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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

sich eben deshalb in seiner Hoffnung bestärkt, daß die endlich hier eingetretene Krisis zu einem günstigen Ausgange führen werde. Der Magister hatte ihn klar erkannt und war sich der ganzen Situation augenscheinlich bewußt. Nun galt es, dem Gramgebeugten die erlösende Wahrheit beizubringen und ihm so den Frieden des Herzens wiederzugeben.

Der geradeste Weg war hier vielleicht der beste.

„Bei meiner Ehre und Seligkeit,“ sagte Doktor Ambrosius, „Eure Hildegard lebt! Und mehr noch: sie ist befreit!“

Herr Leuthold starrte ihn wie gelähmt an.

„Zweifelt nicht!“ fuhr der Arzt fort. „Sie weilt hier sogar im Hause. Wollt Ihr sie sehen?“

Und da schlüpfte sie auch schon durch die Thüre des Krankenzimmers, schlank und lieblich wie einst, das gekürzte Haar mit einem turbanartig geschürzten Tuch überdeckt, die Wangen vor heiliger Freude gerötet, so daß man ihr kaum noch ansah, was sie in diesen letzten Tagen erduldet hatte. Sie war den Zweien sofort nachgeschlichen, hatte gelauscht und mit unsagbarem Jubel gehört, daß der verehrungswürdige Dulder da drinnen bei vollem Bewußtsein war.

„Vater!“ sprach sie mit ihrer weichen, goldklaren Stimme. „Herzlieber Vater!“ Im nächsten Moment lag sie kniend vor seiner Bettstatt und küßte ihm zärtlich die welken Finger.

Ueber das Antlitz des alten Herrn flog ein glückseliges Lächeln. Dann umflorten sich seine Blicke. Er sank ohnmächtig in die Kissen zurück.

„Fürchtet nichts!“ sagte Doktor Ambrosius. „Diese Anwandlung wird vorübergehen. Er ist furchtbar erschöpft aber so Gott will, erholt er sich, ehe der Mond sich rundet. Jetzt jedoch zu dir, mein Liebling! Auch du bedarfst dringend der Ruhe! Geh nun und laß dich zu Bett bringen! Versuche zu schlafen!“

„Ich kann nicht schlafen,“ versetzte Hildegard. „Aber wenn du’s erlaubst, will ich mich drüben im Wohnzimmer auf die gepolsterte Bank strecken und ohne mich zu bewegen dir zuhören … Nicht wahr, mein Freund, ein kurzes Stündchen noch leistest du mir Gesellschaft? Und du erzählst mir, wie das alles gekommen ist.

Da jetzt Gertrud voranschritt, legte Hildegard zärtlich die Stirn an Gustavs Schulter. „Du mein Alles, mein Glück, mein Befreier!“ klang es von ihren Lippen.

Ein langer, inbrünstiger Kuß war die Antwort.

Und als sich Hildegard dann auf die gepolsterte Bank niedergelegt und ihren turbanumwundenen Kopf mit einem widerstandsfähigen Rundkissen gestützt hatte, ließ sie sich von Doktor Ambrosius erzählen, wie alles gekommen. Die Umsicht und Thatkraft, mit der das Rettungswerk schier über Nacht in Scene gesetzt worden, flößte ihr unbeschreibliche Bewunderung ein. Das Schicksal der toten Elma entlockte ihr eine Flut von Thränen.

„Und nun – leb’ wohl!“ rief Doktor Ambrosius aufspringend. „Noch darf ich die Hände nicht in den Schoß legen. Es giebt mancherlei Arbeit – und vielleicht einen Kampf!“

„Das verhüte der Himmel!“

„Sei du nur unbesorgt! Dich, mein Herz, bring’ ich in Sicherheit, eh’ noch das erste Gewölk aufzieht. Und so schnell wird’s ja nicht loswettern!“

(Schluß folgt.) 0


Blätter und Blüten.

