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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

dir die Zeit zu vertreiben? Ins Theater gehen können wir nicht. Während der Trauer kann man ja nichts vornehmen!

„Während der Trauer,“ wiederholte sie sacht wie ein Hauch. Er hatte es aber wohl gehört.

„Ja! Nicht wieder sentimental sein! Ich will und mag nun einmal nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen. Und übrigens, verstehst du, muß alles seine Grenzen haben. Auch diese Trauerbezeigungen. Du denkst doch wohl nicht, für ewige Zeiten schwarz wie ein Kolkrabe angezogen herumzulaufen. Wenigstens wollte ich mir das verbeten haben. Und auch von mir wirst du nicht verlangen, daß ich deiner verstorbenen Mama zu Ehren mein ferneres Leben in klösterlicher Abgeschiedenheit zubringe.“

„Gewiß nicht,“ versetzte sie. „Hast du das von mir gedacht?“

„Na, angestellt hast du dich genügend danach. Also, Gesellschaften geben, in Gesellschaften gehen können wir noch nicht, in Theater oder Konzerte auch nicht. Konzerte machen mir auch keinen Spaß –“

„Wenn es dir recht wäre,“ unterbrach sie ihn mit einem schnellen Entschluß, „so möchte ich wohl am Samstagabend wieder einmal in die Kirche gehen, um den Chor zu hören. Selber zu singen wäre mir noch nicht möglich. Aber nach Musik, nach dieser Musik verlangt mich sehr.“

Aus seinem Gesicht war im Nu alle Freundlichkeit weg. Eiskalt sah er sie an. Er hatte auch gleich die Arme sinken lassen, so richtete sie sich auf.

„Es ist dir also nicht recht?“ fragte sie zaghaft, als er nicht antwortete.

„Nein,“ erwiderte er endlich. „Es ist mir sogar im höchsten Grade unangenehm, daß du darauf wieder zurückkommst.“

„Ist dir denn die Musik so sehr unsympathisch?“

„Unsympathisch! Ich halte sie einfach für ungesund. Und besonders für dich ist sie geradezu schädlich.“

„Aber warum denn?“

„Weil sie deine Sentimentalität noch mehr steigert, weil sie dich immer weichlicher macht. Musik schwächt den Charakter. Das ist ein alter Satz.“

„Wo steht der geschrieben –“

„Mein Kind, bohre nicht so an mir herum, das kann ich nicht leiden! Was ich gesagt habe, habe ich gesagt. Und nun gieb dich drein. Aus dem Zuhören und aus dem Singen kann nichts werden. Jetzt nicht und später auch nicht. Ich wünsche es nun einmal nicht. Als wir noch verlobt waren, konnte ich nichts dagegen thun. Ich nahm mir aber gleich vor, nachher mit dem Unsinn aufzuräumen. Ich will eine gesunde Frau, keine krankhaft aufgeregte. Und Musik zu treiben ist ungefähr das Verrückteste, das Krankhafteste, was du thun könntest. Deine Nerven sollen nicht mehr dadurch aufgereizt werden. Also ein für allemal: Gieb den Gedanken auf! Ich weiß, was für dich gut ist. Punktum!“

Sie sah ihn traurig an. „Meine ganze, liebe, arme Musik verbietest du mir?“

„An dieser Fragestellung kann man schon gleich sehen, wie recht ich habe, da mein Veto einzulegen. Du fragst, als wenn ich dir so etwas wie eine Lebensader unterbinden wollte.“

„Und wenn es nun etwas derart wäre?“

„Thu’ mir den einzigen Gefallen, mein Engel, und quatsche nicht! Höchste Zeit, daß du in gesunde Behauptung kommst. Aus dir wäre was Schönes geworden, wenn du mit deinen verdrehten Singbrüdern zusammengeblieben wärest.“

Hanna antwortete nicht mehr. Mit fernhinträumenden Augen sah sie an ihrem Mann vorbei. Wieder war etwas vor ihr versunken, das nicht mehr zurückkam. Wieder war sie um eine Freude ärmer geworden.

„Schade, daß ich das nicht schon heute morgen gewußt habe,“ sagte sie dann ruhig. „Ich hätte es dem Pastor gleich sagen können.“

„Dem Pastor? Was heißt das?“

„Er war hier.“

„War hier?“ fuhr Thomas auf. „Wie kommt der Kerl, der August, dazu, ihn hereinzulassen?“

Hanna sah ihren Mann betroffen an. Plötzlich fiel ihr das verlegene Gesicht des Dieners wieder ein. Sie machte sich hastig los und stand auf.

