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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

„Eh’ ich Ihnen den sage,“ fiel Waldeck ein, indem er sich niedersetzte, „gestatten Sie mir drei Worte … Es handelt sich um eine – eigene, delikate Sache; und es wird mir so schwer, den Anfang – – wie ich beginnen soll, mein’ ich –

Rutenberg lächelte. „Nun, so überlegen Sie sich’s; wir haben ja Zeit!“

„Sie sind gar zu gütig … Ich hab’ also das Unglück gehabt, Herr Rutenberg, mein Herz an Ihre Tochter zu verlieren –“

Rutenberg stand auf. Diese gänzlich unerwartete Mitteilung fuhr ihm in die Glieder. Schilcher rührte sich nicht. Auch Waldeck saß ohne Regung da; er atmete nur tief, als hätte er das eine Weile gar nicht gethan, und ward wieder blaß, noch blasser als vorher.

„Bitte, erschrecken Sie nicht!“ fuhr er dann mit einer Art von Lächeln fort, das den gutherzigen Rutenberg wieder rührte. „Wenn Sie etwa fürchten sollten, es könnte das gegenseitig – ach nein, so steht’s nicht. Das Fräulein kennt mich so wenig – daß sie mich verwechselt …“

Rutenberg setzte sich wieder.

„Daß sie mich verwechselt … Mein Fall ist so eigentümlich. Eh’ ich es wagen würde, mich dem Fräulein zu nähern – das ich leider schon zu oft, zu viel gesehen habe –“

„Entschuldigen Sie,“ nahm nun Rutenberg doch das Wort. Der junge Schiller da schien ihm allmählich ein junger Don Quichote zu werden. „Sie reden nun schon einige Zeit, aber ich muß Ihnen offen bekennen, noch versteh’ ich kein Wort.“

„Ja,“ stammelte Waldeck, „das mag wohl sein … Eh’ ich es also wagen würde, mich dem Fräulein zu nähern, möchte ich von Ihnen hören – muß ich von Ihnen hören – ob Sie je gestatten würden, daß der Sohn Ferdinand Waldecks Ihre Tochter heiratet.

Rutenberg stand wieder auf, diesmal schoß ihm aber das Blut ins Gesicht. In seine leuchtenden, menschenfeindlichen Augen stieg eine plötzliche Glut, seine Hände zogen sich zusammen. „Ferdinand Waldecks?“ fragte er.

Waldeck erhob sich nun auch. „Ja“ antwortete er.

Schilcher nickte jetzt vor sich hin, er hatte bisher kein Glied gerührt. Da die andern aufgestanden waren, setzte er sich nieder.

„Versteh’ ich Sie recht?“ fragte Rutenberg, den sein Gefühl, wie so oft, fortzureißen anfing. „Ferdinand Waldecks, der damals – – damals nach Amerika floh? Der sich das Leben nahm?“ – Der junge Mann nickte, mit einem schmerzhaften Zucken. – „Der aus der Welt ging, weil er in ihr keinen Platz mehr hatte – weil er ein verlorener Mensch, ein Verbrecher war?“

„Herr –!“ rief Waldeck aus.

Rutenbergs Empörung war aber nicht mehr aufzuhalten: „Der ein Betrüger und ein Schurke war,“ fuhr er fort, „bis in seinen Tod?“

Der unglückliche Fritz Waldeck bebte. Zwischen den völlig farblosen, zitternden Lippen stieß er hervor: „Herr, das lü – –!“

Er brach aber ab. Mit einer überraschenden Gewalt, eine Hand aufs Herz legend und dann an die Stirn, erstickte er sichtbar, was er sagen wollte, und zwang sich zur Ruhe. Ihm kam auch wieder etwas Blut in die Lippen. Erst nachdem er sich ganz gefaßt hatte, sagte er mit Haltung und sogar mit Würde: „Sie sagen da nicht die Wahrheit, mein Herr!“

„Hm –!“ murmelte Schilcher, nur so vor sich hin.

Rutenberg warf einen Blick auf Schilcher, sein altes lebendiges Gewissen, er suchte sich dann ebenso zu fassen wie der Junge da. „Na ja,“ fing er weich und unsicher, fast etwas verlegen an „es thut mir leid. Sie sagten ja – – Sie sind also der Sohn. Der Fritz, den ich als Kind – – Jetzt ist mir auch, als seh’ ich in Ihnen das Kind. Es macht mir kein Vergnügen, bei Gott nicht, jemandem weh zu thun … Was aber Ihre Behauptung betrifft, daß ich nicht die Wahrheit sage – Sie sind jung – sehr jung –“

„Verzeihen Sie,“ entgegnete Waldeck mit fast heiserer Stimme, „wenn ich trotz meiner Jugend wiederhole, Sie haben nicht das Recht, meinen Vater so zu nennen, wie Sie ihn nannten. Es ist nicht die Wahrheit!“

