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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

dieser Begegnung mit erschütternder Gewalt und zugleich mit der überzeugungsvollen Kraft einer unmittelbar drohenden Gefahr.

Ludwig, der mit seinem durch die Eifersucht verschärften Spürblicke ihr armes, fassungsloses Gesicht bewacht hatte, brach in ein mißtönendes Gelächter aus. Dadurch aufgeschreckt, hob Rettenbacher den Kopf. Es fuhr bei diesem unerwarteten Anblick auch über seine sonst stets so gutbewachten Züge ein leises Beben. Aber es verflog sogleich wieder, und schon hatte er mit ernster Höflichkeit den Hut gezogen und war grüßend, ohne den Schritt anzuhalten, an ihnen vorbeigegangen.

„Es lebe der Zufall,“ wiederholte Ludwig, der in offenbar absichtlicher Ungezogenheit kaum die Hutkrempe berührt hatte, mit einem neuen, kurzen Auflachen „Schöner hätte sich’s ja gar nicht treffen können. Das nennt man abgekürztes Verfahren. Konfrontation. Ueberrumpelung des Delinquenten. Famos! Mein Liebchen, was willst du noch mehr?“

Er war furchtbar erregt und so bleich, wie sein dunkles Gesicht nur werden konnte. Hanna schauerte zusammen vor dem wilden Blick, mit dem er sie anfunkelte.

„Was willst du von mir?“ fragte sie heiser, über und über zitternd.

„Lügnerin! Hab’ ich dich erwischt?“

„Was willst du von mir?“ wiederholte sie mit einem Rest von Stimme, der Mund war ihr trocken wie Papier.

„So laß doch die verdammte Komödie!“ fuhr er sie an. „Du siehst ja wohl, daß du dich verraten hast. Oder etwa nicht? Wie gerufen kam dein langer Laban eben des Weges daher. Den muß der Teufel geschickt haben. Ich wollt’ nur, du hättest im Augenblick dein eigenes Gesicht sehen können. Es war so eine Art beglaubigter Unterschrift zu dem in der Kirche bei unserer famosen Trauung. Zuckst du? Ja, zuck’ nur! Winde dich nur. Um ein halb Stündchen zu spät ist mir leider damals der Seifensieder aufgegangen.“

„Was – glaubst du von mir?“ Halb bewußtlos ging sie langsam an seiner Seite dahin.

„Was ich von dir glaube? Daß du mit dem Lehrersmann einig warst – vor meiner Zeit. Und daß dir der reiche Freier dann zwar überraschend, aber doch sehr gelegen kam. Und daß du dir deinen süßen Herzensfreund einstweilen warmgestellt hast. Und daß du geglaubt hast, dein Mann wäre ein Esel. Und daß du dich dabei eklig geschnitten hast –“

„Nein,“ sagte sie außer sich, jetzt ganz laut. „Das ist nicht wahr!“

„Was ist nicht wahr? Daß du ihn geliebt hast?“

Hanna schwieg, von einem neuen, heftigen Zittern ergriffen. Was hätte sie jetzt um den Mut zu einer Lüge gegeben.

„Du antwortest mir ja nicht,“ fuhr er höhnend fort. „Wird dir das Schwindeln plötzlich so schwer? Ich wiederhole dir, mein Kind, halte mich nur nicht für gar zu dämlich! Wenn ich auch nicht so gebildet bin wie du, Augen hab’ ich darum doch im Kopf. Etwas spät sind sie mir ja aufgegangen. Dafür aber gründlich! Mir machst du jetzt nichts mehr vor, verlaß dich drauf. Das eine Zugeständnis schließt übrigens alle andern ein –“

„Das ist nicht wahr,“ wiederholte sie leidenschaftlich; in der Erregung rüttelte sie an seinem Arm. „Du darfst das nicht glauben. Du bist schlecht, wenn du das glaubst. Ich habe nicht – es ist nichts geschehen – du bist schlecht, wenn du das von mir glaubst – –“

„Na weißt du, mein Haseken,“ unterbrach er sie scheinbar gemütlich, aber mit einem bösen Funkeln seiner erhitzten Augen, „den Unterschied, wer von uns beiden der schlechtere ist – den möcht’ ich Klavier spielen können. Ueber dein Schatzemännchen war ich mir bald im klaren. Wenn du dich auch die längste Zeit besser beherrscht hast – daß er in dich verschossen war, das konnte jedes Kind sehen.“

„Ich nicht!“ warf sie heftig dazwischen. „Ich habe es nicht gewußt!“

„Gotts Donner! Und das Gesicht, mit dem du ihm in der Kirche nachgesehen hast, als ihr Abschied nahmt?“

Hanna antwortete nicht. In einem Gefühl des Vergehens starrte sie vor sich hin.

