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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

besser acht, was Sie sagen. Sie können weder Ihren Vater noch Ihre Mutter aus dem Grabe rufen, schaffen Sie Beweise, die für Ihren Vater und Ihre Mutter zeugen –“

Waldeck zuckte hilflos die Achseln.

„Oder reden Sie nicht von giftigen Verleumdern! – Als diese Bank damals in den Erdboden versank, und nichts als einen wertlosen Haufen bedruckter Papierbogen auf der Welt zurückließ – und der oberste dieser Schurken, der Direktor, mit seinem Sekretär in irgend ein unbekanntes Land verduftete – warum blieb Ihr Vater nicht da, wo sein Platz war, und stellte sich dem Gericht, um sich zu reinigen – wenn er sich schuldlos fühlte? Warum ging er auch, bei Nacht und Nebel, über den Ocean? Warum that er nichts, gar nichts, um es gut zu machen? Warum wurde er still wie das Grab, statt für seinen guten Namen zu reden und zu zeugen, so lang’ er noch Atem hatte? – Herr, wenn so die Unschuldigen handeln, dann kenne ich die Welt nicht. Ich hab’ Ihre Mutter bedauert, ich kann Sie bedauern aber Ferdinand Waldeck –“

Er machte mit dem Arm, den er erhoben hatte, einen langen Strich nach unten durch die Luft „So tief, wie die Erde ist,“ setzte er dann mit der ganzen Kraft seines überströmenden Gefühls hinzu, „ist der Abgrund zwischen mir und ihm!“

„Und seinem Sohn,“ ergänzte der unglückliche Waldeck langsam, nachdem er wieder einen tiefen Atemzug gethan hatte. Er trat hinter sich und stieß dabei gegen einen der Spieltische. Auf den blickte er dann verstört. „Ich hab’ also meine Antwort,“ murmelte er, nachdem er sich eine Weile gesammelt hatte. „Also leben Sie wohl“ – Er ging zur Thür.

„Sie haben keine Beweise?“ fragte Rutenberg hinter ihm her, um doch noch etwas zu sagen.

Der Jüngling schüttelte den Kopf. „Die hier verlangt werden, nein, die nicht. – Ich kann die Toten nicht aus dem Grabe rufen. O, Sie haben recht. – Dennoch weiß ich, mein Vater – –“

Er brach aber mit einem Seufzer ab, der tief aus der Brust stieg. Mit überraschend frühreifer Würde verneigte er sich darauf gegen beide, und sagte zu Rutenberg: „Ich bedaure, wenn ich Sie an so einem Tage des Vergnügens störte. Leben Sie wohl!“

Etwas taumelnd, dann wieder fest und sicher kam er aus der Thür.

6.

Die beiden, die zurückblieben, waren eine Weile still. Daß er immer wie aus Holz geschnitzt dasitzt, dachte Rutenberg, der seitwärts auf den regungslosen Schilcher blickte; manchmal ist’s doch unerträglich. – „Hm!“ machte er selber endlich, um die Stille zu unterbrechen. „Ferdinand Waldecks Sohn. – Auch ein Schicksal. – Armer Junge …“

Schilcher brummte etwas, aber nach seiner unausstehlichen Art so leise, daß man’s nicht verstand.

„Was sagst du?“ fragte Rutenberg. „Nichts,“ antwortete Schilcher und erhob sich von seinem Stuhl.

„Hab’ ich ihm unrecht gethan, Schilcher? – Hab’ ich etwas gesagt, das dir nicht gefällt? Ging es wieder mit mir durch? – Aber um des Himmels willen, konnt’ ich denn schweigen, Schilcher? Oder sollt’ ich sagen er war unschuldig, ja, ja, Sie versichern es, also glaub’ ich es –?“

„Nein,“ warf Schilcher hin, der auf seinen Weg zur Thür sah und seine Halsbinde rückte. – „Ich muß mich nun also auch verschönern. Eh’ zur Polonaise geblasen wird, bin ich wieder hier.“

Es mißfiel Rutenberg, daß der andere in diesem Augenblick die Polonaise erwähnte. „Ich bitte,“ sagte er verstimmt. „Ja, ja. – – Die ganze Festtagslaune, die ist hin, Schilcher!“

„Wird wiederkommen. Das geht fix bei dir.“ Schilcher hustete und machte die Salonthür auf, um in seine Junggesellenwohnung im oberen Stock zu gehen.

„Na ja!“ brummte Rutenberg. Er wollte aber den „Heimtücker“ nicht so stumm hinauslassen, darum fing er noch einmal an: „Ferdinand Waldecks Sohn …“

Richtig, jetzt drehte sich der kleine Schilcher herum und sah dem alten Freund ins Gesicht. „Der wird einmal ein Mann,“ sagte er in äußerer Ruhe. „Ein richtiger.“ Dann schob er sich aus der Thür.

