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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

war. Eine von Hannas Stickereien, die ihr der „Herr Bankier“ damals abgekauft hatte. Mit vielen anderen ihrer Arbeiten hatte sie sie beim Einzug vorgefunden.

„Und nun sag’ mir ordentlich, was Günther schreibt,“ bat sie, ihren Bambussessel so nahe wie möglich neben die Mutter rückend.

„Hier ist der Brief. ‚Liebes verehrtes Mamachen! Seit vorgestern bin ich von meiner kleinen Ferientour zurück. Habe mich nach Kräften ausgerannt, immer querwaldein. Jetzt giebt es in Thüringen bald gar kein Fleckchen mehr, das ich nicht kenne. Auf dem Rückweg hab’ ich in Weißenfels Station gemacht und bin mit einem Wagen nach dem Dorf hinausgefahren, wo die alten Rettenbachers wohnen. Ich wollte doch dem armen Kerl, der die nötigen Groschen zur Reise nicht übrig hat, einen Gruß von zu Hause bringen. Er hat sich auch mächtig gefreut. Ich erzähle Ihnen mündlich davon. Nämlich, des Pudels Kern! Ich werde mir morgen nachmittag die Ehre geben, die Damen in ihrem neuen Heim aufzusuchen, vorausgesetzt, daß ich nicht störe. Ich bin riesig gespannt, zu hören, wie es Ihnen geht, verehrtes Mamachen, und auch, wie sich unser Hannichen als gnädige Frau fühlt. Hoffentlich wird sie doch Mitte August, wenn unsere Proben wieder anfangen, in Berlin sein, um mitzusingen. Alles weitere mündlich.

In bekannter Treue und Ergebenheit

Ihr Heinrich Günther.'“

„Also heute nachmittag,“ sagte Hanna erfreut. Zugleich aber beschlich sie eine leise Bangigkeit. Wenn nur Ludwig nicht wieder kalt und ungesellig sein möchte, wie schon ein und ein anderes Mal als Bräutigam.

„Hoffentlich kommt er zeitig genug,“ fuhr sie dann fort, „daß ich nicht am Ende schon mit Ludwig nach der Ausstellung unterwegs bin. Vielleicht verschieben wir auch die Fahrt, wenn ich ihn darum bitte. Die Bilder werden uns auch von einem zum anderen Tag nicht weglaufen. Wie schön, mein Mutterchen, daß du heute so wohl bist. Da kann ich doch Ehre mit dir einlegen.

Vom Garten her kam jetzt die Köchin, mit der um diese Zeit über das heutige „Souper“ und das morgige „Diner“ beratschlagt wurde.

Hanna empfand dieser „Perfekten“ gegenüber, die in Paris „studiert“ hatte, immer noch ein leises Gruseln. Mit ihrer eigenen Kochkunst, die sich über die schlichtesten bürgerlichen Gerichte hinaus nie erstreckt hatte, kam sie sich in ihrer eleganten Küche ganz erbärmlich vor, und so tüchtig und gesund ihre gastronomischen Grundbegriffe auch waren – hier getraute sie sich kaum Piep zu machen. Im stillen entsetzte sie sich immer vor dem, was es alles gab, was man alles kochen konnte. Aber sie wollte sich von dieser feindrähtigen Person, die mit den verzwicktesten Gerichten nur so um sich warf, nicht über die Achsel ansehen lassen und führte darum ihre Rolle als kühle und allervornehmste Verächterin dieser Uebertriebenheiten zur steten Belustigung ihrer Mutter sehr hübsch durch. Sie hatte sich diesen Standpunkt gewählt als Widerspiel zu ihrem Mann, der so unheimlich bewandert in allen Küchenfragen war, daß auch einem gewiegten Koch hätte schwindlig werden können. Mitsamt ihrer Magd aber ängstlich die Stirnfalten des gnädigen Herrn zu studieren und vor seiner Kritik zu zittern, fühlte sie sich nicht berufen. Wenigstens nicht eingestandenermaßen. Im stillen freilich hatte sie schon begonnen, nach der kleinen Wetterwolke zwischen seinen Augenbrauen zu spähen, und aus der „Idee zu wenig Pfeffer“, der „Ahnung zu stark gesalzen“ konnte sie bereits mit einiger Sicherheit auf Witterungswechsel schließen. Eine Suppe, die nicht ganz „auf der Höhe“ war, stimmte ihn gegen die ganze Mahlzeit mißtrauisch, und nur selten gelang es an solchen Tagen einem der folgenden Gerichte, den ersten Verstoß vergessen zu machen. Hanna that der Köchin nicht den Gefallen sich gemeinsam mit ihr über diese Unglücksfälle aufzuregen, so daß zu Paulinens Leidwesen in diesen Vormittagsstunden wohl eifrig beraten, aber nie geplaudert werden konnte. Hanna genoß übrigens die allgemeine Gunst des Personals, weil sie „gut“ gegen die Leute war, ohne sich etwas zu vergeben, und nicht „protzte“, wie sie es alle von der neugebackenen Millionärin erwartet hatten.

