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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

„Nächste Woche machen wir Besuche,“ sagte er jetzt ganz unvermittelt.

Hanna sah ihn unruhig an. „Schon? Darf ich nicht diesen Winter noch –.“

„Nein,“ unterbrach er sie. „Ein halbes Jahr ist genug. Ich habe dieses Klosterleben nun satt!“

„Aber ich passe wirklich noch nicht in Gesellschaft, Ludwig. Was soll ich unter fremden Leuten?“

„Nett sein, liebenswürdig sein, dich unterhalten! Das wird dir doch nicht zu schwer fallen? Du bist ja direkt gebildet. Bist ja nicht so ein Stoffel wie ich. Und ich mach’s doch.“

Was willst du mit diesem komischen „direkt?“ hatte sie fragen wollen, sie ließ es aber sein – aus Vorsicht. „Wer nennt dich einen Stoffel?“ fragte sie statt dessen.

„Du natürlich! Nicht wörtlich. Dazu bist du ja zu klug. Auch zu wohlerzogen. Aber bildlich. Mit Leidensmienen und unterdrückten Seufzern.“

„Was du für eine Phantasie hast,“ unterbrach ihn Hanna. Sie sah ihn ängstlich von der Seite an. Nur keine Scene wieder! Diese ruhigen Tage der letzten Woche hatten ihr so gut gethan, hatten ihre gequälten Nerven ausruhen lassen. Nur keine neuen Bitterkeiten. Ihn nicht reizen. „Nicht von weitem sind mir solche Gedanken gekommen,“ setzte sie darum noch sanft hinzu.

Er lachte einmal kurz auf und nach einer Pause, die ihr endlos dünkte, weil sie nichts zu sagen wußte, sprach er weiter: „Du mußt mich doch für äußerst dämlich halten, daß du meinst, ich merkte nicht, wie du dich mir stets überlegen fühlst. Und daß du meinst, das wurmte mich nicht!“

„Aber bester Ludwig –“

„Halt den Mund, rede dich nicht heraus, damit beleidigst du mich nur von neuem. Bilde dir übrigens nicht ein, ich vergäße je die kleinste Kränkung, die mir angethan worden ist. Ich vergesse nichts, und wenn es zwanzig Jahre alt werden sollte. Wie eingesalzen liegt das hier drinnen.“ – Er klopfte mit der Faust auf seine Brust. – „Eingesalzen. Also wohlerhalten. Jeder Blick. Jedes Wort.“

„Wie kann man nur so sein,“ sagte Hanna traurig. „Wie willst du denn da verzeihen?“

„Will ich denn? Ich denke nicht dran. Ich vergesse nichts und ich verzeihe auch nichts.“

„Das ist so schrecklich! Du verzeihst nichts?“

„Nein, ich vergebe manchmal. Lächle nicht so barmherzig, als wenn du sagen wolltest Das ist ja dasselbe. Es ist nicht dasselbe. Für mich nicht. Ich vergebe’ aus gesellschaftlichen Rücksichten. Aus Klugheit. Ich lasse es gut sein. Ich rede nicht mehr drüber. Aber damit hab’ ich nichts vergessen und also auch nichts verziehen. Ich warte nur meine Zeit ab. Sie kommt auch.“

Hanna schwieg ein Weilchen. Sie schüttelte dann den Kopf. „Wie kann man nur so sein,“ sagte sie leise vor sich hin. Und noch leise, beklommen „Wie mag es da zwischen uns beiden aussehen?“

„Bunt,“ sagte er finster lächelnd. „Nicht sehr behaglich. Anders, als ich mir’s gedacht habe, als ich mich mit dir verlobte.“

„Ich habe dich arg enttäuscht, nicht? Ich bin ganz anders, als du gedacht hast?“ Sie sah ihn traurig fragend an.

„Ob du mich enttäuscht hast!“ gab er zurück. „Gehörig. Enttäuscht ist übrigens gut.“ Er schwieg einen Augenblick. „Ja, was ich sagen wollte: Manchmal, wenn ich nicht gerade verliebt war, hab’ ich dich schon zu allen Teufeln gewünscht.“

Hanna mußte jetzt doch lächeln. „Aufrichtig bist du wenigstens.“

„Bin ich immer gewesen. Ich habe nie mit dir Verstecken gespielt. Hättest dir beizeiten an mir ein Muster nehmen sollen mein Kind. Dann wäre mir allerhand erspart geblieben.“

„Wie meinst du das? Was wirfst du mir vor?“

Er antwortete nicht gleich. Erst nach einem langen Blick in ihre Augen, den sie aushielt der ihr aber weh that, wie ein Schnitt warf er so hin, indem er sich wieder zurücklehnte: „Laß nur. Das ist Pökelfleisch.“

„Wie?“ fragte sie sehr erstaunt.

