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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

der Kirche, als sie Abschied voneinander nahmen. Wie lange war das her? War es nicht viele Jahre? Eine Last von Weh hatte sich in den Abgrund dieser Trennung gesenkt, ein Meer von Kummer und Leid. Mit dem Blick, den die beiden da tauschten, über dieses Meer hinweg, geschah dem in glühender Eifersucht wachestehenden Mann kein Unrecht. Hannas arme Seele hatte in diesem Augenblick keinen Raum für andere Schmerzen. In Arnolds tiefernstem, blassem Gesicht, das wortlos vor Mitleid und Erschütterung auf sie niedersah, grüßte sie nur das des Freundes, der die verlorene Mutter auch geliebt und auch verloren hatte.

Ludwig wußte das nicht. Und hätte man es ihm erklären wollen, er hätte es nicht geglaubt. Er fühlte nur in brennender Qual den Raub, der an ihm geschah. Er fühlte sich ausgeschlossen, beiseite geschoben. Das Schmerzensgesicht dieser blassen Frau aber gehörte ihm, mit all seinem Jammer. Heiße Röte schoß ihm flammend bis zur Stirn.

„Bitte,“ sagte er rauh, mit einem raschen Griff nach Hannas Arm, die verschlungenen Hände lösend. „Diesen Weg entlang, dort ist die Pforte. Und unser Wagen. Ich bitte dich inständigst, Hanna, komm, mach’ ein Ende!“

Sie fuhr zusammen und sah sich hilflos um.

„Mutter –“, sagte sie heiser, gequält. „Wo ist – –“

„Es ist vorbei, komm, komm, mach’ ein Ende!“

„Vorbei“, wiederholte sie tonlos und ließ sich wegführen.

Es schien ihr auch kaum zum Bewußtsein zu kommen, daß er sie, als der Wagen sich kaum in Bewegung gesetzt hatte, mit Heftigkeit an sich zog. Still und regungslos saß sie da, mit großoffenen, wieder trocknen, starren Augen. Am Hause angekommen, mußte er sie beinahe aus dem Wagen herausheben, sie hätte ohne seine Hilfe den Tritt verfehlt.

Erst im Treppenhaus, als er sie die Stufen zum oberen Stock hinaufführen wollte, schien sie zu erwachen, schien sich zu besinnen. Sie machte sich von ihm los und ging einige Schritte nach rechts, nach der Gartenseite zu.

„Wohin?“ fragte er, sofort wieder neben ihr.

„Zu – –“ sie verstummte, wies nur auf die Thür zum Wohnzimmer der Mutter.

Er legte ihr die Hand auf die Schulter.

„Nicht doch, mein Kind, laß das, komm’ mit mir hinauf!“

Sie schüttelte nur den Kopf und schob an seiner Hand, um ihre Schulter zu befreien, ging auch vorwärts und griff nach der Klinke.

Die Thür war verschlossen.

Mit einem dumpfen, drohend fragenden Laut wandte sie sich zu ihm herum, die Finger um die niedergebogne Klinke geschlungen.

„Du siehst“ – sagte er mit etwas gemachter Gelassenheit – ihrem bleichen, scharfgespannten Gesicht gegenüber war er sich bewußt, einer entscheidenden „Scene“ entgegenzugehen – „du siehst, mein liebes Kind, es ist zu. Abgeschlossen. Ich habe den Schlüssel. Einmal mußte es ja sein. Ein Abschnitt mußte gemacht werden. Also lieber gleich. Du sollst dich nicht nutzlos in schmerzaufwühlende Erinnerungen vergraben. Wenn ich dich gehen ließe, dann würdest du tagaus tagein in den verlassenen Räumen sitzen, würdest dir jeden Zollbreit Boden mit Jammer pflastern. Das will ich nicht. Das ertrage ich nicht. Ich habe in diesen Tagen gerade genug davon zu kosten bekommen. Du sollst dich nicht mehr da drinnen einspinnen und dich vor mir verkriechen. An meinem Herzen ist dein Platz. Zu mir sprich dich aus, dann wird dir leichter werden. Gott im Himmel, ich habe ja riesiges Mitleid mit dir. Ich verlange ja nicht, daß du mir zuliebe schon heiter sein sollst. Aber du sollst bei mir sein! Ich will dich um mich haben! Ich habe dich nicht geheiratet, um dich an einen Schatten zu verlieren. Ich liebe dich und ich lasse dich keinem. – Sieh mich nicht so entsetzt an! Ich bin kein wildes Tier, ich fresse dich nicht. Ich bin auch kein Kerkermeister, wenn du das vielleicht glaubst. Jeden Gefallen will ich dir thun, den ich dir an den Augen absehen kann, was du dir wünschest, will ich dir kaufen, nichts wird mir für dich zu teuer sein. – Du denkst in deinem Sinn, ich wäre ein roher Patron, nicht wahr? Du denkst, ich hätte dir Zeit lassen sollen, dich zurechtzufinden, sozusagen. Aber darauf geduldig zu warten, geht über meine Kräfte. Unterdessen fahre ich aus der Haut. Du hättest dich auch nicht zurechtgefunden. Du hättest dir aus den kraftlosen Resten da drinnen ein Sanktuarium gebaut und hättest dich hineingesetzt. Und ich hätte an der Thüre stehen dürfen und dich um einen Gnadenknochen anbetteln. Zu dieser Rolle bin ich nicht geschaffen. Darum habe ich nach diesen entsetzlichen letzten Tagen bei mir beschlossen, lieber kurzerhand sofort ein Ende zu machen und dich als mein unbestreitbares Eigentum zu reklamieren. Gott bewahre, dies Gesicht! Wie ein Lamm auf der Schlachtbank! Was will ich denn so Schlimmes von dir? Ich liebe dich und will dich glücklich machen. Also sei jetzt ein braves Kind und laß die Klinke da los! Gieb mir die Hand und komm mit! Willst du? So – das ist recht.“

Langsam gaben die klammernden Finger den Griff der Thüre frei, er schnellte klirrend in die Höhe.

