Seite:Die Gartenlaube (1897) 663.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

„Ich hab’ mir eben die ganze Köchin übergegessen. Das ist die Sache. Und dafür kann ich nichts.“

„Aber Pauline auch nicht.“

„Sag’ ich denn das? Fress’ ich sie denn? Du hast manchmal eine Art, meine unschuldigsten Bemerkungen zu verdrehen – und dabei giebt es überhaupt keinen sanfteren, geduldigeren Menschen als ich bin.“

„I du, mein liebes Herrgottchen,“ dachte August, der mit seinem steinernen Gesicht hinter Ludwigs Stuhl vorbeiging. Bloß der Lohn sollte bei dir nicht so hoch sein! Sonst – – sauer kochen könntest du dich meinetwegen lassen mit deiner berühmten Geduld. Na, warte man!“

Auf das ihr nun schon wohlbekannte Selbstlob ihres Mannes antwortete Hanna nicht. Sie ließ die Unterhaltung über eßbare Gegenstände und deren Urheberin fallen, bis der Diener mit der letzten Schüssel davongegangen war und sie mit dem schwarzen Kaffee am Kamin des Rauchzimmers saßen.

23.

„Ich habe schon hin- und hergedacht,“ begann sie alsdann aufs neue, diese Lebensfrage des Hauses Thomas zu besprechen, „Wie man der Stimmung unseres Küchenzettels wieder aufhelfen könnte.“

Er sah sie mit gespannter Miene an.

„Sieh ’mal, also so viel Interesse hast du doch für deinen Mann, daß dir das ein bißchen durch den Kopf geht?“

„Ich habe sogar sehr viel Interesse für meinen Mann,“ unterbrach ihn Hanna freundlich. „Was meinst du, wenn man sich darauf verlegte, in allen Himmelsrichtungen nach auserlesenen Nationalgerichten zu spähen und sie sich anzueignen?“

„Ach,“ er winkte abwehrend und enttäuscht mit der Hand. „Das ist ja nichts! Nationalgerichte haben nur an Ort und Stelle ihren Reiz. Da macht man schon aus Neugier und um nichts zu versäumen, alles mit. Und es schmeckt dann auch. Oder es schmeckt nicht und man hat’s dann doch kennengelernt. Aber mit dem Uebertragen ist das nichts. Da fehlt das Klima, die Umgebung, die Ausnahmestimmung. Außerdem gelingt so was nie im Ausland, wenn man nicht darauf eingefuchst ist. Es geht nicht, laß das nur! Wenn du weiter nichts weißt!“

„Nun, ich denke mir, es müßte eine sehr hübsche Aufgabe sein, sich diese fremden Fertigkeiten anzueignen. Und dafür ist man eben ein genialer Koch, daß man die ausländische Eigenart nachmacht und sie doch vorsichtig den Gewohnheiten des eigenen Gebrauchs anpaßt. Man muß verstehen, zu modifizieren.“

Ein leises, unwillkürlich humoristisches Lächeln lief ihr über den Mund, als sie sein nachdenkliches Gesicht beobachtete, er nahm die ganze Sache blutig ernst.

„Ja, ja, ja,“ sagte er langsam. „Modifizieren. Das ließe sich allenfalls hören. Es wäre ’mal ’was Neues. Aber – ob diese Pauline dazu imstande sein wird?“

„Glaub’ ich wohl,“ sagte Hanna tröstend.

„Und wie gedenkst du das mit der Jagd auf Nationalgerichte eigentlich anzustellen? Willst du Fräulein Pauline auf Studienreisen nach Italien, Rußland, Spanien und so weiter schicken?“

„So dacht’ ich es nicht zu machen. Fortschicken wollt’ ich sie nicht. Rezepte verschafft man sich irgendwie und ausprobieren thut man es eben nach und nach. Ich denke mir das ganz interessant.“

„Willst dich wohl selber dazu in die Küche verfügen?“

„Warum nicht? Gern.“

„Schaden würde es dir nichts, wenn du dich ein bißchen für deinen Mann bemühtest. Aber es paßt sich nicht. Laß den Unsinn also!“

„Findest du es so unsinnig, wenn ich mich zu beschäftige wünsche? Mich verlangt sehr nach Thätigkeit, Ludwig. Der Müßiggang bekommt mir nicht. Ich schäme mich meines faulen Lebens.

Thomas richtete sich aus seiner halbliegenden Stellung auf und beugte sich zu ihr vor.

