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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

anfänglich neidlos all diese Bestrebungen, oder besser gesagt, sie waren sich eines Gegensatzes den Tschechen gegenüber kaum bewußt. Aus der gemeinsam genossenen deutschen Bildung schöpften beide Teile die Kraft, für die geliebte Heimat zu wirken, ohne Deutsches und Slavisches strenge auseinanderhalten.

Zwei Männer vor allem hatten sich unmittelbar aus Deutschland jene Begeisterung und jenes Wissen geholt, das sie befähigte, auf ihr Volk und die gesamte Slavenwelt einen unvergleichlichen Einfluß auszuüben, P. Safarik (1795 bis 1861) und J. Kollar (1793 bis 1852). Aus Jena, wo die beiden in der Zeit der hochgehenden burschenschaftlichen Bewegung studiert haben, stammt die großartige, wissenschaftliche Umfassung des Slaventums durch den Philologen und Litteraturhistoriker Safarik, sowie der poetische und litterarische Panslavismus des Dichters Kollar. In den stürmischen Jahren 1848 und 1849 traten die österreichischen Slaven unter der Führung Palackys mit den in den Schriften Safariks und Kollars niedergelegten nationalen Bestrebungen hervor, die politische Freiheit und sozialen Fortschritt in sich schlossen. Mit der aufbauenden Thätigkeit ihrer kulturellen Entwicklung verbanden die Tschechen jetzt auch die Zurückdrängung und Bekämpfung des deutschen Volkstums. Seit der Gründung der Konstitution 1861 wurden die nationalen Forderungen der Tschechen immer ungestümer und bis zur Gegenwart von immer wachsenden Erfolgen begleitet. Dieser abermalige Wechsel der politischen Machtstellung mußte natürlich auch die ethnographische Sachlage in Böhmen beeinflussen. Das Deutschtum, das zu Beginn des 19. Jahrhunderts (ähnlich wie im 13. und 14. Jahrhundert) förmlich netzartig über das ganze Land ausgebreitet war, schwand seit 1848 im Inneren des Landes, wo es in arger Minderheit war, rasch dahin. Am raschesten in den Städten, wo sich sehr viel unechtes Deutschtum befunden hatte. In Prag z. B., wo sich 1856 noch 73000 Einwohner zur deutschen, 50000 zur tschechischen Nationalität bekannten, errangen die Tschechen bereits im Jahre 1861 die Mehrheit in der Gemeindevertretung, während heute Prag samt den Vororten bei einer Gesamtbevölkerung von 305909 Seelen nur mehr 40819 Deutsche bewohnen. Auf dem Lande hingegen, in dem geschlossenen Gebiet, wo gutes deutsches Volkstum seit Jahrhunderten auf heimischer Scholle sitzt, dort erhält es sich auch zähe und unvermischt. Darum haben sich die Linien der deutsch-tschechischen Sprachgrenze seit dem Beginn dieses Jahrhunderts trotz aller Bedrängnisse des Deutschtums nur ganz unerheblich zu dessen Ungunsten geändert.

Auf dem deutschen Sprachgebiete, das heute ungefähr 354 Quadratmeilen, also nahezu 38 % der Gesamtfläche Böhmens umfaßt, wohnen vier der Mundart und Herkunft nach verschiedene Stämme. Zunächst findet man die Bayern in der Sprachinsel Budweis, in dem von Niederösterreich hereinreichenden deutschen Gebiet von Neubistritz und im südlichen Böhmerwalde bis hinauf nach Eisenstein. Die Nordgauer oder Oberpfälzer in dem breiten deutschen Gebiet Westböhmens von Eisenstein angefangen bis an das Erzgebirge. Den alten Kern dieses Landesteils bildet das seit dem Anfang des 11. Jahrhunderts rein deutsche Egerland, das erst im Jahre 1322 unter Wahrung seiner alten Vorrechte dauernd an Böhmen fiel, die Reste seiner ursprünglichen Sonderstellung aber bis zum Jahre 1817 sich bewahrte. Das Erzgebirge und das mittlere Nordböhmen bewohnen Obersachsen, während Schlesier das östliche Böhmen vom Jeschken angefangen, ferner die auch nach Mähren sich erstreckenden Sprachinseln des Schönhengstler Gaues und der Umgebung von Iglau besiedeln.

Dieses Sprachgebiet muß als ein völlig geschlossenes bezeichnet werden. Von den 7063 Ortsgemeinden Böhmens sind nur 88 gemischtsprachig, nur 44 davon liegen an der Sprachgrenze. Es ist also zwischen den beiden Sprachgebieten (von einzelnen Ausnahmen abgesehen) nicht einmal ein sprachlich gemischter Gürtel vorhanden, so daß die Sprachgrenze in einer scharfen Linie gezogen werden kann. Die tschechischen Minoritäten sind in den meisten deutschen Bezirken nur geringfügig und sie sind im letzten Jahrzehnt im allgemeinen gesunken. In wesentlicher Zunahme begriffen sind sie nur in jenen deutschen Gegenden, wo ein rücksichtslos betriebener Kohlenbergbau oder eine rasch (mitunter ungesund rasch) wachsende Industrie den deutschen Bauer verdrängt und slavische Arbeiterscharen heranzieht. Die Zahl der Deutschen im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung Böhmens ist trotz der Ungunst der politischen Verhältnisse in den letzten fünf Jahrzehnten nur ganz unerheblich gesunken. Nach einer Berechnung des Jahres 1846 bildeten die Deutschen in Böhmen 39 % der Gesamtbevölkerung; nach dem verläßlichen amtlichen Material aus dem Anfang der sechziger Jahre nahezu 38 %, nach der amtlichen Zählung von 1880 genau 37,11 %. Nach der letzten Zählung von 1890 stehen in Böhmen 2159011 Deutsche 3644188 Tschechen und 866 Einwohnern anderer Nationalitäten gegenüber, ihre Verhältniszahl gegenüber der Gesamtbevölkerung beträgt 37,199 %, sie ist also im letzten Jahrzehnt sogar gestiegen. Darauf kann nicht oft genug hingewiesen werden, weil gerade in deutschen Kreisen pessimistische Anschauungen über den Rückgang des deutschen Volkstums in Böhmen verbreitet sind, die durch die untrüglichen statistischen Ergebnisse ihre Berechtigung verlieren.