„He?“ fragte er scharf, „wie war es damit?“

„Da sah ich es – zuerst,“ erwiderte sie tonlos. „Und da war es zu spät.“

„Ach du arme Seele! Und du verlangst, daß ich das glaube? Ein solcher Ochse bin ich nicht, kann ich dir schriftlich geben. Bei mir hast du verspielt, ein für allemal, das merke dir. Wer einmal lügt – du weißt doch? Konntest du mich belügen, als du meine Braut wurdest, so warst du auch zu allem anderen im Stande. Daß ich dir infolgedessen gehörig auf den Dienst passe, ist wohl kein Wunder. Oder ja?“

Hanna ließ mutlos den Kopf sinken. An dieser Mauer mußte sie sich ja die Stirne blutig stoßen. Sich noch weiter verteidigen? Ihr ekelte davor. Und ihm in dieser Verfassung sagen es war für die Mutter, daß ich’s that – wie wäre das möglich gewesen! Die arme Mutter, der er ja schon nachspottete, die ja im Grabe keine Ruhe vor seiner Mißgunst hatte!

Eine Weile blieb es nun still zwischen ihnen.

Ludwig hatte seine zerkaute, zerbissene Cigarre weggeworfen. Von Zeit zu Zeit schoß er einen schrägen Seitenblick auf seine Frau hinunter, die schleppenden Schrittes, mit todmüdem, erloschenem Gesicht neben ihm herging.

Endlich erhob sie die Augen wieder zu ihm, traurige, vorwurfsvolle Augen. „Also mit solchen abscheulichen Gedanken konntest du all diese Zeit, all diese Monate über neben mir hergehen?

„Ein Vergnügen war es nicht, kann ich dir sagen. Oder dachtest du?“

„Warum in aller Welt klagst du mich denn erst heute an?“

„Rechenschaft bin ich dir ja wohl nicht schuldig, wie? Sei froh, wenn ich nett gegen dich bin, da du es so wenig verdienst. Ohne diesen famosen Zufall hätt’ ich vielleicht auch heute noch nicht gesprochen.“

„Das hättest du fertig gebracht? Noch wer weiß wie lange?“

„Gewiß hätt’ ich das. Aufgeschoben ist ja nicht aufgehoben. So was muß man können.“

„Meinst du? Mir scheint das mörderisch. Und jetzt? Nachdem du dich ausgesprochen hast? Wie denkst du dir die nächste Zukunft? Da du ja doch bei deinem abscheulichen Glauben von mir beharrst?“

„Das hängt ganz von deinem Betragen ab. Benimmst du dich anständig, ärgerst mich nicht, so wirst du dich auch über mich nicht zu beklagen haben.“

Sie starrte ihn an. „Du glaubst, wir könnten zusammenbleiben? Nach diesem? Nach dem, was du mir heute gesagt hast?“

„Scheint doch so,“ antwortete er mit einem rauhen Lachen. „Auf Abbruch hab’ ich nicht geheiratet.“

„Und du glaubst, ich bliebe? Du glaubst, nach der Schmach, die du mir angethan hast, ich lebte weiter mit dir?“

Er streifte sie mit einem düster glühenden Blick. „Wirst du wohl müssen. Ich habe dich, und ich halte dich. Nie geb’ ich dich wieder her!“

Hanna schüttelte außer sich den Kopf. „Das kannst du nicht thun! Das darfst du nicht! Mit einer Frau, der man so mißtraut, bleibt man nicht zusammen. Und ich ertrage dieses Leben nicht!“

„Beruhige dich. Und ertrage es nur. Ich muß es ja auch ertragen. Denkst du, es macht mir Vergnügen? Uebrigens bist du einstweilen noch gut genug dabei weggekommen. Den hochdramatischen Gedanken an Scheidung steck’ nur gleich auf. Das giebt’s nicht. Nie! Darauf kannst du Gift nehmen. Und schmeiß' nicht immer gleich mit großen Worten um dich. Was hat mein sogenannter Glaube an dich mit meiner Liebe zu schaffen? Nicht die Bohne. Man kann sogar wahnsinnig lieben, ohne einen Schatten von Vertrauen.“

Sie hatten jetzt beinahe die Potsdamer Brücke erreicht. Ludwig winkte den Schlitten heran. Mechanisch, halb betäubt, gehorchte Hanna seiner Aufforderung, einzusteigen.

Zehn Minuten später waren sie zu Hause.

(Fortsetzung folgt.)
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 696. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_696.jpg&oldid=- (Version vom 22.12.2016)