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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

In Rom, das so großen Einfluß auf des Künstlers Entwicklung hatte, war es ihm auch bestimmt, die Gefährtin seines Lebens zu finden. In einer jungen Römerin von klassischer Schönheit, die ihm eines Tages auf der Straße begegnete, erschien ihm das Gesicht der Gesichter, das für seine Kunst auf alle Zeit maßgebend geworden ist. Ihre herrlichen Züge sind auf den meisten seiner Bilder wiederzuerkennen, ja, man kann wohl sagen, daß er nie einen anderen Frauentypus gemalt hat.

Aber das Muß eines großen Künstlers, der eine innere Welt zu verwirklichen hat, verträgt sich schlecht mit dem Muß eines Hausvaters. Da er bei der Heirat nur sein Herz befragt hatte, blieben die Sorgen nicht aus. So wenig er dem Zeitgeschmack in irgend einem Punkte entgegenkommt, versteht er es und will es verstehen, seine Palette gewerbsmäßig auszubeuten. Um nur keine langen Verhandlungen zu haben, gab er Bilder zu den niedrigsten Preisen weg, die später in den Händen der Kunsthändler und Wiederverkäufer ein Vermögen bedeuteten. Doch weder die Lebensnot, die sich an ihn hängte, noch häusliches Leid – von den vierzehn Kindern, die seiner Ehe entsprossen, leben nur noch sechs – vermochten seine freudige Schaffenskraft zu dämpfen. Was auch den Menschen Böcklin Schweres traf, der Künstler Böcklin trug sein Haupt hoch über aller Erdennot in den immer blauen Lüften. Nicht als ob er nur Heiteres dargestellt hätte, sein Pinsel hat die ganze Skala der Seelenstimmungen durchlaufen, von der sonnigsten Lebensfreude in der „Muse des Anakreon“ bis zur tiefen Melancholie, wie sie aus der „Toteninsel“ und aus der herrlichen „Villa am Meer“ mit den sturmgepeitschten Cypressen und der einsamen Trauernden spricht. Aber unberührt von äußerem Druck und Zwang ist alles, was er malt.

Böcklins Leben ist ein ungemein unstetes gewesen. Wie alle, die lange in Italien gelebt haben, zieht es ihn unaufhörlich zwischen dem Süden und dem Norden hin und her. So sehr er des italienischen Himmels bedarf, der Ernst, die Ordnung und Tüchtigkeit des deutschen Lebens sind auf die Dauer schwer zu entbehren. – In München und Basel hat er wiederholt und abwechslungsweise gelebt – München mit seiner alten Pinakothek, an der er sich niemals satt sieht, bewahrt bis auf diesen Tag eine große Anziehung für ihn – auch lehrte er einmal zwei Jahre, von 1860 bis 1862, an der Kunstschule in Weimar, doch immer kehrte er nach kurzem Aufenthalte wieder über die Alpen zurück.

1869 malte er in Basel die Fresken in der dortigen Kunsthalle und meißelte daselbst auch die barock-humoristischen Sandsteinmasken, die in zahlreichen Abbildungen bekannt geworden sind. 1875 ließ er sich auf zehn Jahre in Florenz nieder, wohl die längste Zeit, die er je dauernd an einem Orte ausgehalten hat, und dort hatte die Schreiberin dieser Zeilen das Glück, in dem bescheidenen Atelier am Lungo Mugnone manches unvergeßliche Bild unter den Händen des Meisters auf der Staffelei zu sehen.

1886 glaubte er sich dann eine bleibende Heimstätte in Zürich gegründet zu haben, wo damals noch die sinkende Lebenssonne seines Freundes und Landsmannes Gottfried Keller die etwas nüchterne Atmosphäre verklärte. Er hatte sich dort ein Atelier nach eigenen Bedürfnissen gebaut, das ganz geschaffen schien, ihn auf die Dauer festzuhalten. Aber schon nach wenigen Jahren war er wie ein Fisch auf dem Sande. Ein körperliches Leiden gesellte sich hinzu, quälender Kopfschmerz, der zwar nicht seine Phantasie und Schaffenslust, wohl aber die Kraft der Ausführung lähmte. Da wurde das Heimweh nach Italien unwiderstehlich, im Glauben, daß seine Tage gezählt seien, brach er plötzlich auf und fuhr im Hochsommer über den Gotthard, er wollte sein geliebtes Meer, den Sommer des Südens noch einmal wiedersehen. Und im Meer beim Baden an der ligurischen Küste, in dem kleinen Badeort Forte dei Marmi fand er unerwartete, fast wunderbare Heilung. Seitdem hält ihn Italien mit Banden, die unzerreißlich wurden durch den Erwerb des schönen Besitztums bei Florenz.

Die Werke aufzuzählen, die während dieses unruhigen Lebens in ununterbrochener Folge aus seinem Pinsel quollen, würde wohl ihm selber schwer werden. Mitunter hat ein Thema so tiefen Eindruck auf seine Phantasie gemacht, daß er es mehreremal variieren mußte. So existiert z. B. die berühmte „Toteninsel“ in drei verschiedenen Auffassungen, auch die „Villa am Meer“ ist ein solcher Lieblingsgedanke, den er wiederholt dargestellt hat; am häufigsten aber haben die spielenden Meerweiber an der flutumtosten Felsenklippe seinen Pinsel beschäftigt.

