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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Auch diesem Manne wurde die Landung bewilligt. – Wie wird es ihm in seiner neuen Stellung ergehen? – –

Eine junge bildschöne Tochter Italiens, die schon etliche Jahre in New York als Kleidermacherin ansässig ist, reklamiert ihre Stiefschwester, die soeben mittellos gelandet. Erstere übernimmt die Bürgschaft für letztere, und freudestrahlend verlassen beide das Depot.

Wiederum wird ein völlig unbemittelter Mann, ein Schuhmacher aus Rußland, vor die Jury gerufen, die ihn einem strengen Examen unterwirft.

Er will einen Bruder in Amerika haben, der schon längere Jahre in Brooklyn ansässig sei. Doch derselbe ist nicht da, ihn zu reklamieren. „Zurück nach Rußland, wenn dein Bruder nicht kommt, für dich Bürgschaft zu leisten,“ lautet der Beschluß der Jury. Gleichsam vernichtet wankt der Arme nach einer Bank und läßt sich darauf nieder. – Aber nur einen Augenblick. Da hört er mit einem Male eine ihm wohlbekannte Stimme seinen Namen rufen. Es ist der Bruder, der soeben gekommen. – Ein Aufschrei, als beide einander sehen und erkennen! Sie liegen sich in den Armen und Freudenthränen rinnen von ihren Wangen. – Alle und jede Etikette ist vergessen, die Zuschauer, selbst die Jurymitglieder sind ergriffen und es entsteht eine längere Pause. – Gottlob vermag der Bruder der Jury genügend Bürgschaft zu gewähren, daß der Einwanderer der öffentlichen Armenpflege nicht zur Last fallen werde, und beide trollen dann seelenvergnügt von dannen.

Solche Scenen ereignen sich tagtäglich und der „Board of Special Inquiry“ hat das ganze Jahr hindurch an jedem Wochentage stundenlang derartige Verhöre vorzunehmen.

Die von diesem Board für nicht-landungsberechtigt erklärten Einwanderer finden auf Ellis Island bis zu ihrer Rückbeförderung nach Europa eine äußerst humane Behandlung. Die Kost für diese Armen ist kräftig, schmackhaft und reichlich. Die Schlaf- und Waschräume sind von peinlichster Sauberkeit.

Die Zeit gemahnte mich, Ellis Island zu verlassen, doch ich that es nicht, ehe ich nicht auch das Hospital besucht hatte. Bald stand ich vor dem Chef-Arzt des Krankenhauses, von ihm mit einem zuvorkommenden „please“ zum Platznehmen eingeladen. Wie ich von ihm erfuhr, belief sich die Zahl der Kranken im letzten Jahre auf 1717 Personen, also annähernd ½ Prozent sämtlicher Einwanderer, deren Gesamtzahl 1896 263 709 Personen betrug. Es starben von den Kranken 40 Personen, aber auch 10 Kinder erblickten hier das Licht der Welt. Die Gesamtzahl der Verpflegungstage betrug 14 503. Ein Rundgang durch die Räume des Krankenhauses ließ mich überall peinlichste Sauberkeit und die vorzügliche Pflege erkennen, die hier die Kranken finden.

Im Statistischen Bureau auf Ellis Island verschaffte ich mir noch nähere Angaben über die letztjährige Einwanderung. Von den gelandeten 263 709 Einwanderern waren aus Italien 66 445 Personen, Oesterreich-Ungarn 52 085, Rußland 39 859, England 38 226, Deutschland 24 230, Schweden 16 379, Norwegen 6599, Dänemark 2820, Portugal 2476, Holland 1465, Schweiz 2253, Türkei 4252. Die deutschen Einwanderer brachten den größten Prozentsatz an Geld mit und stellten den geringsten Prozentsatz bei den „Illiteraten“.

Da die Schiffahrtsgesellschaften, welche Einwanderer in den Vereinigten Staaten landen, für jeden ein Kopfgeld von einem Dollar zahlen müssen, das in den Regierungs- „Immigrant Fund“ kommt, so reicht diese Steuer nicht nur hin, um daraus die gesamten Ausgaben für die Unterhaltung der Anstalten zu tragen, sondern auch noch alljährlich einen erklecklichen Ueberschuß abzuwerfen.

Vollauf befriedigt von den auf Ellis Island gewonnenen Eindrücken, wandte ich mich zum Gehen nach der „Ferry“. Auf dem Wege dorthin traf ich die eleganten Amerikanerinnen wieder, die vorher mit mir das Schauspiel im Registrierungssaal betrachtet hatten. Ein junges, hübsches Mädchen, eine Deutsche, in einem einfachen Kattunanzug, stand vor ihnen. Vater und Mutter der jungen Einwandrerin, anscheinend dem Bauernstande angehörend, daneben.


Ansicht des Landungsdepots für Einwanderer auf Ellis Island vor der Brandkatastrophe.

„Well, Ihr überlaßt mir Eure Tochter als Dientmädchen?“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 668. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_668.jpg&oldid=- (Version vom 8.7.2023)