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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Gertrud schüttelte den Kopf. „Ach nein! Wenn Sie hier etwas warten wollten – er zieht sich an, aber er ist bald wieder da. Mit seiner Toilette“ – sie lächelte ermutigend – „dauert es nicht lange! Ich werd’ ihm sagen lassen, nicht wahr, daß Sie auf ihn warten …“

Na, dachte sie, während sie sprach, ich bin doch freundlich genug gegen das Ungetüm!

„Zu gütig, mein Fräulein,“ erwiderte der andre mit seiner sonderbar gepreßten Stimme, die das Mädchen so weich und liebenswürdig gemacht hatte.

„Aber jetzt entschuldigen Sie mich,“ fiel sie ein, mit einem Blick auf ihr Hauskleid, „ich muß nun endlich fort, ’s ist die höchste Zeit! – Wenn Sie Waldeck heißen – ach Gott, wie konnt’ ich, dann sind die Herren ja alte Freunde, nicht wahr?“

Wyttenbach nickte: „Schulfreunde, jawohl.“

„Ich lasse Sie also allein – Sie können ja von alten, alten Zeiten miteinander sprechen.“ – Ueber ihren Strauß hinweg warf sie rasch noch einen zärtlichen Blick auf Arthur, ganz verstohlen, wie sie dachten; er war aber doch nicht verstohlen genug, denn der Herr Waldeck fing ihn auf. „Auf Wiedersehn!“ rief sie, „bald!“ – Mit anderer Stimme und einer ihrer gelernten leichten Verbeugungen wandte sie sich dann zu dem andern „Adieu, Herr – – Waldeck!“

Sie errötete nachträglich, daß sie ihn „Hiller“ genannt hatte, und lächelte und huschte hinaus.

Waldeck sah ihr nach. Seine starken, dunkelblonden Brauen zogen sich zusammen, als dächte er an den heimlichen Blick mit dem sie Arthur eben angestrahlt hatte. Er zuckte, als ihm nun Arthur eine Hand auf die Schulter legte; er schien merkwürdig erregt zu sein. „Nun, Waldeck?“ sagte Arthur. „So düster?“

„So heiter?“ fragte Waldeck zurück.

„Das ist ’ne komische Frage. Warum sollt’ ich nicht heiter sein? Wenn irgend ein Mensch dazu Ursache hat, so hab’ ich – –“

Er unterbrach sich, nach einem neuen Blick auf den alten Schulfreund, mit dem er als Junge so manchen lustigen Streich ausgeführt hatte. Gutmütig, wie er im Grunde doch war, legte er ihm wieder eine Hand auf den Arm: „Uebrigens, wenn ich dir mit etwas nützlich sein kann, so disponier’ über mich. Du siehst so aus, alter Junge, wie wenn du Sorgen hättest, – brauchst du vielleicht ‚Kies’? oder ‚Schotter’, wie der Oesterreicher sagt? Ich hab’ im Augenblick ’heidenmäßig viel Geld’!“

Offenbar wider Willen lächelnd, sah Waldeck den jungen Krösus freundlich an. „Ein guter Kerl bist du doch!“

„Daran hast du hoffentlich nie gezweifelt,“ warf Wyttenbach hin. „Also – brauchst du Geld?“

„Gott sei Dank, nein. Weder das, noch sonst was! – Es geht dir also gut.“

„O ja,“ sagte Wyttenbach, die kleinen Augen vor Vergnügen noch kleiner machend. „O ja, mehr als gut! – Ich werde jetzt solid. Ich werde jetzt un homme sérieux.“

„Schon? – Dann bist du ja mit vierzig ein Greis!“

Wyttenbach lächelte überlegen, sein braunes Schnurrbärtchen in die Länge ziehend. „O, ich werd’ es schon verstehen, mein Junge, mich jung zu erhalten! – Von allem etwas, weißt du, und von nichts zu viel: Arbeit, Ruhe, gutes Leben, zuweilen eine Reise zur Auffrischung, ein viertel Jahr auf dem Lande, denn meine entschiedene Absicht ist, Großgrundbesitzer zu werden. Das gehört jetzt mit dazu, und mit Recht! Das giebt dir festen Boden unter den Füßen, giebt dir eine gesunde Existenz, eine solide Weltanschauung, Ansehen und Einfluß. Später laß‘ ich mich dann in den Reichstag wählen –“

„Und dein Großgrundbesitz,“ fragte Waldeck, „wer verwaltet den?“

„Ich selbst, wer denn sonst? Eine Thätigkeit muß der Mensch haben, natürlich, das ist der kategorische Imperativ des Lebens … Ich studiere jetzt erst eine Weile Landwirtschaft und Nationalökonomie, dann mach’ ich noch eine kleine Reise um die Erde – das gehört mit dazu –“

„Und dann heiratest du,“ ergänzte Waldeck, mit einem unwillkürlichen Blick auf die Thür, durch die vorhin das junge Mädchen hinausging.