„Weißt du, mein Herzchen worüber du dich schämen solltest? Ueber deinen Undank. Fahre nur nicht gleich so zusammen! Ueber deinen Undank, hab’ ich gesagt. Anstatt froh zu sein, daß du jetzt ein bequemes Leben hast und keinen Pfannenstiel mehr anzurühren brauchst, jammerst du über Mangel an Thätigkeit. Als wenn du von der Sorte Unterhaltung nicht genug bekommen hättest, bis ich dich davon befreite. Ich denke, die Geschichte saß dir bis zum Halse, was? Aber mit euch Weibern werde der Teufel fertig. Nie seid ihr zufrieden. Müßt ihr euch plagen, greint ihr aus Angst vor der Not. Schafft man euch ein Paradies auf Erden, greint ihr aus Angst vor der Langweile. Ich denke, du hättest am wenigsten Grund, zu maulen, mein Kind. Wie gesagt, schäme dich!“

Hanna antwortete nicht. Mit zusammengebissnen Zähnen innerlich bebend, sah sie vor sich hin. Still, still, ermahnte sie sich. Nimm’s hin, als gerechte Strafe, schlucks hinunter! So mußte es kommen. Warum hast du des Geldes wegen den Mann genommen, den du nicht liebtest. Trag’ es jetzt mit Geduld! „Maule“ nicht!

„Na?“ fragte er, da sie nichts hören ließ als einen zitternden Atemzug. „Sind wir nun wieder in tiefster Seele gekränkt?“

„Nein,“ antwortete sie mit einem mühsamen Lächeln. „Du bist – – sehr verstimmt gegen mich.“

„Gott, Gott, Gott, verstimmt! Wenn ich dir verdientermaßen ein bißchen die Leviten lese, brauchst du nicht gleich zu sagen, ich wäre verstimmt. Du mußt dich daran gewöhnen, mein Kindchen, Tadel hinzunehmen, ohne gleich tragisch darüber zu werden. Du mußt dir diese gräßliche Empfindlichkeit abgewöhnen. Deine gute Mama hat dich immer viel zu sehr als rohes Ei behandelt. Davon sehen wir nun die Folgen. Ich sollte womöglich jedesmal einen Parlamentär mit der weißen Fahne vorausschicken, ehe ich mir gestatte, dich anzureden, ja? Das mindeste ist, daß du erschrickst. Wie ich dieses Zusammenfahren schon satt habe – na! Und jetzt wieder dies Gesicht! Als ob dir das größte Unrecht geschehen wäre.“

„Du irrst dich,“ sagte sie, sich gewaltsam fassend. „Ich glaube gar nicht, daß mir unrecht geschehen sei. Im Gegenteil. Aber wenn du vielleicht manchmal daran denken wolltest, daß mir noch recht – wund zu Mute ist – –.“

„Ja, Herrgott, denk’ ich denn etwa daran nicht? Als ob ich nicht seit Monaten die unendlichste Geduld mit dir gehabt hätte! Mir Ungeduld vorwerfen zu wollen, ist wahrhaftig unerhört, das muß ich sagen!“

Er sprang auf und begann im Zimmer auf und ab zu gehen.

Ein Weilchen sprach nun keins von ihnen.

Hanna saß unbeweglich, mit aufgestütztem Kopf, die eine Sesselquaste in der festgeschlossenen Hand, und blickte auf den Teppich zu ihren Füßen nieder. Im Gaskamin glühten die kleinen Fancykohlen, ihr Wiederschein spiegelte sich in den silbernen Gerätschaften auf dem niedrigen Tischchen zwischen den beiden weitläufigen großen Sesseln. Zwei elektrische Lampen in Laternenform verbreiteten durch ihre zartgefärbten Gläser ein sanftes Licht. Im Zimmer war alles still, nur von draußen her klang das unablässige Rauschen und Prasseln des Regens, das dumpfe Stöhnen des noch nicht ermatteten Windes.

Thomas hielt in seiner Wanderung inne, vom entgegengesetzten Ende des Zimmers her sah er zu seiner Frau hinüber. Allerlei Empfindungen, Verdruß gegen sie, die ihn in ihrem ganzen Wesen so schwer enttäuschte, wiederaufglühende Wonne an ihrer lieblichen Schönheit, Triumph der Besitzesfreude, Ingrimm über die Unbesiegbarkeit ihrer kühlen Ruhe seiner Leidenschaft gegenüber – quirlten sich in ihm zu einem heftigen, unklaren Gefühl zusammen.

Es entlud sich, wie sich vorläufig noch ein jeder derartiger Widerstreit in ihm entladen hatte.

„Komm her,“ sagte er, rasch auf sie zugehend, „sei brav –“ und schloß sie heftig in seine Arme.

„Du bringst mich um – erbarme dich –“ bat sie zitternd.

„Ich wollt', du brächtest mich einmal so um,“ gab er lachend zurück.

Er hielt sie jetzt auf seinen Knieen, so fest umschlungen, daß sie sich an seine Schulter lehnen mußte, sie mochte wollen oder nicht. „Wünsch’ dir ’mal was!“

„Ich danke dir, Ludwig,“ sagte sie leise. „Ich habe ja alles, ich wüßte nichts, was ich mir kaufen könnte.“

„Na aber, du langweilst dich ja! Was kann ich thun, um

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 663. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_663.jpg&oldid=- (Version vom 22.12.2016)