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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

dort das Licht einsamer Gehöfte. Deutlich konnte man das Rauschen der Etsch vernehmen, welche aus der engen Töllschlucht vom Vintschgauthale hinaus in das von Gott so reich gesegnete Burggrafenamt tobt.

„Jetzt und schau, Roserl, zu Jakobi thust fünfzehn werd’n, und jenen Leuten, denen, wie’s auf der Welt kummen, als Taufangebind Spott und Verachtung, wenn a ungerechterweis', ins Fatschenband gesteckt werd’n, denen schenkt der liebe Herrgott allwegs mehr Gescheutheit als andern Leutnen.

Und z’wegn dem bring i dir heut schon an Gruß von deiner Mutter.“

„Von meiner Mutter, an Gruß von der Mutter?“

„Fünfzehn Jahr sein’s her, daß man di g’fund’n hat vor der Thür beim Schwellenmüller, und der hat das arme Findlkind der G’mein übergeben und in der Lotterhütt[1] bist aufzog’n word’n, alt und jung, arm und reich hat g’meint, a Gott g’fälligs Werk thät’s sein, wenn ma ’s Findlkind verachtet, plagt und schindet!“

„Du bist der oanzige Mensch g’west,“ schluchzte das Rosele, „der mit mir gut g’west ist, der mi tröstet hat, der dem Kind was bracht und g’schenkt hat. Du bist der oanzige g’west, der mi in Schutz g’nummen hat, wenn mi de Leut da drunten auf alle Weg und Steg verfolgt haben!“ Vom Zorn übermannt sprang das Mädchen auf und schüttelte die geballten Fäuste gegen das Thal.

„Nit a sou, Rosele! Schau, geh nit a sou,“ sagte beschwichtigend der Alte und zog das erregte Mädchen an seiner Seite nieder.

„Schau, de Leut da drunt, rein nit besser verstehn thuan sie’s! Es werd ihnen ’s Evangeli: ‚Wer frei von Schuld ist, der heb’ den erst’n Stein auf,‘ viel zu wenig oft prediget. ’s ist halt a so viel a unbequems Evangeli, so viel a unbequems.

Und weil halt die fünfzehn ummer sein, so hab’ i mir denkt, schau, hab i mir denkt, jetztern bringst dem Rosele den erst’n Gruaß von der Mutter. Gelt, möchst halt gern wiss’n, wo ’s bleibt? Haben thut’s freili lei a kloanwinzigs Hütterl, a hölzenes, und in dem Gart’n, wo’s schlaft, da hab’ i zwei Nagelestöck pflanzt. An rot’n und an weiß'n.

Vorsichtig wickelte der Pfannenflicker eine rote und weiße Nelke aus einem Stück Papier.

„Schau, Roserl, ’s rote Nagele bedeutet die Lieb, mit der dein Mutter vom Himmel niederschaut auf di, du armes Hascherl. Glei, wie d’ auf d’ Welt kummen bist, ist dein Muater abg’reist im Himmel, um ihrm Kind zelm a Platzl herz’richt’n, weil ’s ja g’wußt hat, daß ma ihm daherunt kaans gunnt ’s weiße Nagerl soll dir sag’n bewahr’ dein Herzl in Unschuld, nachher kann dir koan Mensch auf der Welt Uebles anthuan. – Jetztern wär’s halt a um der Zeit, von deim Vater zu red’n.

Schau, Rosele, a Kind soll allewegs lei guats von seine Eltern denk’n, sei’s g’rad, wie’s imm’r mag. Und dös thuast halt a von dein Vater.“

Laut aufweinend barg das Mädchen das Gesicht in den Händen. „So steh’ i ganz alleinig und verlass’n auf die Welt da!“

„Verlass’n? Bist denn verlass’n? Schau auf zum Sternenhimm’l, wie dös funkelt und zwinkert! Dös sein purlauter Engelsäuglein und der liebe Herrgott im Himmel, der verläßt koan Mensch’n in Jammer und Not. Und nachher, wer wär’ denn i? Wie a Kind hab’ i mi g’freut auf den heutg’n Tag, wo i miar fürg’nommen hab’, dir der Mutter Gruß zu bringen.

I mei“ fuhr er fort und zog sanft die Hände vom Gesichte des Mädchens, „i mei, weißt, bist von an gar großen Stamm. I bin ja dein Ahndl.“[2] Da schlang das Roserl die Arme um den Hals des Alten und legte ihr Köpfchen an seine Brust.

Sanft zog der Pfannenflicker sein Enkelkind an sich und sang mit wiederkehrender Lustigkeit leise vor sich hin.

