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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Aus der weitgeöffneten Flügelthür, aus dem im Dämmerlicht schwimmenden, behaglich eleganten Salon schob Hanna den Stuhl mit der Mutter über die Schwelle und in die Lücke zwischen die beiden Sitze.

Ein erfrischendes Morgenlüftchen, Rosenduft auf den Flügeln, kam aus dem Garten dahergeweht, mitten durch den aufsteigenden, schimmernden Strahl des großen Springbrunnens, und hob die weichen kleinen Locken auf Hannas Stirn. Die Sonne brannte noch nicht heiß, strahlte nur golden und spielte in funkelnden Lichtern auf Bäumen, Büschen, Blumen und Gras.

„Köstlich,“ sagte Frau Wasenius nach einem tiefen Atemzug und mit einem Blick in den herrlichen Garten hinein. „Ein schöner Morgen, wie er im Buch steht.“

„Ja, und ein braves Mutterchen dazu, das gut geschlafen hat.“ Hanna beugte sich zärtlich zu ihr herab. „Das beides zusammen lob’ ich mir. Du siehst heute wirklich viel besser aus, mein Engel. Was so eine schöne, ruhige Nacht doch thut. Die Tage her war ich recht unzufrieden mit dir. Weißt du das auch?“

„Freilich weiß ich’s, brauchte ja nur dein Gesicht anzusehen,“ antwortete die Mutter lächelnd. „Aber wie anspruchsvoll du auch bist. Alles soll jetzt im Galopp gehen. In ein paar Wochen soll ich die Versäumnisse von Jahren eingeholt haben. Laß mir doch Zeit, ungeduldiges Kind. Bedenke, daß die Uebersiedlung und was damit zusammenhing, für mich etwas Aehnliches bedeutete wie ein Krankheitsprozeß, der erst verwunden werden mußte. Oder, wenn dir das zu gewaltthätig klingt, eine Anstrengung, eine Erschütterung, ganz gewiß nichts Gleichgültiges. In meiner Verfassung darf man wohl eine Weile brauchen, um sich an etwas Neues zu gewöhnen. Erst von da an ist zu erwarten, daß die Erholung einsetzt. Drei Wochen sind am Ende noch keine Ewigkeit, sollte ich meinen.“

„Nein,“ sagte Hanna leise, „eine Ewigkeit sind sie nicht. Aber viele Stunden.“ Sie stand noch neben der Mutter, wieder aufrecht, den Arm auf die Rücklehne des Rollstuhles gestützt, den Kopf etwas geneigt. „Ich bin ungeduldig. Ja, in dieser Sache bin ich’s. Wort wider Wort. Es soll mir sein Versprechen halten. Ich warte darauf, Tag um Tag, Stunde um Stunde.“

„Wer soll dir sein Versprechen halten?“ fragte Frau Wasenius verwundert. Sie lehnte den Kopf zurück, um das Gesicht der Tochter zu sehen.

Von den finster gerunzelten Brauen, von den gesenkten, leise zitternden Augenlidern ward sie aber nichts mehr gewahr, so schnell hatten sich die einen geglättet, die andern gehoben.

„Es, Es, Mutterchen.“ Hanna beugte sich lächelnd wieder tiefer zu ihr herab. „Es hat keinen Namen. Oder nur einen breiten, pathetischen, der nach Wunder was klingt. Das Schicksal! Sieh’ nicht so nachdenklich aus. Ich hab’ nur Spaß gemacht. Aus Freude, weil du endlich anfängst, brav zu werden.“

Sie zog die Uhr heraus. „So. Gleich wird unser Gestrenger erscheinen. Ich kann schon klingeln.“

Sie drückte auf den Knopf der elektrischen Glocke an der Wand neben dem Fenster. Ludwig stand später auf als sie. Oder vielmehr sie erhob sich leise, leise, um ihn nicht zu stören, eine gute Stunde früher, als seine gewohnte Zeit war. Der geliebten Pflicht, die Mutter anzukleiden, wollte sie sich nicht entziehen, und er hatte sich nach einigen Einwendungen „vorläufig“ diesem Wunsch seiner jungen Frau gefügt.

Sie ging nun, bis der Diener mit dem Frühstück und den Zeitungen kam, mit ihrer Gießkanne an den Blumen entlang, die auf der Balustrade standen.

„Die rührende Malve hat doch noch wieder drei neue Blüten bekommen,“ rief sie über die Achsel zur Mutter zurück. „Und sieh nur, die Clivia! Die kann ihre Zeit nicht erwarten. Jetzt ist sie ganz geöffnet. Diese Pracht! Eins, zwei – – nein wirklich, zwölf einzelne Blumen! Kannst du sie von da aus gut sehen?“

„Ja, ich kann sie sehen.“

Der Blick der Mutter ging aber von der bunten, duftenden Herrlichkeit alsbald wieder zu der Tochter zurück. In dem weißen, schmiegsamen Hauskleid, das eine feine goldene Schnur um die Taille schloß, mit den lang niederhängenden, schweren Zöpfen, die sich unten zu Locken kräuselten … auf Ludwigs ausdrücklichen Wunsch ihre Morgenfrisur – stand sie mädchenhaft liebreizend da. Das Gesicht, den Blumen zugekehrt, für die zärtlich sorgenvollen Augen der Mutter nicht erreichbar.