„Hast du vielleicht Auftrag gegebe,n ihn abzuweisen?“

„Jawohl. Und zwar strengen. Ein für allemal. „Warum?“ fragte Hanna schroff, mit glühenden Wangen. „Er ist mein ältester Freund.“

„Aber nicht meiner,“ antwortete Thomas, der sich gleichfalls erhoben hatte. „Und nach meinen Wünschen richtet sich der Verkehr hier im Hause.“

„Was hat dir Erdmann gethan?“

„Nichts. Aber er ist mir unangenehm und das genügt. Und er beeinflußt dich und das will ich nicht.“

„Du solltest dich freuen, daß er mich beeinflußt. Du weißt nicht, wie sehr er dein Freund ist.“

„Ich brauche seine Freundschaft nicht. Er soll mir vom Halse bleiben! Ich kann famos ohne ihn leben.“

„Daß ich ihn lieb habe, das gilt dir nichts?“

„Du brauchst niemand lieb zu haben als mich. Weder den Pastor, noch den Musikanten, noch den Schulmeister. Ich wünsche deine Freundschaft nicht mit soundsovielen Anbetern zu teilen.“

„Schäme dich!“ sagte Hanna laut und scharf. Ohne ihn noch einmal anzusehen, verließ sie das Zimmer.

24.

Sie sahen sich an diesem Tage nicht mehr.

Thomas verließ nach einer Viertelstunde, ohne sich von ihr zu verabschieden, das Haus und kam erst tief in der Nacht wieder heim.

In der durch nichts unterbrochenen Ruhe ihres dunkler und dunkler werdenden Zimmers hatte die einsame Frau Zeit, das Geschehene und seine Folgen zu überdenken. Rastlos, von schmerzhaft fieberischer Glut getrieben, ging sie auf und ab. Ihre Stirn brannte, durch ihren Kopf schoß es wie jagende Funken.

Das also war der Anfang dieses neuen Lebens! Krieg, Krieg! Wenn das die Mutter wüßte! So durfte es nicht weiter gehen. Ganz gewiß nicht. Aber was thun? Sich einfach ducken? Sich einfach knuten lassen? Also sollte auf der einen Seite alle Willkür herrschen, auf der anderen nur stumpfsinnige Folgsamkeit? Was wurde dann aus dieser Ehe? Eine Hölle. Immer eine Hölle, was sie auch thun und lassen mochte. Eine Hölle, wenn sie sich zu seiner Sklavin machte. Eine Hölle, wenn sie sich sträubte gegen seine Faust. Im Frieden wie im Kampf der gleiche Jammer. Und ohne Ende so, noch zwanzig, dreißig, vierzig Jahre lang, das ganze, entsetzlich lange Leben hindurch.

Wenn das die Mutter wüßte!

Teuer genug erkauft war ihre Ruhe. Aber sie hatte diese Ruhe noch. Kein Leib, kein Schrecknis, das ihr Kind betraf, that ihr jetzt mehr weh. Wie gut das war! Was für ein Trost das war! Was für ein bittersüßer Trost in dieser tiefen Einsamkeit! Einsam war sie, ja, ja, einsam. Wo war die sanfte Kraft dieser unsterblichen Seele geblieben, die helfen sollte, das Schwere zu ertragen, die alle Bitternisse aufsaugen, die Mut zum Wandern geben sollte? Hatte sie ihr nicht noch eben erst zutiefst das Herz bewegt? Fort war sie, hatte sich auf ihren unsichtbaren Flügeln davongemacht. Und sie war in ihrer gottverlassenen Oede wieder allein. – Wirklich? Wirklich? Mit diesem über das Grab hinaus fürsorgenden Zeugnis der Liebe allein? Mit dieser zärtlichen Mahnung zur Tapferkeit allein? Mit diesem auf das weiße Blatt geküßten letzten Gruß allein?

Verzeih mir, Mutter, verzeih!

Also Kampf! – Aber nicht Kampf gegen ihn, der seines Sieges ja doch schon sicher war. Kampf gegen die eigene Schwäche, gegen die eigene Feigheit, gegen den kränklichen Wunsch, sich still auf die Erde zu legen und das Leben über sich weggehen zu lassen, ohne sich noch zu wehren, ohne sich noch zu rühren in Kampf gegen die Furcht, sich in diesem Leben noch einen Lebenszweck zu suchen und ihn zu erfüllen!

Also vor allen Dingen still sein, fügsam, brav! Es war ja auch das einzige, was ihr übrig blieb. Vielmehr das einzige, was ihr von Rechts wegen zukam. Sie hatte keine Selbstbestimmung mehr. Durfte keine mehr haben. Durch das Zugeständnis

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 664. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_664.jpg&oldid=- (Version vom 22.12.2016)