Die Kriegergräber bei Metz. Ein herrlicher Sommertag ist es. Wir stehen auf dem Plateau des Gedenkturmes von Gravelotte und schauen nieder auf die sich vor uns breitenden, in tiefer Ruhe daliegenden Schlachtfelder des 16. und 18. August. „Also hier war es,“ beginnt mit leiser gedrückter Stimme, überwältigt von den über sie hereinstürmenden Eindrücken des Augenblickes, meine Frau, und ihre zitternden Finger umschließen fester meine Hand, „hier war es, wo du zum erstenmal dem Tode gegenüberstandest?“ „Ja, an jenem Grabenrande muß es gewesen sein, wo ich damals den Schuß bekam und für tot, mit dem letzten Gedanken an dich, mein blutjunges Weib, hinter jenen breiten großen Stein sank, der mir bis dahin eine so treffliche sichere Deckung geboten hatte gegen die wie Bienenschwärme einherschwirrenden Kugeln der Rothosen; und hier, an jenem Gebüsch, wo jetzt das große Steinkreuz zu uns herüberschaut, da muß der freundliche Feldscher mich wieder zum Leben erweckt haben, zum frischen, fröhlichen Kriegerleben, denn jene Zuavenkugel hatte mich ja nur die Helmspitze gekostet und der Ruck der Schuppenkette unterm Kinn mir nur vorübergehend Atem und Besinnung genommen.

Wie die Zeit dahingeht – 27 Jahre – fast wie ein Traum ist es nur, daß wir beide, vereint, jetzt auf dem friedlich lachenden Gefilde einhergehen, wo damals der Tod seine überreiche gräßliche Ernte einheimste. Nur die ernsten Kreuze dort, die stillen grünhügeligen Schlummerstätten der Tausende von kräftigen blühenden mutigen Menschen – sie reden von jenen blutigen, schrecklichen Tagen. Wie schön und liebevoll sind diese Gräber gepflegt und geschmückt! Das ist zum großen Teil das Verdienst der ,Vereinigung zur Schmückung der Kriegergräber bei Metz’, welche in unermüdlicher Weise ihres Amtes waltet. Aus ihrem Bericht erzähle ich meiner ganz still gewordenen Frau, daß hier die Gebeine von über 10 000 deutschen und fast ebenso vielen französischen Helden modern. Jene 76 Denkmäler, die sich neben 422 Denksteinen und 1981 Grabkreuzen über das Blachfeld verstreut, sind die Ehrenzeichen für die Unvergessenen. Aber neben den 1485 Hügeln, unter denen man die Gefallenen bestattete, erheben sich noch 994 Gräber, von denen man nicht genau weiß, ob Feind oder Freund in ihnen zum ewigen Schlaf gebettet liegt, und doch zählen die darin Begrabenen wieder nach Tausenden!

Oft ruhen Deutsche und Franzosen friedlich in einem Grabe nebeneinander, so, nach einer darauf befindliche Inschrift, in dem großen Massengrabe Nr. 1–3 bei Vionville 2000–3000 Deutsche und Franzosen. Auf diesem größten Grabe des Metzer Schlachtfeldes soll demnächst durch die „Vereinigung zur Schmückung der Kriegergräber bei Metz“ ein steinernes Denkmal errichtet werden, für andere größere Massengräber wird ein Gleiches kommenden Jahren vorbehalten.

Auch sonst regt sich noch vielerwärts das Interesse für die gefallenen Kameraden. So errichteten die Veteranen des Rheinischen Jägerbataillons Nr. 8 jetzt am Saume der Schlucht von Gravelotte ein schönes Denkmal. Mitten im Waldesgrün steht auf hohem Unterbau die 3 m hohe Bronzefigur eines „achten“ Jägers, mit der Hand nach dem nahen Pachthof St. Hubert zeigend. Zu seinen Füßen im Grunde der Schlucht liegt, friedlich gebettet, ein Jägergrab. In diesem Waldthale ist es, wo alljährlich am 15. August die Gedenkfeier für die Gefallenen abgehalten wird.

