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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Der Festungskommandant von Magdeburg hatte sich zu einem Schreiben an die Gräfin aufgerafft. Mit steifen, kaum leserlichen Krakelfüßen beschwerte er sich über die eines alten Soldaten ganz unwürdige Aufgabe, ein Liebespaar zu bewachen. Ein solches Geseufze und Gejammere gehöre nicht in eine Festung, die überhaupt nicht zur Internierung weggelaufener Töchter eingerichtet sei. Und sintemalen dem Unterzeichneten ganz übel und wehleidig von dem Gewinsel werde, habe er angeordnet, den Galan und die Komtesse unter strenger militärischer Bewachung täglich zwei Stunden zusammen spazieren zu lassen. Auf dem Festungswalle könnten sie, ohne Belästigung anderer, ihre Herzen erleichtern, so daß das unerträgliche Geklage ein Ende habe. Wozu solle schließlich solches Einsperren und Gestöhne dienen? Geheiratet müsse doch werden, wie jeder sehe; je eher desto besser! Unterzeichneter habe solche seine Ansicht ganz submissest dem Könige, Sr. Majestät Friedrich II., unterbreitet, was er hiermit der Frau Gräfin Schwichard zu wissen thue.



Da ward der Gräfin klar, es sei nicht allezeit wohlgethan, sich fremder Hilfe zum Ordnen von Familienangelegenheiten zu bedienen. Jetzt war nicht mehr ihr Wille, sondern der des Königs von Preußen maßgebend, der nach Gutdünken über seine Gefangenen verfügen konnte. Und zum erstenmal in ihrem Leben beschlich die stolze, herrschsüchtige Frau der Gedanke, sie habe übereilt, ja falsch gehandelt. Ein Ausspruch ihrer seligen Großmutter, einer gar klugen feinen Dame, fiel ihr ein, den sie von ihr gehört, als sie sich einst besonders stolz und hoffärtig gezeigt: „Wer den Kopf allezeit hoch trägt, tritt in die Pfützen und fällt über die Steine auf seinem Wege.“ Ihr war, als habe sie beides gethan.

Die Gemahlin des Festungskommandanten von Magdeburg aber war ungemein vergnügt über ihres Eheherrn Schreiben, doch wie viel davon auf ihren Einfluß kam, hat sie als kluge Frau niemals verraten.

Und Friedrich II. mußte seines Kommandanten Vorstellungen wohl für begründet erachten, denn er erließ den Befehl, der Sache ein Ende zu machen:

„Doch nicht mit Sang und Klang, die sich nicht schicken würden, sondern mit geziemendem Ernste, und möchte der leichtfertigen Demoiselle dabei noch eine Lektion erteilt werden – welcher Art, sei dem Ermessen des Kommandanten anheim gegeben!“

„So kann der Geschichte also endlich ein Ende gemacht werde, ich habe sie auch verhenkert satt!“ rief der Kommandant aus.

Nach einer Stunde schon erfuhr Komtesse Armgart, was er gesagt.

Was für ein Ende meinte er?

Vergebens hoffte die Komtesse auf einen Besuch ihrer mütterlichen Freundin, von welcher sie eine Aufklärung erwartete, sie kam nicht. Das sie bedienende Mädchen schüttelte mit ängstlicher Miene den Kopf und wollte keine Auskunft geben, flüsterte aber endlich, der Kommandant habe jeden Besuch strenge untersagt und ausgerufen, die unzeitige Milde müsse jetzt aufhören!

Es legte sich wie ein Alp auf Armgarts Herz, und als auch der tägliche gemeinschaftliche Spaziergang ausfiel, wußte sie sich vor Angst kaum zu fassen.

Drei ganze Tage lang durfte sie ihre Zelle nicht verlassen, erst am vierten Tage erschien die Wache wieder und machte ihr ein Zeichen, mitzugehen.

„Die Demoiselle soll ihn noch einmal sehen,“ sagte der Soldat ganz leise, und Armgart bemerkte ein Zucken in seinem Gesichte, bei dem ihr Herz stelle zu stehen drohte.

Ihn noch einmal sehen! … Eine Flut entsetzlicher Bilder und grauenvoller Vorstellungen stürmten über sie dahin, Was konnte das bedeuten? Ihn noch einmal sehen! …

Mit wankenden Knieen folgte sie ihrem Führer. Auf dem Festungswalle, wo grünes Laub und Vogelgezwitscher schon den Frühling verkündeten, wartete ihrer der Geliebte, ebenfalls von einem Soldaten begleitet.

Auch er sah bleich und erregt aus, verbeugte sich aber zierlich, faßte ihre Hand mit seinen Fingerspitzen, führte sie an seine Lippem und fragte zärtlich nach dem Befinden der Komtesse, deren holdes Lächeln ihm drei lange Tage gefehlt und diese zu einer bangen, traurigen Nacht dadurch gewandelt habe.

Die junge Dame antwortete mit schicklicher Verneigung, dankte für die allzu gütige Besorgnis, die sich in der Frage nach ihrem Befinden ausspreche, und – drückte die Hand auf ihr Herz, sich zaghaft umblickend. Die beiden Grenadiere hatten sich etwas entfernt. Da teilte Armgart ihrem Geliebten mit fliegendem Atem die Worte des Kommandanten wie des Soldaten mit.

„So ist meine Ahnung richtig, ich fühlte es,“ sagte er mit jähem Zusammenschauern und erzählte Armgart von einem Besuche des Geistlichen, der sich lange mit ihm über seine Familie und Jugend unterhalten hatte. „Er wollte mich vorbereiten – man wird mich erschießen.“

Starr vor Entsetzen blickte Armgart ihn an, dann warf sie sich ihm an die Brust. Sie dachte nicht daran, wer sie sehen könnte, was man darüber sagen werde, die anerzogene, steife Förmlichkeit ward von dem mächtigen Gefühl hinweggeschwemmt. „Erst müssen sie mich töten, ich lasse dich nicht!“

Mit leidenschaftlichen Beteuerungen versicherten sie sich ihrer Liebe und hielten sich noch umschlungen, als die Wache herbeikam, sie zu trennen und wieder hinwegzuführen.

„Warum schon jetzt. Gönnt uns die kurze Frist,“ bat Barringten und preßte Armgarts schmale Gestalt an sich.

„Ich verlasse dich nicht, ich will mit dir sterbem. Ich gehe nicht mit, ich bleibe hier,“ erklärte Armgart und wies die Leute hinweg.

Die beiden Grenadiere waren anscheinend unschlüssig, was sie bei dieser neuen Schwierigkeit zu thun hätten. Endlich begab sich einer zum Kommandanten, indes der andere zur Bewachung der Liebenden zurückblieb.

Nicht lange, so kam der Kommandant eilig herbei, den Dreispitz verkehrt auf dem Kopfe, den langen Säbel rasselnd

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 656. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_656.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2017)