Eines aber darf nicht außer acht gelassen werden, daß die Deutsch-Böhmen einem durchaus nicht unebenbürtigen oder gar verächtlichen Gegner gegenüberstehen. Die Tschechen sind ein begabter und tüchtiger Volksstamm. Die nationale Kultur, die sie sich in kaum einem Jahrhundert geschaffen haben, ist in der That staunenerregend. Und mögen sie auch die Elemente deutscher Geistesbildung übernommen haben, sie haben es verstanden, sie mit nationalem Geiste zu erfüllen. Mit Recht sind die Tschechen auch stolz auf den gesunden Kern ihrer Landbevölkerung. Es gehört mit zu den nationalen Pflichten, die Tüchtigkeit des Gegners anzuerkennen. Kein Zweifel, einer der schwersten politischen Kämpfe, die je ausgetragen wurden, wird der nationale Verteidigungskampf sein, der den Deutschen Böhmens in den nächsten Jahrzehnten bevorsteht. Aber wie groß auch die Gefahr sein mag, sie dürfen doch mutig in die Zukunft schauen. Das deutsche Volkstum ist von urwüchsiger Kraft, es hat schon die härtesten Kämpfe siegreich bestanden; sicher wird es auch diese Zeiten der Prüfung überdauern und aus den politischen Stürmen, die gegenwärtig das Böhmerland beunruhigen, gestärkt hervorgehen.


Blätter und Blüten.

Torpedoboot gegen Panzerschiff. (Zu dem Bilde S. 641). Es sind unheimliche Gesellen, diese Torpedoboote, und mit leicht erklärlichem Mißbehagen ruht auf ihnen das Auge so manches Seemannes an Bord des Panzerschlachtschiffes, selbst bei hellichtem Tage in Friedenszeiten. Birgt doch der kleine Dämon, der sich so unscheinbar und harmlos ausnimmt, in seinem Innern eine ganz gefährliche Masse, deren sich zu erwehren der schwergeharnischte Koloß oft kaum imstande ist.

Unser Bild veranschaulicht eine Torpedobootsdivision in Thätigkeit auf ihrem Hauptwirkungsfelde, dem nächtlichen Angriff. S. M. S. „Wörth“, Panzer I. Klasse mit 556 Mann Besatzung, hat alle Vorsichtsmaßregeln getroffen: ringsum sind 6 bis 8 m lange „Spieren-Stangen“ ausgelegt, an denen starke Drahtnetze hängen, die 5 bis 6 m tief in das Wasser hineinreichen. Nach allen Seiten hin entsenden die „Scheinwerfer“, die ja auch auf dem Festlande vielfach unter dem Namen Torpedosucher bekannt sind, ihre Garben elektrischen Lichtes. Aber schwarz angestrichen mit stumpfer Farbe (also nicht firnisglänzend) sind die Torpedoboote, alles ist düster an Bord, dunkle Kleidung trägt die Mannschaft, selbst Gesicht und Hände sind geschwärzt. Völlig lautlos schwärmen die Angreifer heran, und wie groß ist ihre Geschwindigkeit! Sie beträgt durchschnittlich 27 Knoten oder Seemeilen in der Stunde, und es sind bereits Torpedojäger von 33 Knoten Geschwindigkeit gebaut worden.

Jedoch die bewaffneten Augen der Offiziere auf dem „Wörth“ halten scharf Ausguck; der nahende Feind wird entdeckt, und die bereitstehende „Torpedowache“ eröffnet ein Höllenfeuer gegen ihn. Aus den gepanzerten Marsen (Mastkörben) krachen die Schnellfeuerkanonen, deren Granaten die Maschine des Torpedobootes trotz des geringen Schutzes durch die „Bunker“ (Kohlenlager) zerstören sollen; auf Deck bedient die Mannschaft die Marinegeschütze, einen Hagel von Kugeln entsendend. Wenn’s Ernst wäre! An den Masten steigen die Signallaternen empor: „Torpedoangriff abgeschlagen!“ Schon hat sich das Divisionsboot (in der Mitte unseres Bildes, mit D 4 bezeichnet) zu schleuniger Flucht gewendet, und seine nächsten Genossen thun ein Gleiches.

Doch sieh’ da, an einem der in Kiellinie folgenden Panzer ist der Drahtnetzschutz durch starken Wellenschlag „unklar geworden“, hat sich vielleicht gar in die Schraube verwickelt. Sofort erspäht ein Torpeder

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 643. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_643.jpg&oldid=- (Version vom 5.7.2023)