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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

dieser Ehe ohne Liebe hatte sie sich selber aufgegeben. Denn ehrlich: Mit der tiefsten Sehnsucht im Herzen nach einem anderen Mann hatte sie den geheiratet, der ihrer Seele gänzlich fremd war, allein des Geldes wegen. Und wenn es auch für die Mutter geschehen war, und wenn es auch den Namen Opfer trug – – ein Handel war und blieb es doch! Sie hatte ja auch Vorteil davon gezogen. Ein trauriger Handel freilich. Würde sie ihn wohl geschlossen haben, wenn sie gewußt hätte, daß in wenigen Wochen ihre sonnige Zukunftshoffnung in Trümmer fallen würde? Daß in wenigen Wochen nichts mehr übrig sein würde von dem, was ihrer That allein zur Sühne gereichte? Daß sie zurückbleiben würde inmitten dieses fluchbeladenen Reichtums, dessen Besitze sie sich schämte, als hätte sie ihn gestohlen? Zurückbleiben als Eigentum des Mannes, vor dessen Zärtlichkeit ihr graute bis ins Herz hinein? Zurückbleiben mit diesem Stachel in der Seele, diesem Stachel des verbotenen, sündhaften Heimwehs nach dem liebsten Freund?

Daß Gott erbarm! – Nur von diesem Gedankenabgrund weg! An diesem „Hätte“ und „Würde sein“ verlor sie den Verstand.

Es war nun ganz dunkel im Zimmer. Aber es verlangte sie nicht nach Licht. Sie brauchte nichts zu sehen. Allgemach erlosch die quälende Glut in ihrem Kopf, die schmerzhafte Rastlosigkeit, die sie umhergetrieben hatte, löste sich in dumpfe Schlaffheit auf. Erschöpft und schattenhaft, wolkig gestaltlos schoben sich die Gedanken hinter ihrer Stirn. In einer Art von Traumzustand, der wohlthätig als Widerspiel der leidenschaftlichen Erregung folgte, saß sie jetzt still in einer Ecke – wie lange, kam ihr nicht zum Bewußtsein. – Es war dann das unablässige Nagen und Bohren der Selbstvorwürfe, das in seiner stillen Emsigkeit mächtiger war als alle Klagen über erlittenes Unrecht, was sie endlich weckte. Sie richtete sich wieder auf und starrte in die Dunkelheit.

Ungerecht durfte sie gegen ihren Mann nicht sein. Gegen ihn am allerletzten. Sie hatte viel Ursache, ihn recht milde zu beurteilen, gerade, weil sie ihn nicht liebte. Hätte sie seine Zärtlichkeit erwidert, so wäre es kein besonderes Verdienst gewesen, ihm willig zu gehorchen, die Ecken und Kanten seines Wesens, die Härten seines Charakters mit Sanftmut zu ertragen. Denn die verzeihende und ausgleichende Kraft der Liebe schlägt Brücken über jede noch so tiefe Kluft. Ihm aber war sie in tiefster Seele fremd. Wollte es ihr denn nicht gelingen, sich das Gefühl der herzlichen Sympathie, der dankbaren Ergebenheit zurückzurufen, das sie während der kurzen Brautzeit doch zu allermeist noch erfüllt hatte? – Freilich – damals lebte die Mutter noch, atmete auf, schien zu gesunden! Damals, nach der tapfern Ueberwindung jenes ersten, ach, nur allzu verheißungsvollen, tödlichen Schreckens, war sie noch von dem Fieber der Opferfreudigkeit durchglüht gewesen. Erst die Erfüllung ihres Versprechens gab ihr Klarheit über das, was sie gethan hatte. Erst als es zu spät war, sich noch retten zu können, wußte sie, was ihr Los geworden war. Nun war die Mutter tot, das Opfer vergeblich. Uebrig geblieben allein die unerbittliche Notwendigkeit, die Liebe des Ungeliebten zu ertragen, lebenslang. Und freundlich zu ertragen, sanftmütig und geduldig zu ertragen, in steter dankbarer Erinnerung der empfangenen Wohlthaten, die ja aus gutem Herzen dargebracht worden waren. Nie durfte sie vergessen, daß er bis jetzt stets der Gebende, sie stets die Empfangende gewesen war. Nie durfte sie vergessen, daß ihr zu seiner gerechten Würdigung die Liebe fehlte, daß alles zwischen ihnen anders geworden wäre, wenn sie für ihn so gefühlt hätte wie er für sie – wenn ihr Jawort so ehrlich gewesen wäre wie seine Frage. Mit seiner Eifersucht, die ihn mißtrauisch, zornig, boshaft machte, mußte sie Mitleid haben, statt ihm dafür zu grollen. Es war ein Leiden, das ihr stets fremd bleiben würde und von dem sie ihn doch niemals würde heilen können. Also, also sie mußte ihm viel mehr verzeihen können als er ihr. Das war’s. Lag da vielleicht der Lebenszweck, auf den die Mutter hingewiesen hatte? Nicht vielleicht, sondern ganz gewiß! Da hatte sie also eine Arbeit. Eine Arbeit freilich, zu der das ganze Leben nur gerade ausreichen würde. Eine Arbeit, an der die Seele sich todmüde schaffen konnte ohne Ansehen! Aber wollte sie das nicht? Deuchte sie nicht etwas derart, um sich selber los zu werden? Sie hatte sich das Müdearbeiten zwar vorzeiten anders gedacht – recht, recht anders. Mit viel Sonnengold darüber, und viel frischem Wind um die freie Stirn und viel ehrenfestem Vertrauen in den Augen neben ihr! Das war nun für immer vorbei. Sie mußte nun versuchen, im Schatten und allein fertig zu werden. Der Brief der Mutter sollte nicht umsonst geschrieben sein. Ganz gewiß nicht!