Daß Böcklin ganz ohne Modell arbeitet, ist bekannt, ebenso, daß er nie mit der Palette ins Freie gegangen ist, sondern von seinen Wanderungen nur Erinnerungsbilder mit nach Hause bringt, die von der schaffenden Phantasie vollkommen umgestaltet und neugeboren werden. Keines seiner Bilder ist nach der Natur, keines ohne die tiefste aus der Natur geschöpfte Inspiration und das innigste Versenken in ihr heimlichstes Wesen geschaffen. Der kleinste Fleck Erde regt seine Traumwelt an, im Freien kann er stundenlang in intensiver Betrachtung irgend einer Einzelheit stehen, und er pflegt zu äußern, wer nicht am Kleinen in der Natur sich freue, z. B. am Leben des Mooses, der sehe überhaupt nicht. Daher die unerreichbare liebevolle Intimität, die nicht am wenigsten zu dem eigentümlich seelischen Eindruck seiner Bilder beiträgt.

Unter den berühmten Künstlern ist Arnold Böcklin gewiß einer der einfachsten und liebenswürdigsten. Ein Fremder, der seinen Namen nicht gehört hätte, würde nur an seinem mächtigen, ausdrucksvollen Kopf, nie an seinem Auftreten erkennen, daß er einen Mann von seltener Bedeutung vor sich hat. Natürlich ist er kein Allerweltsgesellschafter, er geht zwar gerne unter Menschen, doch nur um sich in Gesellschaft doppelt abgeschlossen und für sich zu fühlen.

Gegen verständnisloses Gerede ist er empfindlich wie gegen alles Disharmonische, so sehr, daß er sogar an einem Werk die Freude verlieren kann, wenn ein Unberufener es durch ungeschickte Bemerkungen „beschrieen“ hat. Schmeichler und laute Menschen wehrt er ab, jedoch nicht mit den Keulenschlägen, die seinen Freund Gottfried Keller so gefürchtet machten, sondern nur durch ein ruhiges Abgleitenlassen. Er spricht wenig und etwas langsam, wobei er stets den Nagel auf den Kopf trifft. Im Erzählen ist er besonders glücklich, seine Anekdoten, in die er gern Gespräche in Schweizer Mundart einflicht, sind von unwiderstehlichem Humor. An Disputen beteiligt er sich nie – schon als junger Mann hat ihn Paul Heyse geschildert, wie er bei den Wortgefechten der andern still am Feuer sitzt und Kastanien brät – er drückt auch nicht auf die Unterhaltung, sondern läßt jede Persönlichkeit bestehen, daher seine Gegenwart immer etwas Ruhiges und Wohlthuendes hat.

Im Jahre 1890 sah ich in seinem Zürcher Atelier ein Bild auf der Staffelei, fast mehr ein Gedicht als ein Bild, zu dem der Meister einen Kommentar zu geben für nötig fand. Es war ein altes Pärchen, das in einer Laube aufrecht sitzend schlummert. Das Bild sah so deutsch und heimelig aus, die beiden Alten hätten können Philemon und Baucis aus Goethes Faust vorstellen, nur daß etwas Müdes und Trübes auf den Gesichtern lag. Und der Meister erzählte mir folgendes: „Den beiden Alten ist es ihr Leben lang sauer geworden, sie haben geschafft und gedarbt, und ihr einziger Wunsch war, einmal ein eigenes Fleckchen Erde zu besitzen. Jetzt haben sie ihr Ziel erreicht, das Gärtchen mit der Laube gehört ihnen, aber sie sind müde und alt. Die Blumen duften und glänzen auf dem Rasen, aber ihr Gesicht und ihr Geruch sind stumpf, sie können nichts mehr als mit gefalteten Händen auf dem Bänkchen sitzen und über all dem Zauber einnicken.

Dieses Bild fiel mir wieder ein, als ich kürzlich durch die Oleanderallee der Villa Böcklin schritt, und ich pries im Herzen das Geschick des greisen Meisters, der in seiner kämpfereichen Laufbahn sich wohl oft einen eigenen Fleck Erde als Lebensziel geträumt haben mag. Und jetzt ist er sein geworden, so schön wie seine Künstlerphantasie ihn nur wünschen konnte. Er aber ist nicht müde wie sein altes Pärchen, das kaum noch im Halbtraum sein Glück genießt, seine Sinne sind ungeschwächt, sein Geist ist frisch und die Muse ist mit ihm, die ihn noch mit neuen Werken segnet. Denn die Natur giebt ihren Lieblingen nicht nur mit vollen Händen, wenn sie sie ins Leben schickt, sie stellt sie auch darin über ihre Alltagsgeschöpfe, daß sie ihnen den Genuß ihrer Gaben gerne über das gewöhnliche Maß hinaus erhalten mag.

Isolde Kurz.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 699. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_699.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)