„Das liegt noch eingesalzen, tief unten im Faß. Hält sich. Wird schon eines Tages herausgeholt werden, wenn’s die richtige Zeit ist.“

Hanna sprach jetzt nicht mehr. Sie zitterte aber am ganzen Leib. Böser Mensch, dachte sie empört. Sie wäre gern von ihm weggerückt. Daß sie die Wärme seiner körperlichen Nähe fühlte, überlief sie in diesem Augenblick mit verstärktem Widerwillen. Sie rührte sich aber nicht; sie wagte es nicht. Er wäre imstande gewesen, unbekümmert um den Kutscher in heftige Schmähungen auszubrechen. Es war schon so nicht sicher, daß Emil nicht Bruchstücke der Unterhaltung aufgefangen habe.

Schon wieder also hatte das harmlos begonnene Gespräch eine streithafte Wendung genommen! Als wenn Frieden zwischen ihnen beiden unmöglich wäre! Sollte das immer so weiter gehen? Nie mehr sich sänftigen? Die Ruhe dieser letzten Tage deuchten sie jetzt wie die Stille vor dem Sturm. Sollte es nun noch schlimmer werden als vorher? Es schien fast so.

Das Gefühl der Qual und der Ohnmacht gegenüber dieser Qual stieg ihr bis zum Hals, würgte sie, benahm ihr fast den Atem. Saß sie nicht da neben ihm wie eine Sünderin? Was hatte sie ihm gethan? Aus was für einem erbärmlichen Seidenfädchen hatte er ihr da wieder einen Strick gedreht? Und sie sollte warten, bis es ihm belieben würde, sie zu richten? Sie fühlte, sie ertrug das nicht. Sie mußte ihn zum Sprechen bringen. Aber nicht hier im Schlitten.

Aus ihrem dumpfen Brüten aufschauend, sah sie, daß sie eben den Tiergarten verlassen hatten und durch die Hitzigstraße gegen den Kanal hin abbogen. Unter den Bäumen am Wasser war der Weg glatt gefegt.

„Wenn wir für ein Weilchen aussteigen,“ sagte sie bittend zu ihrem Mann, der nach seinem letzten großen Wort gleichmütig schweigend geraucht hatte. „Ich möchte mich gern etwas bewegen. Ich bin ganz steif.“

„Meinethalben.“

Sie gingen nun nebeneinander her, Emil mit seinem ungeduldig tänzelnden Gespann folgte in einiger Entfernung.

„Gieb den Arm,“ sagte Ludwig nach wenigen Schritten. „Was ist das für ein dummes Gependel?“

Sie hätte gern beide Hände im Muff behalten, aber sie gehorchte sofort.

„Ludwig,“ begann sie alsdann gepreßt, „ich bitte dich, sag’ mir, was du gegen mich auf dem Herzen hast. Sprich dich aus, diese Halbheit ertrag’ ich nicht.“

Er betrachtete sie mit einem kalten Lächeln. „Was verstehst du unter Halbheit?“

„Daß ich weiß, du wirfst mir etwas vor, aber nicht was es ist.“

„Weißt du’s wirklich nicht?“ fragte er, noch mit demselben Gesicht.

„Würd’ ich dich sonst fragen?“

„Na, es könnte ja auch sein, um Zeit zu gewinnen, um dir die Antwort zurechtzulegen. Besinne dich nur noch ein Weilchen, es wird dir schon einfallen.“

„Du siehst, Ludwig, wie mir zu Mute ist,“ sagte sie gepeinigt. „Sei großmütig, mach’ ein Ende!“

„Spottschlecht ist dir zu Mute, ja das sehe ich,“ bestätigte er nickend. „Dein Gewissen rührt sich. Angst hast du.“

„Angst nur vor diesem Unklaren. Ist das ein Wunder? So erbarm’ dich doch und sprich! Was hab’ ich dir gethan?“

Sie spürte jetzt in seinem Arm, daß es ihm plötzlich einen Ruck gab, und sah ihn ängstlich an. Ein unsinniges, böses Lächeln verzerrte sein geradeaus schauendes Gesicht.

„Na denn, meinetwegen,“ murmelte er. „Es lebe der Zufall! Ein Wink vom Schicksal offenbar. Er neigte sich dann zu ihr mit einem Ausdruck, vor dem sie erschrak.

„Sieh, wer da kommt,“ sagte er noch gedämpfter, und ohne den Blick von ihr zu lassen.

Fast hätte sie aufgeschrieen.

Rettenbacher war nur noch etwa zehn Schritte von ihnen entfernt. Mit leicht geneigtem Kopf gegen den scharfen Wind angehend, kam er daher, ohne die beiden zu bemerken.

Hanna fühlte, wie der Schreck sie rüttelte. So unvorbereitet, und gerade in diesem Augenblick traf sie die Ueberraschung

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 695. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_695.jpg&oldid=- (Version vom 22.12.2016)