schwerer gefehlt hätte als die meisten von uns. Aber das Tribunal hat gesprochen. Mir, als dem Diener des Heilands, steht es nicht zu, dies Verdikt zu bemängeln. Ich komme, dir den Trost unsrer heiligen Kirche zu spenden. Draußen wartet Sidonius, mein Küster, mit dem Sakrament. Willst du mit deinem Schöpfer dich aussöhnen? Willst du beichten und dann gestärkt im Glauben zum Tische des Herrn gehen?“

„Das will ich!“ schluchzte sie leise. Nun kniete sie nieder und betete lange und inbrünstig. Der Geistliche hielt unterdes mit bebenden Lippen die Hand auf ihr gebeugtes Haupt, als ob er sie segne. Durch die fußbreite Luke unter der Zellendecke glitt ein verlorner Sonnenstrahl über sein Antlitz und umströmte ihn mit sanft leuchtender Glorie. Als Hildegard aufsah, wirkte das auf ihr bedrücktes Herz wie ein himmlisches Wunder.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 587. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_587.jpg&oldid=- (Version vom 10.12.2016)