Sou a Pfannenflicker,
Ist halt nia a dicker,
Dürr und mager sein’s,
de ruaßig’n Leut’,
Haben guate Herz’n,
Können allwegs scherzn,
Sein die Leut’ jetzt dumm recht, oder g’scheut.
Der Kinig Salomon –
I bin nit irrig dron –
Ist a Pfannenflicker g’west bei Nacht –
Sunst hätt der arme Tropf
Mitsamt sein gscheut’n Kopf
A um dös Kinderurtl zammenbracht.[3]

  1. Lotter = Bettler: Armenhaus.
  2. Großvater.
  3. Altes tiroler Pfannenflickerlied.

Das Kind.
Roman von Adolf Wilbrandt.

(2. Fortsetzung.)

7.

Die Thür zum Salon ging auf, Brink, in höchster Gala, trat ein. „Herr Rutenberg, die ersten Gäste kommen,“ sagte er mit seiner umwölkten Stimme. „Herr Domänenrat Lugau und Fräulein Nichte –“

„Schön!“ rief Rutenberg laut. „Vortrefflich! Ich komme! Sie sehen da Spielkarten, Brink. Die sind hingefallen. Heben Sie sie auf!“

Brink schaute etwas verwundert hin, dann bückte er sich und begann sie aufzusammeln. Unterdessen trat Rutenberg zu Gertrud, von der er sich bei diesem Anfall von Verzweiflung entfernt hatte, beugte sich über das rosengeschmückte Köpfchen und flüsterte: „Der schöne, herrliche Abend fängt nun also an. Da heißt es also, sich zusammennehmen …“

„O hab’ keine Sorge um mich!“ flüsterte sie zu ihm hinauf, indem sie sich mit einer Hand über die Augen fuhr, auch zitterte ihre arme Stimme ein wenig. „O, ich werd’ mich zusammennehmen – mit dem Tod im Herzen!“

„Kommen wir zu früh?“ fragte Lugau, der eben in die offene Salonthür trat, wie eine schwarze Kugel mit einem großen weißen Dreieck auf der Brust. „Kein Hausherr zu sehn – und auch keine Haustochter, nur die Tante –“

„Ein kleines Mißgeschick!“ warf Rutenberg entschuldigend hin und deutete auf die Karten, die Brink noch sammelte. „Wir kommen, Freundchen, wir kommen!“

„Auch meine kleine Nichte ist schon da,“ sagte Lugau harmlos. „hab’ sie hergebracht. Wie ’ne Pagode saß das Ding im Wagen, um ihre Toilette zu schonen. Nur einmal – ich sag Ihnen, das war komisch – da wollte sie mir in ihrer Freude danken, daß ich sie auf den Ball führte, und daß ich mein Landgut verkauft und mich mit ihr in die Stadt zurückgezogen hätte, und daß sie infolgedessen so viel tanzen könnte, und wollte mich dafür umarmen, das Ding. Aber da fiel ihr wieder ein, daß sie ihr Ballkleid und alles schonen wollte, und sie erstarrte wieder, wie Lots Weib. Und nur das Köpfchen bewegte sich, so saß sie da.“

Der kleine Lugau setzte sich auf den nächsten Stuhl und spielte seine Nichte.

„Ha, ha, ha!“ lachte Rutenberg, der sonst ein so ansteckend herzfröhliches Lachen hatte, mit unnatürlicher Heftigkeit auf. „Sehr gut, sehr gut! – Eilen wir zu Ihrer Nichte!“ – Er raunte geschwind noch einmal in Gertruds Ohr; sie war aufgestanden. „Ueber Nacht, hoff’ ich, kommt Vernunft!“

Den Trotzkopf ein wenig wendend, antwortete sie leise: „Wie du es meinst, nie, nie, nie!“

Er hörte, wie sie ein tiefes Schluchzen erstickte. ‚Der Ball fängt gut an!‘ dachte er. Ihm selber tanzte es vor den Augen. „Kommen Sie,“ sagte er und nahm Lugaus Arm. „es soll ein recht fideler, feiner Abend werden. Uebrigens, die Polonaise müssen Sie mitmachen, da hilft Ihnen kein Gott! – Ein fideler Abend! Hab’ mich lange darauf gefreut –“

„Ich weiß, ich weiß,“ fiel Lugau ein; sie traten schon in den Salon. „Glücklicher Vater –!“

„Ja, ja!“ stieß Rutenberg hervor und lachte. „Glücklicher Vater! – Schweb’ voran, mein Kind, schweb’ voran …“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 702. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_702.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)