Ludwig schlang fest den Arm um die zusammenzuckende Gestalt seiner Frau und führte sie weg, die Treppe hinauf.

Sie sträubte sich nicht mehr.

'Mein erster Sieg', dachte er mit einem verstohl’nen, tiefen Aufatmen. Der schwerste. Es ging besser, als ich fürchtete. Alles andere findet sich nun von selbst.

(Fortsetzung folgt.)

Deutsche Nationalfeste.

Die aus der Bewegung zu gunsten der Pflege körperlicher Spiele in unserem Vaterlande hervorgegangen Idee, nach dem Muster der olympische Spiele von Alt-Hellas ein deutsches Nationalfest ins Leben zu rufen nähert sich immer mehr der Verwirklichung. Der aus Mitgliedern bestehende Ausschuß für deutsche Nationalfeste, an dessen Spitze der Landtagsabgeordnete von Schenckendorff in Görlitz steht, hat soeben einen Aufruf erlassen, der mit warmen Worten für die Veranstaltung des ersten dieser Feste im Jahre 1900 eintritt. Ein Beweis für die tiefgehende Teilnahme, welche der Plan immer mehr findet, ist die Thatsache, daß Vertreter der verschiedensten Lebens- und Bildungskreise diesem Ausschusse angehören. Ist doch auch freilich das Vorhaben durchaus auf dem patriotischen Gedanken gegründet, daß den traurigen Anzeichen einer Verkümmerung des Nationalgefühls, einer Erschlaffung der Volkskraft, einer Verflachung des idealen Lebens in unserem Volkstum mit Energie entgegenzuarbeiten ist! Macht sich das Unternehmen doch zum Träger der dreifachen Forderung: „Es gilt die nachhaltige Stärkung unseres Nationalgefühls; es gilt die Kräftigung unserer Volksgesundheit, es gilt die Hebung des bürgerlichen Gemeinsinns!

Indem die geplanten Nationalfeste dem Gedanken von der hohen Wichtigkeit einer sorgfältigen körperlichen Erziehung für die großen gemeinsamen Aufgaben eines wehrhaften Volkes Ausdruck geben, möchten sie Vorbild und Antrieb werden für alle jene Bestrebungen, die sich im kleineren heimatlichen Kreise dieselbe große Aufgabe gestellt haben. Im Rahmen einer von fröhlicher deutscher Kunst getragenen Festlust sollen die alle fünf Jahre sich wiederholenden Veranstaltungen vor allem den Charakter „einer Darlegung der körperlichen Tüchtigkeit unserer deutschen erwachsenen Jugend“ vor versammeltem Volkes erhalten.

So soll die Pflege der Leibesübungen zu einer „lebendigen Volkssitte“ werden, welche auf die Heranbildung neuer Geschlechter von patriotischen Sinnes und mannhaften Geistes machtvoll einwirkt. Und dieser so herbeigeführte Aufschwung soll auch der Kräftigung unseres bürgerlichen Gemeinsinns zu gute kommen. Wir fühlen uns alle als Söhne einer mächtigen Mutter, und unser Streben gilt einem Ziel. Wir sind nicht nur Arbeiter und Arbeitgeber, nicht nur Soldaten und Offiziere, Handwerker und Fabrikherren, Beamte und Kaufleute, Städter und Landleute, nicht hoch und niedrig, nicht arm und reich, wir sind vor allen Dingen Deutsche, die, ein jeder in seiner Weise, dem Vaterland dienen. Dies Gemeinsame wird lebendig werden auf unserem Feste, indem alle, welchen Standes sie auch seien, nach der gleichen Ehre streben, um den gleichen Kranz ringen, werden sie sich bewußt, daß auch des Vaterlandes Wohl und Größe nicht anders aufgebaut werden kann, als wenn ein jeder sich als Glied und Arbeiter einer einzigen großen Gemeinschaft fühlt, die mit allen für alle arbeitet und wirkt! Und weiter heißt es von dem geplanten Nationalfest: „Kein Fest soll es sein, das als Selbstzweck sich schon den bestehenden hinzufügt. Kein Fest soll es sein, das, der Schwäche unserer heute herrschenden Volkssitte nachgebend, in geräuschvoller Veranstaltung der schalen Freude eines schnell vorübergehenden Taumels huldigt, sondern ein Fest, das eng verbunden mit dem edelsten Triebe unserer Volksseele, mit deutscher Eigenart und guter Sitte, durch den Glanz seine machtvolle Wirkung auch unsere anderen Feste hebt und veredelt, unsern Volksstolz weckt, unsere Volksgesundheit stärkt und unsern

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 635. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_635.jpg&oldid=- (Version vom 22.12.2016)