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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

natürlich war sie verliebt, und selbstverständlich wollte sie sich verloben. War sie denn nicht mit Mama auch diesen Sommer ausdrücklich zu diesem Zwecke in die Sommerfrische gereist?

Wenn ein junger, reicher, eleganter, unverheirateter Graf ein so augenfälliges, ihn selbst offenbar ganz überwältigendes Interesse für einen faßt und dasselbe so offenkundig zeigt, wie dieser junge, elegante Graf es that, so verliebt man sich selbstverständlich in ihn, darüber brauchte sie ja selbst in Gedanken gar kein weiteres Wort zu verlieren.

Im vorigen Jahre hatte ein Herr sie ausgezeichnet, den sie fälschlich für einen Lieutenant in Civil gehalten hatte. Sie hatte nachher sehr viel Verdruß mit Mama darüber gehabt. Vor zwei Jahren hätte sie sich um ein Haar mit einem reichen Kaufmann verlobt, aber er war dann schließlich doch abgereist, ohne sich erklärt zu haben. Vor drei Jahren war die Geschichte mit dem jungen Gutsbesitzer, von dem sich dann herausstellte, daß er schon anderweitig verlobt war. Es giebt ja so schlechte Menschen!

Jedesmal hatte sie die Reise mit der festen Absicht angetreten, sich zu verloben, und infolgedessen war sie natürlich auch jedesmal verliebt gewesen, aber etwas so Reiches, Vornehmes und Sicheres wie dieses Mal hatte sich eigentlich noch nie geboten. Selbst die etwas argwöhnische Mama hatte es noch heute früh beim Ankleiden gesagt und deshalb auch nichts dagegen eingewendet, daß sie das hübsche, neue Sommerkleid anzog.

Eigentlich hübsch war er ja nicht gerade, und wenn sie nicht gleich am ersten Mittag gehört hätte, wie der Kellner ihn „Herr Graf“ anredete, so würde sie vielleicht gar nicht besonders auf ihn geachtet haben. Aber nach Tische hatten Mama und sie gleich in der Fremdenliste nachgesehen und nach einem Grafen gesucht, und da hatten sie auch richtig an einem der letzten Tage verzeichnet gefunden. „Graf Breitenburg“.

Nun kannte Mama zufällig die gräflich Breitenburgische Familie dem Namen nach und wußte, daß sie enorm reich sei. Darüber also konnte man sich beruhigen und als Mama dann im Laufe des Nachmittages bei dem Kellner einige beiläufige Erkundigungen über den Grafen Breitenburg. eingezogen hatte – ja, so etwas verstand Mama! – da stand auch das fest, daß er bis jetzt keine Frau habe. Denn der Graf, sagte der Kellner, pflegte schon seit mehreren Jahren hierher zu kommen, und er galt im allgemeinen für einen Weiberfeind. Damit wußte man vorläufig alles Wissenswerte. Der „Weiberfeind“ schien allerdings zuerst ein Hindernis zu sein, doch hatte Mama schon am zweiten Mittag herausgebracht, daß der Graf – wie entzückend es klang – „Der Graf!“ – beinahe Essen und Trinken vergaß, um nach den beiden Damen verstohlen hinüber zu sehen.

Gräfin werden – so hoch hinauf hatte sie nie geträumt. Zwar, Mama hatte oft gesagt. „Wenn man so aussieht wie du, Adelgunde, mein Kind, so kann man hohe Ansprüche machen, aber ihr hätte ja ein ganz gewöhnlicher Millionär ohne den Grafentitel auch genügt, ja, er brauchte nicht einmal gerade Millionär zu sein, sie wußte ja, daß es deren nicht übermäßig viele giebt. Aber wenn man den Grafentitel und die Million, oder doch so ungefähr eine Million, sagte Mama, miteinander bekommen könnte, und wenn der Mann noch dazu gut aussah und offenbar nett war, so besann man sich natürlich nicht lange!

Bis dahin war sie vorhin gekommen in ihren Gedanken, die eigentlich nur eine Wiederholung dessen waren, was sie gestern abend vor dem Einschlafen mit Mama durchsprochen hatte. Man kann nicht immer mit seiner Mama derselben Meinung sein, aber in diesen Dingen stimmten beide vollständig überein. Mama hatte bereits zwei ältere Töchter mit großem Geschick verheiratet, und zwei jüngere waren zu Hause geblieben in der kleinen, heißen, auf den Hof hinausgehenden Hinterwohnung. Macht es doch keinen guten Eindruck, wenn man so viele Töchter auf einmal mit in die Sommerfrische bringt. Außerdem würden auch die Ausrüstung und der Aufenthalt für alle zugleich gar zu teuer geworden sein. Die Handwerker und Kaufleute waren ohnehin so eigen mit dem Borgen.

Als sie aber in ihrer Wiederholung so weit gekommen war, begann eben der Regen zu fallen, und da sie nicht mit einem ausreichenden Schirm versehen war, richteten sich von da an ihre Gedanken natürlich nur noch auf ihr Kleid, ihren Hut und ihre Schuhe. Alles zu seiner Zeit. Platzregen und Zukunftsträume!