„O Gott, die hatte ich jetzt wirklich vergessen,“ seufzte Hanna, als sie den Kies des Gartenweges knirschen hörte und nun die ansehnliche Gestalt ihrer „Chefin“ mit dem weißen Mützchen auf dem noch glänzend schwarzen Haar, der blendenden Schürze über dem dunklen Kleid daherkommen sah.

„Wenn es gnä' Frau angenehm wäre –“

Ja, es war ihr angenehm.

Nach kurzer Besprechung des „ungenießbaren Schinkens, der natürlich doch von Borchardt war – wie würde sie sich unterstehen, gegen den ausdrücklichen Befehl des Herrn! – und die zum Beefsteak befohlene Ravigotbutter hinweg vertiefte sich die Beratung in Mockturtlesuppe, Potage Sévigné, Saumon Sauce crevettes, Hammelrücken à la Portugaise, Timbale de riz, Filet de chevreuil, Fonds d’artichauts an veloutée de volaille, Maraschinogelée, Mousse meringuée, Crême à la Nesselrode –--

Hanna zuckte schon nicht mehr unter Paulinens „Somong“ und „Schewrölch“. Gut, daß sie viel besser kocht, als sie spricht, dachte sie. Es schmeckte entschieden pariserisch, wenn es fertig war, und darauf kam es ja an. „Heiliger Sprachverein, bitt’ für mich!“ sagte sie lachend zur Mutter, nachdem Pauline mit dem begutachtete Küchenzettel ihrer Wege gegangen war. „Was Ludwig wohl sagen würde, wenn ich ihm die ’Speisekarte', auf gut deutsch abgefaßt, neben den Teller legte. Ich glaube, der Appetit verginge ihm schon bei der Fleischbrühe!“

„So laß ihm also das kleine Vergnügen.“

„Freilich laß' ich es ihm. Ich muß nur immer wieder lachen, wenn diese Küchenfürstin sich mir mit dem neuen Menü unterbreitet. So sagt sie ja gewöhnlich. Hast du es nicht bemerkt?“

„Ja – Aber was ich fragen wollte – wir sind durch diese Küchensorgen ganz aus dem Text gekommen. Es war wegen Günther. Wie denkst du es in Zukunft mit dem Singen in der Kirche zu halten, mein Kind? Da Ludwig ja doch nun einmal gar keine Freude daran hat. Das will gut überlegt sein. Meinst du nicht?“

Hanna nickte stumm und sah auf die Stickerei in ihrer Hand.

„Verbieten wird er es dir natürlich nicht,“ fuhr die Mutter nach einer kleinen Pause fort. „Aber du mußt darauf gefaßt sein, seiner Mißstimmung zu begegnen. Es ist jetzt ein ander Ding als zur Zeit eurer Verlobung, wo er in bestehende Verhältnisse eintrat. Dies ist sein Haushalt. Er ist der eigentliche Herr. Du kannst nicht mehr ganz frei über deine Tageseinteilung bestimmen. Die Uebungen sowohl wie der Dienst in der Kirche schließen erst nach eurer eigentlichen Abendbrotzeit. Diese müßte also verlegt werden. Ob ihm das recht sein wird? Ich zweifle. Ja, wenn er mitsänge oder doch an der ganzen Sache herzliche Freude hätte. Aber es ist etwas, was nur dich allein angeht, an dem er keinen Anteil nimmt.“

„Das ist wahr,“ sagte Hanna leise.

„Verarge ihm das nicht, mein Kind. Sieh das nicht mit Bitterkeit an. Damit thätest du ihm unrecht. Er ist ja als ganz unmusikalischer Mensch nicht mit dem Taktstock zu messen. Wie soll er denn Vergnügen an einer Sache haben, die ihm keine Spur von Genuß gewährt? – Vielleicht lernt er’s noch. Wer weiß?“

„Glaubst du das?“ fragte Hanna ebenso leise wie vorher und ohne von ihrer Arbeit aufzusehen.

„Ueberzeugt bin ich nicht davon. Aber möglich ist alles. Denn er hat dich sehr lieb. – Uebrigens brauchen wir ja nicht in diesem Augenblick über die Sache zum Schluß zu kommen. Laß es dir einmal durch den Kopf gehen und bedenke dir die Art, wie du um seine Zustimmung bittest. Ich wollte nur, daß du dir darüber klar wärest, daß du nicht mehr allein darin zu entscheiden hast, mein Kind.“

„Das habe ich schon gewußt, Mutterchen.“

„Nun, also. Wir werden Günther heute nachmittag auf die mögliche Schwierigkeit aufmerksam machen. Er wird das alles einsehen. Leid thäte es mir für ihn, wenn er seine Singdrossel verlöre. Und auch für dich, mein Herzenskind, würde ich es sehr bedauern. Aber allem voran steht doch das gute Einvernehmen im Hause. Und du schuldest Ludwig so vielen Dank, daß es dir auf einige Opfer nicht ankommen dürfte. Meinst du nicht auch?“

„Gewiß, Mutterchen.“

„Wenn es mit meiner Besserung übrigens so reißend weiter geht wie heute, dann seh’ ich noch die Zeit kommen, daß ich auch wieder am Klavier sitze.“

„O Gott, Mutter, wenn wir das erlebten!“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 618. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_618.jpg&oldid=- (Version vom 22.12.2016)