Rutenberg lächelte einen Augenblick, nickte nach einer Weile, versank in immer tieferes Nachdenken und ging in sein Wohn- und Arbeitszimmer zurück. In diesem behaglich geschmückten Raum – nicht reich, denn er war bei einfachen Gewohnheiten geblieben – vertrug er sich mit seinen Gedanken am besten und dachte sie am leichtesten bis zu Ende durch. In den alten bequemen Lehnstuhl gesunken, den er vom Vater geerbt hatte – sonst war fast alles eigene Erwerbung – fühlte er sich ganz eigen zurückgeworfen in die Jugendzeit, da er sich mit Ferdinand Waldeck befreundet hatte … Das war die Aehnlichkeit, dachte er; dieser Fritz erinnerte mich im ersten Augenblick an den Vater. Aber wie sie doch verschieden sind! der Sohn sieht interessanter aus, ein merkwürdiger Knochenbau. Und ein ganz anderes Feuer in den Augen – in dem Jungen ist mehr, viel mehr. Der alte Heimtücker, der Schilcher hat recht: „Der wird einmal ein Mann!“ – Rutenberg sann nach – zehn Jahre war es jetzt her, daß er den Fritz Waldeck hier in seiner Vaterstadt gesehen hatte, da gab ihn der Vater von Berlin hierher aufs Gymnasium, damit der etwas zarte Junge in einer kleineren Stadt recht gesund heranwüchse. Damals war er zwölf Jahre alt, also jetzt zweiundzwanzig … Na ja, dachte Rutenberg, dann sah ich ihn bald nicht mehr wieder, weil ich meine Fabrik in Warnowrande gegründet hatte. Und als ich die hierher verlegte und größer machte, da war ich mit Waldecks weltweit auseinander …

Er rückte jetzt mißmutig in dem alten Lehnstuhl; es gefiel ihm nicht, daß Schilcher so gegangen war, offenbar mehr auf Fritz Waldecks Seite, offenbar nicht zufrieden mit den rücksichtslos empörten Worten des alten „Durchgängers“ Rutenberg. Und dieser Durchgänger hatte sich so sehr gewöhnt, auf den alten Nußknacker zu hören, wie wenn es sein ganz persönlicher nur für ihn angestellter „Oberappellationsrat“ wäre – nicht eher mit sich einig zu sein, als bis er auch mit dem kleinen holzgeschnitzten Mann sich einig wußte. Er vertiefte sich in die Frage: hab’ ich wieder unrecht? – Dann mußte er doch auch gegen den Vater Waldeck unrecht haben und das hatte er nicht! Gegen diesen Vater, den er einst mit seiner ganzen überschwenglichen Herzlichkeit geliebt hatte, der in diesem Augenblick lebendig, leibhaftig vor ihm stand wie in alten Zeiten, als der so gerngläubige Rutenberg noch geschworen hätte: der ist echtes Gold …

Er lächelte auf einmal, aber unruhig, beklommen und jetzt verliebt sein Sohn sich in meine Gertrud. – Das ist denn doch wirklich eine närrische und verrückte Welt!

So mochte er wohl lange dagesessen haben er erwachte wie aus einer Art von Traum, als durch die Thür zum Bücherzimmer, die er offen gelassen hatte, seine Gertrud eintrat. Sie kam in ihrem leichten, schwebenden Gang, den er mit so viel Vaterstolz liebte und in dem sie ihre einst so anmutige Mutter doch noch übertraf. Das schlichte rosafarbene Ballkleid, das auf der schlanken Gestalt wie ein zarter Duft lag, stand ihr wirklich gut, auch die frischen Blumen im seidigen dunkelblonden Haar, das sich auf der leuchtenden Stirn so angenehm natürlich kräuselte, obwohl er wußte, daß es gebrannt war. Sie kam mit Wyttenbachs Bouquet in der Hand, mit dem strahlenden Rutenbergschen Lächeln. „Da bin ich!“ sagte sie, wie ein Lieutenant vor dem Oberst salutierend.

„Bravo!“ sagte der Vater, sogleich wieder vergnügt „Rosig wie der junge Tag!“ – – In die ist Fritz Waldeck verliebt, fuhr ihm aber auf einmal wieder durch den Kopf. Ihm ward unbehaglich. „Komm einmal her, mein Kind,“ sagte er so harmlos wie nur irgend möglich.

Sie trat vor ihn hin. „Du solltest der erste sein, der mich so sieht! – Hab’ nur vorher noch die Anstalten für den Ball revidiert. Alles in Ordnung. – Na? Aber was hast du denn? Ich glaub’ gar, du machst ein sorgenvolles Gesicht?“

„Nein, nein –“

„Gefall’ ich dir nicht?“

„Närrin! – Sehr. – Sehr gelungen, Gertrud. – Nun sag’ aber ’mal: du kennst einen Herrn Waldeck, nicht wahr? Einen jungen Mann –“

„Ja, ein wenig, ja!“ warf sie so natürlich gleichgültig hin,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 688. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_688.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)