Im Oktober d. J. wollen ferner ehemalige Krieger des 8. Westfälischen Infanterieregiments Nr. 57 ein Regimentsdenkmal bei Vionville einweihen, weitere Denkmäler werden im Jahre 1900 von ehemaligen Angehörigen des 3. Garderegiments zu Fuß bei St. Privat und von alten Kameraden des 3. Ostpreußischen Grenadierregiments Nr. 4 bei Lauvallières (Colombey) errichtet werden.

Im Jahre 1900 werden wohl nochmals wie an den 25jährigen Gedenktagen Tausende von Veteranen die zahllosen Grabsteine ihrer gefallenen Kameraden besuchen. Nach der Entschließung des Kaisers sollen alle Kriegergräber auch fernerhin erhalten bleiben und Aufhebungen und Zusammenlegungen, wie sie vor mehreren Jahren begonnen wurden, nicht mehr stattfinden. Die „Vereinigung zur Schmückung der Kriegergräber“ findet so auch in Zukunft ein reiches Feld der Thätigkeit. Alle die genannten 2479 Grabstellen werden im August jeden Jahres mit neuem Schmuck versehen. Keins der in 104 verschiedenen Gemarkungen oft weit versteckt in Wald und Feld gelegenen Gräber bleibt vergessen, und Freund und Feind werden bei dieser schönen Aufgabe gleich liebevoll bedacht. Aus allen Gauen Deutschlands fließen noch immer Gaben für dieses Werk der Dankbarkeit, das allen Vaterlandsfreunden zur Unterstützung warm empfohlen sei.

„Und wohin sind die Gaben zu richten?“ fragt meine Frau.

„Auch hierüber giebt der Bericht Auskunft. Kranzspenden möge man an den Vorsitzenden der Vereinigung, Herrn Fischer in Metz, Geldspenden an den Schatzmeister derselben, Herrn Jonas in Metz, senden. Für jeden Geldbeitrag erfolgt dankbar Quittung durch Brief und öffentlich durch den Jahresbericht, welcher umsonst an die Spender verteilt wird und außerdem gegen Einsendung von 50 Pfennig vom Vorstand der erwähnten Vereinigung bezogen werden kann.“

Daß meine Frau, nach Hause zurückgekehrt, einen tüchtigen Griff in ihre Sparkasse that und bald einen Geldbrief nach Metz absandte, habe ich, obwohl es in aller Stille geschah, wohl bemerkt und mich herzlich darüber gefreut.

Unterstand. (Zu dem Bilde S. 600 und 601.) Ein Wetter, schon auf halber Höhe des Aufstiegs zum „Kellerjoch“, den nach langem Zaudern und Ueberlegen endlich heute die Mutigen der Fremdenpension unternahmen – unbegreiflich, unerlaubt nach dem Barometerstand von gestern Abend! Die Wetterkundigen der Gesellschaft, der Herr Professor und der englische Reverend, waren einig über die vorzügliche Aussicht nach längerer Regenzeit, man brach um fünf Uhr morgens drunten im Zillerthal auf, die Damen stiegen ausgezeichnet, es herrschte eitel Lust und Freudigkeit über die herrliche Partie. Aber um acht Uhr schon – o weh! – kamen die bekannten Vorboten: der starke Südwind, die Tintenbläue der Berge, die rasch aufschießenden „Windbäume“ am Himmel. Und nun: dunkles Grau überall, Blitze und rollender Donner! Man muß noch Gott danken für den trockenen Unterstand in der Almhütte hier, den sich auch andere Bergkraxler, Holzknechte, Jäger und Boten zu nutze machten, welche breit und bequem ihren Platz am Tisch behaupteten und mit einem gewissen humoristischen Behagen das mißgestimmte „Stadtvolk“ an der Thür dort betrachten. Der Sennerin pressiert es nicht mit dem Kaffeekochen, sie überläßt das ruhig dem Führer, der ihr alle die „Herrischen“ da hereinbrachte; sie ist noch weit

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 611. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_611.jpg&oldid=- (Version vom 5.7.2023)