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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

durchzieht, abermals auf dem Schloßplatz Halt macht und hier nach Ablieferung der Lanzen sich auflöst. Nun eilt alles den Vergnügungsorten zu, um sich bis zum frühen Morgen der Lust, dem Tanz, der Geselligkeit hinzugeben.

Alsen ist, wie das felsig emporsteigende Helgoland in der Nordsee, ein mit paradiesisch hingelagerten Ufern abgesondertes reizvolles Inselland in den Fluten der Ostsee.

Auch hier wohnt ein Geschlecht, das seine Eigenart sich bewahrt hat, das die Heimat mit allen Fasern der Seele liebt, das stolz ist auf seinen Boden, auf seine Fluren, das festhält an seinen heimatlichen Sitten, Gebräuchen und Gewohnheiten, das nichts Herrlicheres kennt als seine von der salzigen Woge umspülte Inselheimat. Und das durch diese Heimatliebe und diesen Heimatstolz sich immer wieder erstarkende Gefühl unzerreißbarer Zusammengehörigkeit eines urkräftigen, edlen, unabhängigen und doch überaus gesetzlichen Geschlechts ist es, was seine Mitglieder hier jedes Jahr aus dem gesamten Alsen-Sundewitter Kreise zusammenströmen läßt.

Wie in den griechischen Zeiten die Völker zu den korinthischen Spielen eilten, so schart sich in Sonderburg bei dieser Gelegenheit die Bevölkerung zusammen. Der Parteihaß ruht. Der Däne legt neben dem Deutschen die Lanze ein und tummelt sein Pferd.

An dem Wettkampf hat die Politik keinen Teil. Und gerade deshalb hat auch dieses Sonderburger Fest eine gewisse nationale Bedeutung.

Am folgenden Tage benutzte ich noch die Gelegenheit, mir einen Teil der Insel anzusehen. Ich fuhr durch einen blühenden Garten, ich fuhr durch ein kleines Paradies. Ich sah das weiße Gemäuer des Augustenburger Schlosses, das aus einem schöngepflegten Gartenvorpark sich erhebende weißschimmernde Prinzessinnen-Palais, durchstreifte den entzückenden Parkforst, weilte an den Ufern des Wassers, das ihn gleichsam zärtlich umsäumt, ließ in Höruphaff das Auge über das silbern schimmernde Meer schweifen und kehrte zurück in die anmutige Stadt mit ihren rührigen und liebenswürdig zuvorkommenden Einwohnern.

Und als ich am andern Morgen wieder auf dem Verdeck des Dampfschiffes stand, da schied ich mit Gefühlen heißer Sehnsucht nach Wiederkehr. Wer sich einmal gut thun will, abstreifen was ihn beengt und belastet, wer Geist und Körper stärken will, der bade hier in der wunderherrlichen Luft und in der erfrischenden Ostseeflut. Er gesundet unter den grünen nordischen Buchen, in denen ein vergnügtes Vogelvolk zwitschert, dessen Brust in diesem stillen Inselfrieden nur von dem Vollglück seligen Daseins durchdrungen scheint.


Die Hexe von Glaustädt.
Roman von Ernst Eckstein.

(16. Fortsetzung.)

Gleich nach dem Ansturm des Doktor Ambrosius und seiner Schar, und während diese auf die Blutrichter eindrangen, erhob sich auch unter dem Volk, das den Richtplatz umstand, unerwarteter Lärm und wildes Getümmel. Jansen, der cholerische Buchdrucker, der selbst in gewöhnlichen Zeitläufen aussah, als sollte ihn augenblicklich der Schlag rühren, hatte hier geröteten Angesichts mit zahlreichen Gesinnungsgenossen Posto gefaßt. Der Hauptmann Fridolin Geißmar, der kleine hohlwangige Maler und Reißer Kunz Noll und andere Verschworene kommandierten hier ihre Getreuen, die sämtlich mit Dolchmessern oder Pistolen versehen waren. Jetzt, wie die handfeste Schar da unter Ambrosius herankam, warfen sich diese Aufrührer mit überlegener Macht rechts und links auf die Stadtsoldaten. Im Augenblick waren die überrumpelten Schergen entwaffnet. Die Speere erwiesen sich bei diesem Nahkampf wirkungslos. Der letzte der drei Soldaten, die Zeit gefunden, das kurze Schwert zu ziehen, ergab sich fluchend, als Doktor Ambrosius ihm die schwarzgähnende Mündung seiner Pistole unter die Augen hielt. – Bis auf einige Schrammen und eine kaum gefährliche Armwunde Fridolin Geißmars hatte der Sieg kein Blut gekostet.