Rutenberg sah den jungen Fritz Waldeck eine Weile schweigend an, er murmelte unverständlich, er bewegte die Brauen, die Lider. Doch kein Don Quichote, dachte er, doch mehr Friedrich Schiller … „Ich will Ihnen was sagen, junger Herr,“ nahm er endlich das Wort. „Gehn Sie wieder. Es ist besser so. Sie können mich nicht bekehren, und ich kann nicht lügen – obwohl Sie vorhin meinten, ich könnte es. Wozu uns böse Worte sagen. Sie mögen ein guter Sohn und ein guter Mensch sein. Eine – eine Art von Antwort hab’ ich ja schon gegeben –“

„Verzeihen Sie,“ sagte Fritz Waldeck und trat in seiner blassen Erregung einen Schritt näher zu Rutenberg hin. „Ich kann so nicht gehn. Diese Beschimpfung, diese Entehrung meines toten Vaters –“

„Herr!“ rief Rutenberg, in dem es wieder überwallte, „wer hat ihn denn beschimpft, wer hat ihn denn entehrt, als sein eigenes Leben und sein eigener Tod?“

Er glaubte jetzt zu hören, daß sich auf Schilchers Stuhl etwas rührte; sogleich zwang ihn ein inneres Unbehagen, einen Blick hinüberzuwerfen: richtig: aus dem guten, klugen Nußknackergesicht sahen ihn die blaßgrauen Augen ganz still und doch wie um etwas mehr Ruhe bittend an. Naja! dachte Rutenberg, einen Augenblick verstimmt, dann einverstanden, und knöpfte am Rock über seiner Brust „Junger Mann,“ sagte er ruhiger, „ich war sein Freund, als Sie noch ein Kind waren. Sie waren auch noch ein Kind, oder nicht viel mehr, als er meine Freundschaft, mein Vertrauen täuschte – bitte, reden Sie nachher – als er uns alle täuschte, die wir ihm vertraut hatten, und – – ja, und dann davonging, auf Niewiederkommen. Es war diese tolle Zeit, vor Dreiundsiebzig, die hoffentlich auch nie wiederkommt, wo die neuen Gründungen über Nacht in die Höhe schossen wie Pilze, und die Millionen kamen und gingen wie die Seifenblasen und die guten Namen mit ihnen! Damals gründeten Sie auch diese gottverfluchte Bank – und Ihr Vater mit. Und weil ich ihm glaubte – nicht den andern, verstehen Sie wohl, sondern ihm, ihm, dem grundgescheiten und gründlich eingeweihten und ehrlichen Ferdinand Waldeck – so gab ich mein sauer erworbenes junges Geld hinein, mehr und immer mehr. Und wenn ich doch einmal zauderte, wenn ich zweifelte – Gieb nur her! schrieb er, gieb nur her! es steht gut, wir blühen, wir gedeihen, wir machen rasende Geschäfte, du wirst Millionär dabei! – Ja, und endlich – krach! Wie loses Pulver flog alles in die Luft. Alles war hin. Herr, ich jammere nicht um das Pulver, um das Geld. Ich hab’s längst verschmerzt. Wenn meine Fabrik damals in Gefahr kam, durch diese vielen Aderlässe zu blutarm zu werden und umzufallen, sie hat sich wieder erholt, und wie! Aber um Ferdinand Waldeck hab’ ich’s nie verschmerzt – werd’s auch nie verschmerzen. Er hat seine Ehre, seine Seligkeit – – Und nun rühren Sie nicht länger auf, was ich da in mir habe; lassen Sie mich, gehn Sie fort!“

Waldeck Sohn schüttelte jedoch den Kopf, als wollte er durch die stumme Bewegung sagen: Ich kann noch nicht gehn! Er drehte den Hut zwischen den zitternden Händen, ungelenk wie ein Bauernknecht. In seinen übergroß gewordenen Augen leuchtete aber eine unverzagte Flamme, die das abgemagerte Gesicht verklärte und verschönte. Mit überraschend klarer Stimme erwiderte er dann: „Sie sagen die Wahrheit nicht, Herr Rutenberg, weil Sie sie nicht wissen. Nicht ein Betrüger war mein Vater, sondern betrogen wie Sie. Die andern, die andern hatten ihn getäuscht. Und das trieb ihn dann in die Verzweiflung, in den Wahnsinn und in den Tod!“

„Herr, beweisen Sie das!“ rief Rutenberg aus. „Worten glaub’ ich nicht. Worte, Worte hatte auch Ihr Vater, die waren alles, was er uns zurückließ. Dann – fort übers Meer – und dann in die andere Welt!

„In die andere Welt,“ wiederholte Waldeck mit bitterem Lächeln. „Dahin ging er ja, weil er es nicht mehr aushielt, in dieser Welt so beschimpft zu leben. – und weil die Verzweiflung ihm den Verstand verwirrt hatte. Noch auf dem Sterbebett hat mir meine Mutter – die nie eine Lüge auf der Seele hatte, glauben Sie mir das – noch in der letzten Stunde, eh’ sie das Bewußtsein verlor, hat sie mir beteuert: dein Vater war ohne Schuld! Aber die blinde Wut der Menschen, die giftigen Verleumder brachen ihm das Herz –“

Jetzt fuhr Rutenberg wieder in die Höhe. „Junger Mensch, von wem reden Sie? Wer sind die Verleumder? – Geben Sie

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 687. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_687.jpg&oldid=- (Version vom 2.12.2021)