Hoch aufgeschürzt, ängstlich von Stein zu Stein hüpfend, so eilte sie durch den strömenden Regen dahin. Dabei hatte sie, indem ihr die Tropfen in das Haar und das Gesicht sprühten, ein sehr unbehagliches Gefühl, als wenn dieselben dort irgend ein Unheil anrichteten, welches es ratsam erscheinen lassen mochte, später, wenn der Regen nachließ, möglichst unbemerkt nach Hause zu gelangen. Die Frisur war sicher verdorben, vielleicht mehr.

Nun, zum Glück kam da ja ein Schutzpavillon in Sicht. Sobald sie den nur erreicht hatte, war sie ja vorläufig geborgen.

Nun trat sie in das fensterlose, kleine Gebäude, das sein einziges Licht durch die Thür erhielt. Der kleine Raum war ganz dämmerig, teils des bedeckten Himmels wegen, teils, weil sie selbst die Lichtöffnung versperrte, indem sie eintrat. So entging es ihr, daß sich bereits jemand im Pavillon befand, der junge Mann nämlich, welcher im Hintergrunde mit seinem Shakespeare auf der Bank saß. Er freilich hatte sie natürlich sofort sehen müssen, und eine heiße Blutwelle strömte ihm zum Herzen. „Sie!“ – in der ersten Ueberraschung und Befangenheit regte er sich gar nicht, nur das Buch legte er sachte aus der Hand. Da war sie ja nun, die heiß ersehnte Gelegenheit, sich ihr zu nähern! Vortrefflicher Regen! Wenn er doch nur noch recht lange dauern wollte!

Die junge Dame legte inzwischen ihr Buch – denn auch sie hatte ein solches bei sich – auf die Bankecke neben der Thür und begann ihre Toilette zu mustern, und unwillkürlich folgten die Augen des Mannes den ihrigen. Zuerst nahm sie den Hut ab und betrachtete ihn von allen Seiten, besonders vorteilhaft schien die Nässe ihm nicht gewesen zu sein. Die Schuhe hatten weniger Schaden genommen, als sie gefürchtet hatte, aber das Kleid hatte einen breiten feuchten Saum.

Nun zog sie einen kleinen Handspiegel aus der Tasche und musterte ihre Frisur, so gut es gehen wollte. Sie brauchte sehr lange Zeit dazu.

„Schade“, dachte der junge Herr mit einem kleinen unwillkürlichen Seufzer des Bedauerns, „ein kleines bißchen eitel scheint sie zu sein. Aber,“ fügte er gleich hinzu, „das ist wohl erklärlich, wenn man so jung ist und so aussieht. Dann aber räusperte er sich, um sich bemerkbar zu machen, denn es widerstand seiner ehrlichen Natur, den Lauscher zu spielen.

Beinahe ließ sie den Spiegel fallen vor Schreck, dann wurde sie dunkelrot bis an die blonden Haare. Der Graf! fast hätte sie es laut gesagt in ihrer Ueberraschung. Welches Zusammentreffen, wie günstig und förderlich! Ja, so ein Regen konnte wirklich auch zu etwas gut sein, und der beschädigte Hut sollte sie nicht weiter reuen.

Wenn nur der Spiegel nicht so klein gewesen wäre. Sie hatte durchaus kein sicheres Urteil über den Zustand ihrer Frisur, und dann – der Regen war ihr doch auch ins Gesicht gesprüht. Jedoch da half nun nichts, und es war ja auch zum Glück dämmerig in dem kleinen Pavillon.

„O, wie Sie mich erschreckt haben,“ sagte sie, die Hand auf das Herz legend, das wirklich lebhaft klopfte.

„Das bedaure ich sehr, mein Fräulein. Es war natürlich durchaus nicht meine Absicht. Er fand es passend, aufzustehen und zu ihr hinzutreten.

Noch nie war er ihr so nahe gewesen, sie stand an den einen Pfosten der Thüröffnung gelehnt, und was an Licht überhaupt vorhanden war, das fiel auf sie.

„Nein, zwanzig – da habe ich sie doch wohl aus der Entfernung ein bißchen zu jung taxiert,“ dachte er, indem er seine kurzsichtigen Augen beinahe schüchtern über sie hingleiten ließ, „vierundzwanzig, fünfundzwanzig, so viel mag sie doch wohl zählen. Ja, wenn man kurzsichtig ist!“

„Auch Sie sind vor dem Regen hierher geflüchtet?“ fragte sie, ihm das Gesicht zuwendend. Das Haar, das sonst in lockigen Wellen das Köpfchen umgab, war vom Regen glatt und schlicht geworden und hing ihr in unordentlichen, dünnen Strähnen um die Stirn. Sein Auge haftete ganz betrübt darauf, während er zerstreut antwortete: „Ja, ich war glücklicher als Sie, mein Fräulein, ich bin gar nicht naß geworden. Ihr hübsches Kleid hat, wie ich sehe, Schaden genommen.“ Bei sich dachte er indessen: „Also das Haar war bloß so kunstvoll gebrannt! Das ist nun wirklich schade, es sah so allerliebst aus.“

„Na, als Millionär brauchte er sich um ein paar Flecken im

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 638. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_638.jpg&oldid=- (Version vom 7.7.2021)