Es blieb auch zum Beobachten keine Zeit mehr. Denn fast im gleichen Augenblick kam von drinnen her der Hausherr und vom Garten, aus der nahebei die im Souterrain gelegene Küche mündete, der Diener mit seiner großen Platte. Während er von einem Kredenztischchen aus die verschiedenen Sachen auftrug – den Kaffee, die Butter auf Eis, die weichen Eier, den Schinken, die frisch gerösteten englischen Brotscheibchen – trat Ludwig heran und begrüßte seine Schwiegermutter mit Handkuß und Erkundigungsfrage.

„Gute Nacht gehabt, Mama?“

„Prächtig, ausgezeichnet,“ kam die Antwort, noch gehobener als eine Stunde zuvor, und in dem offenbaren Bestreben, einen guten Eindruck zu machen. „Ich habe einfach durchgeschlafen und fühle mich heute so frisch und gesund, als wenn ich ein anderer Mensch wäre.“

„Na, siehst du wohl, das ist ja famos. Da wird ja auch hier mein kleines Ehegespons ein anderes Gesicht kriegen was? Und ganz zu Hanna gewendet, mit dem unterdrückten Ton verhaltener Zärtlichkeit. „Tag – du!“

Seine flammenden, zehrenden Blicke gingen an ihr auf und ab.

Furchtbar verliebt, fand August, der trotz der respektvoll unbeweglichen Miene des gutgeschulten Dieners alles bemerkte und kritisierte, was vorging.

Hanna nickte ihrem Mann freundlich zu. Sie hatte sich schon gleich an ihren Platz gesetzt und drehte eben den Hahn der Wiener Kaffeemaschine auf, um seine Tasse zu füllen. Er hielt aber ihre Hand fest, so daß das braune, dampfende Brünnlein wieder versiegte. Und dann, ohne Rücksicht auf die Anwesenheit des Dieners, der sich nun schnell mit einem leisen Lächeln auf seinem Diplomatengesicht entfernte, drückte er sie tief in ihren Sessel zurück und „nagelte“ sie mit dem Kuß an der Lehne fest, wie August brühwarm in der Küche berichtete.

Sie rührte sich nicht, sie griff nur nach den Bambusstäben der Seitenlehnen und umklammerte sie fein. Wie mit Glut übergossen, richtete sie sich endlich nach Empfang dieses Morgengrußes schweigend wieder auf. Ein unsicherer Blick streifte die Mutter, die aber, ganz abwesend, in eine Zeitung vertieft schien.

„Wieder ein kleiner Eisenbahnunfall,“ sagte sie, aufschauend und das Blatt zusammenfaltend, als nun Ludwig um den Tisch herum an seinen Platz ging. „Zum Glück ohne Menschenverluste. Die Zeitung möchte ich sehen, die man aufmacht, ohne auf eine solche Nachricht zu treffen!“

„Mach sie nicht auf, Mama,“ riet Thomas lachend. „Was ich nicht weiß, macht mir nicht heiß. Denk’ lieber daran, dich zu pflegen und uns durch rasch zunehmende Besserung zu erfreuen. Danke!“

Er nahm die gefüllte Tasse aus Hannas Hand. Während er sich mit Fleisch und Eiern versorgte, nickte er seiner Frau zu.

„Iß, Piepmatz! Wie lange wird’s noch dauern, bis ich dich zu einem vernünftigen Frühstück bekehrt habe? Die eine Tasse Kaffee und das Buttersemmelchen – lächerlich! Deine Mama ist verständiger als du.

„Die hat’s auch nötiger,“ antwortete Hanna freundlich. Dann wandte sie sich ihr zu. „Hier, mein Engel, Butter! Hast du Salz? Neben dir steht es. Du mußt dir viel Butter zu den Eiern nehmen, hörst du? Das ist gut. Ich mache dir derweilen dein Brötchen zurecht. Wenn ich den Schinken ganz fein schneide, dann geht mehr hinaufzupacken als bei so einer dummen Scheibe. Vergiß auch deinen Kaffee nicht.“

„Kind, du nudelst mich ja förmlich. Ich bin doch keine Gans.“

„Mein Mutterchen! Es werden ja nicht nur Gänse genudelt. Schmeckt es dir denn?“

„Sehr. Heute so wie noch nie. So wohl, wie ich mich aber heute auch fühle!“

Hanna griff strahlend nach der Hand der Mutter und küßte sie.

„Du Einziges! Wie glücklich bin ich! Und über den Tisch, zu ihrem Mann: „Sind dir die Eier heute recht. Ludwig?“

„Die Eier, ja“ antwortete er, aus seiner Zeitung aufsehend,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 614. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_614.jpg&oldid=- (Version vom 22.12.2016)