„Wahrscheinlich!“ sagte Wyttenbach lächelnd.

„Und heut’ – wirst du hier tanzen.“

„Naja!“ – Wyttenbach lächelte wieder, aber matt, resigniert. „Ich bin ja noch in dem Alter, wo man herumhopsen muß. Und überhaupt – eine Zeit lang muß ich die Kindereien noch mitmachen. Obgleich ich eigentlich, kann ich dir sagen, mit all diesen Jugendeseleien ziemlich fertig bin –“

„Bist wohl schon sehr blasiert?“ fragte Waldeck, nach einem neuen düsteren Blick auf die Thür.

„Die Sachen verlieren ja natürlich mit der Zeit ihre Reize! Indessen, wenn man noch jung ist –“

Waldeck unterbrach ihn wieder, mit einem etwas unsicheren Anlauf. „Und – durch was für einen Glücksfall willst du das alles erreichen, wenn man fragen darf?“ Wyttenbach trat einen Schritt zurück, sein glattes, hübsches Gesicht verzog sich: „das möcht’st du wohl wissen,“ sagte er vergnügt. „Das ist mein Geheimnis. – Adieu!“

Er ging zur Salonthür.

„Adieu!“ rief ihm Waldeck nach.

Mit der blasierten Grazie eines Prinzen öffnete Wyttenbach die Thür und stieß sie vor sich her.

5.

Fritz Waldeck stand eine Weile, ohne sich zu rühren, dann seufzte er langsam, tief, er wußte nicht warum. Ein schwer wütiges Gefühl lag ihm so breit und voll auf der Brust. Der wird nicht umkommen, dachte er, der macht seinen Weg … Und diese hübsche Figur aus Chinasilber scheint der Gertrud Rutenberg gar so gut zu gefallen …

Er versank in diesen Gedanken wie in weichen Moorgrund; er kam nicht wieder heraus. Vielleicht hatte er schon lange so dagestanden, auf demselben Fleck, als endlich die andere Thür, die zu Rutenbergs Wohnzimmer, aufging und der Hausherr erschien. Die noch so jugendliche breitschulterige Gestalt war nun für den Ball gekleidet, ins Knopfloch hatte Rutenberg eine Rose gesteckt, die ihm Gertrud durch die kleine Jungfer aus ihrem Arthur-Strauß geschickt hatte. Hinter ihm, etwas später, kam Schilcher, noch in seinem Hausrock.

„Ich stehe Ihnen jetzt zu Diensten,“ sagte Rutenberg. „Mit wem habe ich – –“

Er unterbrach sich selbst; der schlanke, blasse junge Mann stand wie ein Fragezeichen vor ihm. Es war ihm, als hätte er schon eine ähnliche Erscheinung gesehn, und doch war ihm diese fremd. Er sah in ein tiefernstes, kühnes, geistiges Gesicht, es erinnerte ihn an eine Büste von Schiller, die er vor Zeiten gesehen hatte. Der junge Mann gefiel ihm, eine gewisse sonderbare Schwermut in den starken Zügen ging ihm gleich zu Herzen.

„Entschuldigen Sie, Herr Rutenberg,“ sagte Waldeck schlicht, die magern Wangen flogen aber rötlich an. „Ich komme zur unrechten Zeit –“

„Durchaus nicht,“ erwiderte Rutenberg. „Bis die ersten Gäste kommen, und das dauert noch lange, hab’ ich nichts zu versäumen. Also –“

Nach einem ungewissen Blick auf Schilcher der regungslos bei der Thür stand, fiel Waldeck ihm in die Rede: „Dann verzeihn Sie. Ich hätte eigentlich mit Ihnen allein –“

„Ist mein Freund da zu viel?“ fragte Rutenberg, gemütlich lächelnd. „Er ist eigentlich wie mein zweites Ich. Indessen, wenn Sie wünschen –“

Schilcher wandte sich stumm zur Thür.

Mit einer hastigen, etwas eckigen Bewegung suchte ihn der Jüngling jetzt zurückzuhalten. „Ach nein! Bitte, bleiben Sie Herr Oberappellationsrat. Unter diesen Umständen … Es könnte vielmehr gut sein … Es wird mir nämlich so furchtbar schwer, ich meine, das, was ich sagen will. Vielleicht bring’ ich’s leichter heraus, wenn der Herr Oberappellationsrat da ist – den ich doch schon kenne. Ich habe nämlich die Ehre –“

„Wir kennen uns, ich weiß,“ murmelte Schilcher. Er warf einen freundlichen, ermutigenden Blick auf Waldeck und lehnte sich in seiner kurz entschlossenen Art an den nächsten Tisch.

„Also, wie Sie wünschen!“ sagte Rutenberg, in dem sich die angeborene Ungeduld nun doch zu regen anfing. Er lud den jungen Mann ein, sich zu setzen. „Ihr werter Name, mein Herr –!“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 686. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_686.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)