Die Malefikantenrichter, die vor Schreck und Verblüfftheit unfähig waren, auch nur einen Finger zu rühren, wurden sofort in Haft genommen. Je augenscheinlicher die Rebellion triumphierte, um so rascher mehrten sich ihre Anhänger. Fast die gesamte männliche Jugend ergriff mit lauthallenden Zurufen Partei für Doktor Ambrosius, der jetzt glückstrahlend zu Hildegard Leuthold herantrat und die Taumelnde in seinen starken Armen liebevoll auffing. Die Armesünderpferde wurden im Nu abgedrängt und der Schandkarren umgestürzt, so daß seine Räder hilflos zum Himmel aufstarrten wie die vier Pranken eines verendeten Untiers. Den Henker trieb man mit Stockschlägen querfeldein und verhöhnte ihn weidlich. Seine Gehilfen hatten beim ersten Ausbruch der Feindseligkeiten sofort Reißaus genommen.

„Um Gott, was beginnt Ihr?“ stammelte in tiefster Erregung der Stadtpfarrer Melchers, auf Doktor Ambrosius zuschreitend.

„Was ich mußte, mein hochwürdigster Herr! Man hat mir die Waffe hier mit Gewalt in die Hand gezwängt, und nicht eher will ich sie niederlegen, als bis unser Glaustädt ein für allemal von den Bluthunden befreit ist.“

Dann zu Hildegard.

„O du armes gequältes Lieb! Nun aber bist du erlöst!“ Sie hatte bisher dem Kampf starr zugesehen. Auch jetzt noch schien sie zu fürchten, dieser tollkühne Angriff möchte zum Unheil ausschlagen. Ihr Verlobter aber drückte sie heiß ans Herz und sprach ihr in rasch geflüsterten Worten Mut ein.

„Hörst du, wie sie dort überall Sturm läuten? Sie wissen jetzt, daß unser Anschlag hier draußen geglückt ist. Sieh das weiße Tuch da im Wipfel der Edeltanne – unser vereinbartes Zeichen! Die Antwort von drüben wird, so Gott will, nicht ausbleiben.

Nun stieg Doktor Ambrosius auf den gestürzten Schandkarren, wie der Ritter St. Georg auf den Schuppenleib des getöteten Drachens. Mit lauter Stimme rief er dem Volk zu, was er jetzt eben zu Hildegard Leuthold gesagt hatte, daß die Verschwörung im Innern der Stadt mit dem erfolgreichen Ueberfall hier auf dem Böhlauer Trieb Hand in Hand gehe. Dann fuhr er mit hinreißender Eindringlichkeit fort:

„Mitbürger! Die Herrschaft des Blutgerichts hat ihr Ende erreicht! Glaustädt soll in Zukunft nicht mehr unter dem Joch dieser Buben zittern, die sich mit Folter und Henkerbeil in eure Familien gedrängt und dies einst so lebenslustige, reiche Gemeinwesen an den Rand der Verzweiflung gebracht haben. Unser Aufstand ist von langer Hand vorbereitet. Mein Freund Woldemar Eimbeck hat wohl in dieser Minute schon das Rathaus besetzt und die armseligen Ratsherren, die dem Blutgericht günstig waren, jeden für sich daheim in der Wohnung festnehmen lassen. Das Gleiche geschieht mit dem landgräflichen Kommissarius und etlichen hohen Verwaltungsbeamten. Ueber zweihundert Mann werfen sich auf die Stadtwache; ein Teil der Soldaten ist schon längst für uns gewonnen. Sollte sich noch hier oder da ein unerwartetes Hemmnis ergeben, so rechnet Glaustädt auf eure Hilfe! Wenn ihr eure Vaterstadt liebt, so schart euch todesmutig zu uns! Gelobt euch, ihre Freiheit und ihr Recht zu verteidigen bis auf den letzten Blutstropfen!“

„Hurra!“ brauste es durch die Masse. „Ja, das geloben wir! Gott ist Zeuge! Es lebe die Vaterstadt! Es lebe Doktor Ambrosius!“

„Ich danke euch, Mitbürger! Selbst der Landgraf soll nicht befugt sein, diese Freiheit und dieses Recht anzutasten. Als gute Deutsche wehren wir uns straff gegen jedermann, und trüge er gleich ein halbes Dutzend Kronen zu Lehen. Glaustädt wendet sich nötigenfalls an den Kaiser! Und wir haben da einen gar mächtigen Fürsprecher, den Fürsten Maximilian von Dernburg, der nicht zugeben will, daß eine ehemalige Freie Reichsstadt zu gunsten etlicher fanatischer Wucherer und Schachergesellen vernichtet werde. Und Wucherer und Schachergesellen sind sie, diese

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 607. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_607.jpg&oldid=- (Version vom 10.12.2016)