„Sei gegen deinen Mann, das bitt’ ich dich, von ganzem, ganzem Herzen, immer so, als wenn ich noch da wäre. Thu’ mir auch im Tod kein Leid, wie du mir im Leben keins gethan hast.“

Dieser Mahnruf, in dem sich all ihre tiefe Sorge für die Zukunft ausgesprochen hatte, sollte ihr Talisman bleiben von nun an!

(Fortsetzung folgt.)

Einwanderer auf Ellis Island.
Von Heinrich Lemcke. Mit Illustrationen von Ewald Thiel.

Die Vereinigten Staaten von Amerika verdanken den Einwanderern aus Europa ihren Ursprung, ihre Größe und Blüte. Noch vor einem Menschenalter war dem gewaltig emporwachsenden Staatswesen der Zufluß von Fremden willkommen und noch im Jahre 1864 erließ der amerikanische Kongreß einen Beschluß zur „Aufmunterung der Einwanderung“.

Doch die Zeiten haben sich geändert, Amerika ist erstarkt und sucht den Einwandererstrom zu regeln und einzudämmen. Zu diesem Zwecke erließ die Bundesregierung in Washington unterm 7. Mai 1893 ein Gesetz, das allen mittellosen Einwanderern, Kontraktarbeitern, Armenhäuslern, allen Polygamisten, Idioten, Irrsinnigen, Verbrechern usw. die Landung in Amerika verbietet. Dasselbe Gesetz verpflichtet ferner die beweisende Dampfschiffkompagnie, welche derartige Einwanderer nach den Vereinigten Staaten befördert haben, dieselben auf ihre Kosten nach ihrem Abgangsorte zurückzutransportieren und außerdem die Unterhaltungskosten während ihres Aufenthalts in dem amerikanischen Landungsdepot zu tragen.

Um die Kontrolle zu erleichtern, müssen die Dampfschiffkompagnien „Manifeste“ führen, welche bezüglich der Einwanderer zwanzig verschiedene Fragen beantworten. Auf diesen Scheinen sind das Alter, Geschlecht, der Familienstand, die Nationalität, der bisherige Wohnsitz und das Reiseziel der Einwanderer festgestellt, sie geben ferner Auskunft, ob der Betreffende lesen und schreiben kann, ob er im Besitz eines Durchgangs-Eisenbahnbillets nach seinem amerikanischen Bestimmungsort sich befindet, ob er aus eigenen Mitteln die Ueberfahrt bezahlt hat oder auf wessen Kosten er gereist ist, ob er im Besitze von Geld ist, ob und zu welchen Verwandten er reist, ob er gesund oder mit körperlichen Gebrechen behaftet ist usw. Das Manifest muß von dem Kapitän und dem Arzte des betreffenden Schiffes noch vor Antritt der Fahrt vor einem Konsul der Vereinigten Staaten im Auslande beschworen werden und bildet die Unterlage für die Prüfung der Einwanderer in dem amerikanischen Landungsdepot.

Ein solches wurde bald nach dem Erlaß des neuen Einwanderungsgesetzes auf Ellis Island errichtet. Auf dieser etwa 7½ Hektar großen Insel, die an dem Zusammenflusse des Nord- und Ost-Rivers dem Hafen von New York vorgelagert ist, wurden die nötigen Bauten ausgeführt, deren Gesamtansicht unser Bild (S. 668) wiedergiebt. In dem 160 m langen und 50 m breiten Hauptgebäude war das untere Stockwerk für das Gepäckmagazin der Einwanderer bestimmt worden, während in dem zweiten Stocke die riesige Registrierungshalle und die zahlreichen Bureauräume untergebracht wurden. An dieses Gebäude schlossen sich noch besondere Hospitalbauten, Maschinenhaus, Kohlenschuppen usw. an.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 666. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_666.jpg&oldid=- (Version vom 22.12.2016)